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Der Dichter als Künstler

Er stand in der vordersten Reihe der Beat-Generation: der US-Literat und Künstler William S. Burroughs. Aus Schnipseln des Alltags hat er Neues komponiert. Der Vielfalt seines Werkes wird die Wiener Ausstellung nicht gerecht.

Von Beatrix Novy | 10.07.2012
    Bis in die 60er Jahre, bevor die Freizeitbekleidungs-Industrie mit ihrem ubiquitären Schlabberlook Amerika erobert hatte, trugen auch Ausgeflippte, Künstler und Drogenkonsumenten noch dunkle Anzüge mit Weste und Krawatte. Der Mann auf dem Ausstellungsplakat könnte ein britischer Attaché sein, es ist aber William S. Burroughs, der exzessivste Repräsentant aus der vordersten Reihe der amerikanischen Beat-Generation. Das Foto, nur scheinbar Camouflage, ist natürlich Teil einer Selbstinszenierung des Künstlers, von der es Beispiele in der Wiener Ausstellung nicht zu wenige gibt. Im Gegenteil. Reihenweise Porträts und Selbstporträts, überall das Gesicht des Künstlers – soviel bürgerlichen Selbstvergewisserungsdrang hätte man dem Verächter bürgerlicher Lebenseinstellungen gar nicht zugedacht.

    Cut-ups, Cut-ins, Cut-Outs heißt die Ausstellung in der Wiener Kunsthalle, aber es geht doch um den ganzen Burroughs und nicht nur um seine Technik des Herausschneidens und Neu-Zusammensetzens von Texten, Bildern, Tönen und Filmstreifen. Das Leben ist ein Cut-up, schnipselhaft, hatte Burroughs festgestellt, sobald man die Straße betritt, laufen einem die Gedanken ja in alle Richtungen davon, Schnipsel entsprechen menschlicher Erfahrung besser als lineares Erzählen. Wo er recht hatte, hatte er recht. Nur dass die sprunghaften und abgelenkten Gedanken sich im Kopf jedes Einzelnen dann doch wieder ordnen, nämlich zu sozial vermittelbaren Erzählungen. Während die Kunst aus den Schnipseln etwas anderes macht. Kunst eben. Aus Cut-ups komponierte Burroughs ganze Romane.

    Burroughs Shotgun-Paintings, kindlich-karikaturhaft gezeichnete Porträts mit Einschusslöchern, erzeugen noch ein leises Grausen, zumal man weiß, dass er, der Waffenliebhaber, seine Ehefrau bei einem Wilhelm Tell-Spiel versehentlich erschoss. Seine Collagen aus Text und Bild aber wirken altmodisch, die Ausstrahlung erstickt von der Fülle der Vorgänger und Nachfolger im Collagen-Metier. In riesigen Vitrinen, die die Mitte eines jeden der klinisch ausgeleuchteten Räume in der Wiener Kunsthalle ausfüllen, liegen die Zeugnisse von Burroughs Leben und Wirken; drumherum, an der Wand, marschieren die Werke auf. Diese rechtwinklige Präsentation könnte als geistvoller Widerspruch zur Person eines enfant terrible gemeint sein. Aber da teilt sich nichts mit vom Drive, von der Überraschung, die der Autor der großartigen Romane Naked Lunch und Junkie seiner Zeit beschert hat. Zwar liegen da in endloser Reihe die zahllosen Dokumente seiner Wirkung, fast bis zum Überdruss – muss denn jedes typographierte Blättchen dabei sein?

    Was herüberkommt, ist das Gefühl, hinter die Fassade einer großen Selbststilisierung zu schauen. Das Titelfoto einer Zeitschrift zeigt Burroughs mit Jean Genet und zwei weiteren Künstlern: Worüber die sich wohl unterhalten haben? Und wie musikgeschichtlich bedeutend war Burroughs nicht sehr langer Besuch bei Paul McCartney wirklich, bei dem man sich über Cut-ups austauschte? Gewiss war er wegweisend für alle möglichen Musik- und Kunstrichtungen, aber davon lässt die Ausstellung nichts hören oder sehen. Aufschließender als eine Devotionaliensammlung wäre etwas mehr Einordnung, die Frage, was es denn war, was Burroughs antrieb, hat er selbst öfter beantwortet. Nur ein Ausstellungsraum ist dem musealisierenden Treibsand entgangen. Hier werden Burroughs Filme gezeigt, und die sind rasant, heftig und überhaupt nicht alt geworden.


    Cut-ups, Cut-ins, Cut-outs: Die Kunst des William S. Burroughs
    Ausstellung in der Kunsthalle Wien, 15. Juni bis 21. Oktober 2012