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Der deutsche Kanzler

Er gilt als deutschester aller deutschen Bundeskanzler: Helmut Schmidt regierte die Bundesrepublik von 1974 bis 1982 - effizient und gewissenhaft. Als kühler Technokrat organisierte er den "Sieg" des demokratischen Rechtsstaats über den Terror der RAF. Nachdem er nach einem konstruktiven Misstrauensvotum im Bundestag aus dem Amt schied, schrieb er Bücher oder Analysen, vor allem für die Hamburger "Zeit". Heute wird Helmut Schmidt 90 Jahre alt.

Von Claus Menzel | 23.12.2008
    Gut möglich, dass er auch ein guter Lehrer geworden wäre. Was immer nämlich Anhänger wie Kritiker über diesen vielleicht deutschesten aller deutschen Bundeskanzler sagen mögen: Dass Helmut Schmidt, geboren am 23. Dezember 1918 in Hamburg, seine Ansichten stets mit dem pädagogischen Eifer dessen zu vertreten wusste, dem Großartigkeit auch im Irrtum nicht abhanden kommt, hat kaum jemand bestritten. Ihren ersten Kanzler, Konrad Adenauer, haben die Deutschen geachtet. Willy Brandt haben manche gehasst und viele geliebt. Helmut Schmidt aber wurde von fast allen bewundert.

    Klar, warum: Wer denn sonst beherrscht die Fähigkeit, höchst komplizierte Probleme der Verteidigungs-, Außen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik vor Kameras und Mikrofonen so zu erklären, dass jedermann sie versteht? Und wer sonst hat die Grundsätze des deutschen politischen Denkens so treffend formuliert:

    "Etwas lernen und etwas leisten, gut verdienen, anständig und ehrlich seine Steuern bezahlen, ordentlich was auf die hohe Kante legen - und im Übrigen, das alles nicht übertreiben, damit man genug Zeit und Muße hat, sich der weiß Gott angenehmen Seiten, die es ja auch noch gibt, des Lebens zu erfreuen. Wenn das jedermann täte, wobei ich noch hinzufügen würde - außerdem noch SPD wählen und die Gewerkschaft stützen - dann wäre die Gesellschaft besser dran, als sie es bisher war."

    Diese Collage des Berliner Kabarettisten Volker Kühn aus dem Jahre 1973 war als Satire gemeint. Nur mochte sie schon deshalb auch als Kompliment gelten, weil sie Helmut Schmidt nicht karikierte sondern porträtierte - als Politiker, der die Grenzenlosigkeit der Wünsche kennt, aber auch die Begrenztheit des Machbaren.

    Er galt ja als Macher. Im Februar 1962, da war er nach einem Gastspiel im Bonner Bundestag gerade Innensenator in Hamburg geworden, leitete der ehemalige Oberleutnant der deutschen Wehrmacht die Rettungseinsätze der Behörden für die Opfer der verheerenden Sturmflut mit nachgerade bewundernswerter Effizienz. Und als 1977, da saß er als Nachfolger Willy Brandts im Bonner Bundeskanzleramt, der Terrorismus der Rote Armee Fraktion (RAF) die Bundesrepublik an den Abgrund politischer Hysterie zu drängen drohte, war es dieser kühle Technokrat, der den Sieg des demokratischen Rechtsstaats über den Terror organisierte.

    "Jedermann weiß, dass es eine absolute Sicherheit nicht gibt. Aber diese Einsicht kann nicht die staatlichen Organe davon abhalten, und hat sie schon bisher nicht davon abgehalten, mit allen verfügbaren Mitteln gegen den Terrorismus Front zu machen."

    Helmut Schmidt sprach am Abend jenes 5. September 1977, an dem RAF-Terroristen den Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer entführt hatten.

    "Der Terrorismus hat auf die Dauer keine Chance. Denn gegen den Terrorismus steht nicht nur der Wille der staatlichen Organe. Gegen den Terrorismus steht der Wille des ganzen Volkes."

    Schleyers Ermordung konnte er nicht verhindern. Selbst seine schärfsten Kritiker aber zollen der Art und Weise, in der er die RAF bekämpfte, noch heute Anerkennung und Respekt.

    Ja, er hat Fehler gemacht. Als er zum Beispiel nicht erkannte, dass die Grünen keineswegs spinnerte Waldschrats waren sondern Leute, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machten. Und als er gegen den Willen nicht nur der SPD, sondern einer Mehrheit der Deutschen partout neue Atomraketen gegen eine arg fiktive sowjetische Bedrohung aufstellen wollte.

    Das Verhältnis dieses Praktikers zu den Idealisten und Ideologen in der SPD war stets schwierig, doch die sozialliberale Regierung scheiterte nicht an seiner Partei sondern am Widerwillen besserverdienender FDP-Mäzenen gegen den Sozialstaat.

    Helmut Schmidt wich Helmut Kohl, wurde Herausgeber der Hamburger "Zeit", schrieb Bücher, hielt Vorträge. Und ein Privileg hat ihm sein Prestige tatsächlich eingetragen: Selbst in den Räumen der Hamburger Bürgerschaft darf er sich genüsslich eine Zigarette anzünden.