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Der Dialekt bestimmt unsere Mobilität

Laut Oliver Falck vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung hängt unsere berufliche Mobilität unter anderem davon ab, welchen Dialekt wir zu hören gewohnt sind - muss die Arbeitsmarktpolitik umdenken?

30.03.2010
    Tobias Armbrüster: Das nächste Thema, das muss unbedingt mit deutschem Dialekt anmoderiert werden. Deshalb hier ein paar Kostproben: Das alles geht durch als Deutsch, alles sind deutsche Dialekte, die es seit Jahrhunderten bei uns gibt. Aber wie prägen diese unterschiedlichen Sprachfärbungen unser Verhalten heute? Wie beeinflussen sie zum Beispiel, wo wir hinziehen, wenn wir uns nach einem neuen Job umsehen müssen? – Diese Fragen hat ein deutsches Forscherteam aus Linguisten und Ökonomen untersucht und Interessantes herausgefunden. Einer der Wissenschaftler hinter der Studie ist der Ökonom Oliver Falck vom Münchener ifo-Institut. Schönen guten Morgen erst mal, Herr Falck.

    Oliver Falck: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Falck, was machen Dialekte heute mit uns?

    Falck: Sie sehen es schon an Ihrer Einspielung sehr schön. Man versteht zwar den Dialektsprecher, aber dennoch wird damit eine gewisse kulturelle Identität, würde ich mal sagen, transportiert, und diese kulturelle Identität spielt eben auch eine ganz wesentliche Rolle, wenn es dann um die Umzugsentscheidungen geht. Ganz konkret haben wir eine Dialekterhebung aus dem Ende des 19. Jahrhunderts ausgewertet und haben dort in großer Kleinarbeit Dialektähnlichkeiten zwischen heutigen Landkreisen bestimmt, und obwohl heute teilweise sehr viele Menschen gar keinen Dialekt mehr sprechen, sehen sie, dass diese Dialektähnlichkeit bis heute noch das Wanderungsmuster in Deutschland prägt.

    Armbrüster: Das heißt, wenn ich das mal kurz zusammenfassen darf, wir ziehen gerne dorthin, wo ein ähnlicher Dialekt gesprochen wird, den wir jetzt schon um uns herum ständig hören?

    Falck: Ja, und das hängt nicht vorrangig unbedingt direkt mit dem Dialekt zusammen, sondern mit der kulturellen Identität, die mit dem Dialekt transportiert wird. Sie können sich vorstellen, dass diese Dialekte als eine Art kulturelles Gedächtnis agieren. Es gehen einige Forscher sogar so weit, dass sie Dialekte mit dem biologischen Erbgut vergleichen, das eben alle vergangenen Interaktionen zwischen Individuen speichert.

    Armbrüster: Das heißt, Dialekte haben auch dann eine so große Anziehungskraft, wenn die Leute diesen Dialekt eigentlich schon lange gar nicht mehr sprechen?

    Falck: Ja, genau das können wir feststellen. Unsere Dialekterhebung aus dem 19. Jahrhundert war natürlich zu einer Zeit, wo diese regionalen Sprachen, diese regionalen Mundarten noch eine ganz starke Bedeutung gespielt haben, und heute in verschiedenen Dialektstudien können wir immer wieder feststellen, dass Dialekte eine untergeordnete Rolle spielen. Aber dennoch haben unsere alten Dialekte eine Wirkung auf heutige ökonomische Verhaltensweisen.

    Armbrüster: Woher kommt diese Anziehungskraft von Dialekten?

    Falck: Das ist eine sehr, sehr spannende Frage. Ich habe den Eindruck, dass hinter den Dialekten eine ganze Vielzahl von früheren Interaktionen stehen, die dann wieder zu einer gewissen Familiarität zwischen Menschen geführt haben. Wir sehen, dass unsere historischen Dialekte beispielsweise Massenmigrationen aus der Vergangenheit widerspiegeln, religiöse Grenzen widerspiegeln, aber auch frühere politische Grenzen widerspiegeln. Deutschland bestand ja damals aus einer Vielzahl an Fürstentümern. All diese Faktoren spielen mit herein, die dann eben zu einer gewissen Familiarität zwischen den Regionen, zwischen den Bewohnern unterschiedlicher Regionen geführt haben.

    Armbrüster: Sie haben jetzt schon erwähnt, dass Sie als Grundlage für diese Studie eine Dialektsammlung aus dem 19. Jahrhundert benutzt haben. Welches Material haben die Forscher damals zusammengetragen?

    Falck: Ja, das ist ein sehr, sehr spannender Datensatz. Ende des 19. Jahrhunderts hat sich aus der Kleinstaatlichkeit in Deutschland das damalige Deutsche Reich herausgebildet und man hat dort einen Linguisten, Georg Benker, beauftragt, eine umfassende Dialekterfassung vorzunehmen, so ein bisschen nach dem Motto: Wenn wir sonst schon nichts gemeinsam haben, dann vielleicht die Sprache. Er hat an circa 45.000 Schulen im damaligen Deutschen Reich Befragungen verschickt und die Schüler mussten in diesen Schulen charakteristische Sätze vorlesen in ihrer Mundart, und der Lehrer hat diese dann transkribiert in phonetische Protokolle, die bis heute im Forschungsinstitut deutscher Sprachatlas an der Universität in Marburg in Archiven zur Verfügung stehen.

    Armbrüster: Und dieser Dialektatlas, der lässt sich noch heute über Deutschland legen und die Grenzen bestehen nach wie vor, oder hat sich da etwas verändert in den letzten 100 Jahren?

    Falck: Diese Grenzen bestehen nach wie vor, obwohl sich natürlich politische Grenzen, die sie natürlich heute darüberlegen können, sehr wohl verändert haben, und das ist eben das Spannende. Wir haben ein Auseinanderklaffen von unter Umständen heute politischen Grenzen, wie die Bundesländer, und diesen Dialektgrenzen.

    Armbrüster: Gibt es da denn besonders interessante Fälle von Landkreisen oder von Regionen, die aneinanderstoßen und wo merkwürdigerweise die Leute eine bestimmte Grenze nicht überschreiten?

    Falck: Ja. Ich finde ein Beispiel immer sehr plakativ. Das ist das Beispiel von Goslar. Das liegt im Harz und das ist eine sogenannte Dialekt-Enklave. Es wird in Goslar nicht der Dialekt gesprochen, der in den umliegenden Landkreisen gesprochen wird, sondern es wird ein gewisses Sächsisch gesprochen mit erzgebirgischer Färbung. Das kommt daher, dass im 16. Jahrhundert eine Vielzahl von Silberbergleuten aus dem Erzgebirge nach Goslar gewandert ist und dort in dem wiederauflebenden Silberbergbau gearbeitet hatte. Diese prägen dann bis heute oder bis dann 300 Jahre weiter, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, die Dialekte und heute dann aber nach wie vor ökonomische Aktionen.

    Armbrüster: Wenn wir nun aufgrund von Dialekten so wenig mobil sind beziehungsweise über bestimmte Grenzen nicht hinausgehen, welche Schlussfolgerungen kann man dann aus dieser Studie ziehen, etwa für die deutsche Arbeitsmarktpolitik?

    Falck: Ich denke, wir sollten uns schon im Klaren sein, dass es immer auch lokale Arbeitsmärkte geben wird und eine vollständige Integration des Arbeitsmarktes selbst innerhalb eines Landes wie Deutschland nicht möglich ist, geschweige denn in Europa. Das hat natürlich dann auch gewisse Grenzen für die Politik. Wenn sie gerade zum Beispiel die Mobilität fördern wollen durch Umzugshilfen und all solche Dinge, dann stößt das einfach an derartige kulturelle Grenzen.

    Armbrüster: Jahrhunderte alte Dialektgrenzen bestimmen also nach wie vor, wo wir hinziehen, wenn wir umziehen. Die Studie vorgestellt hat Oliver Falck vom Münchener ifo-Institut. Vielen Dank für dieses Interview, Herr Falck.

    Falck: Sehr gerne!