Donnerstag, 25. April 2024

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Der Dirigent Marinus Voorberg
Pionier der Chormusik

Marinus Voorberg wagt mit Anfang 30 die Karrierewende. Aus dem Klaviervirtuosen wird ein Dirigent, der vor allem die Vokalmusik nachhaltig prägen wird. Darunter auch den Vorläufer des heutigen SWR Vokalensembles Stuttgart.

Am Mikrofon: Philipp Quiring | 07.05.2020
    Altes Grammophon, bei dem im Vordergrund die Nadel zu sehen ist und im Hintergrund der Schalltrichter.
    Historische Aufnahmen: Jeden Donnerstag um 22:05 Uhr im Deutschlandfunk. (Picture Alliance / Ulrich Baumgarten)
    Marinus Voorberg entdeckte seine Neigung zur Chormusik erst spät. Der niederländische Pianist und Organist strebte nach dem Abschluss seines Studiums zunächst eine Solokarriere an. Die Antwort auf den Vorschlag des Dirigenten Paul von Kempen, er solle doch dirigieren, war dann auch entsprechend: "Ich habe keine Zeit!". Mit Anfang 30 entschloss er sich dann doch zur Karrierewende. Schnell machte er sich als Dirigent von vokalen Werken auch international einen Namen. In Deutschland prägte er ab Mitte der 70er Jahre den Vorläufer des heutigen SWR Vokalensembles Stuttgart, den Südfunk-Chor. Sein Credo dabei: "Es gibt sehr wenig gute Chöre auf der Welt. Ich bin überzeugt, mit der menschlichen Stimme kann man noch viel mehr Möglichkeiten, Kleinigkeiten machen, als mit dem Instrument.". Er verfolgte die Ansätze, Stücke möglichst immer in Originalsprache singen zu lassen und auch großkonzipierte Werke in kleiner Besetzung anzugehen. Sein Repertoire erstreckte sich über die Jahrhunderte bis in seine Zeit. Er sah es als seinen Auftrag an, zeitgenössische Musik zu fördern und nahm daher immer wieder Musik lebender Komponisten ins Programm.
    Auch gefragter Liedbegleiter
    Nachdem Marinus Voorberg zwei Jahre ‚Orchesterdirektion‘ in Italien studierte, bot sich ihm als Quereinsteiger und Autodidakt in Hilversum eine erste Chance, eine Chorleitung zu übernehmen. Das war der Beginn seiner neuen Karriere. In Hilversum gehörte auch immer wieder Alte Musik zum Repertoire, das er sich mit dem NCRV Vocaal Ensemble erarbeitete. Mehr als 25 Jahre leitete Marinus Voorberg das Vocaal Ensemble vom Niederländisch Christlichen Rundfunkverband, NCRV, bis Ende der 70er Jahre. Als Pianist trat er nur noch selten in Erscheinung. Aufnahmen aus Solistenjahren existieren nicht. Lediglich eine Rundfunkproduktion von 1984, die vier Monate vor seinem Tod entstand, liefert noch einen Eindruck von seinen pianistischen Fähigkeiten. Marinus Voorberg begleitet mit schönem Klavierton und gibt seiner Partnerin Platz, ihre Phrasen agogisch frei auszusingen. Voorberg kann hier seine Erfahrungen mit der menschlichen Stimme voll einbringen. Die ‚Zwei Lieder für eine Singstimme und Klavier‘ stammen von der französischen Opernsängerin Maria Felicia Malibran, die in den 1820r und -30er Jahren vor allem mit Solorollen in italienischen Opern für Furore sorgte.
    Vom Tasteninstrumentalist zum Chorleiter
    Die Zeit, als Voorberg anfing, sich vor allem der Arbeit mit Chören zuzuwenden, waren die 1950er Jahre. Voorberg: "Es gibt ziemlich viele gute Orchester in der Welt sozusagen. Aber es gibt wenig, damals gab es überhaupt nicht, gute Chöre in der Welt und da habe ich gedacht, das ist vielleicht eine Chance. Ich bin davon überzeugt, dass mit einer menschliche Stimme kann man noch viel mehr Besonderheiten, Details und Kleinigkeiten machen. Und Möglichkeiten hat man als mit einem Instrument." Auf Initiative von seinem Chorleitungs-Kollegen August Langenbeck kam Marinus Voorberg Mitte der 70er Jahre nach Stuttgart. Voorberg erweiterte das Aufgabengebiet vom Rundfunkchor, der ursprünglich vor allem zur Realisierung von Funkopern vorgesehen war. Voorberg war es wichtig, dass der Südfunk-Chor neben den reinen Rundfunkproduktionen in Studios auch außerhalb, auf der Bühne, singt. Dafür realisierte er von 1975 bis 1981 vermehrt Konzerte. Voorberg kam es nicht darauf an, so viele Menschen wie möglich zu erreichen, sondern er widmete seine Konzerte vernachlässigtem Repertoire.
    Flexibler Chorklang mit Vorliebe für neue Musik
    "Ich bin natürlich der Meinung", sagt Vorberg, "dass ein Berufschor und das heißt dann hier ein Rundfunkchor, hat natürlich den Auftrag, um auch viele moderne Musik zu machen. Ich meine, es gibt ein Stück, das ist geschrieben wurden, und das liegt da auf dem Tisch. Aber wenn wir nicht das aufführen, dann kommt es niemals zum Klingen." Unabhängig vom Repertoire arbeitete Voorberg mit klein besetzten Chören, mit der Personalstärke, die ihm zur Verfügung stand: "Es ist natürlich so: Ein Chor von 17 Leute kann man nicht alles machen, aber wir singen so manchmal, haben wir 16-stimmig Stücke gemacht, so, dann ist das alles solistisch, nicht?"
    Dirigent soll vor allem Partner sein
    Über Marinus Voorbergs Art zu dirigieren, geben einige Fernsehaufzeichnungen Aufschluss; Videoausschnitte finden sich auf YouTube. Bei der amerikanischen Mezzo-Sopranistin Nan Merriman nimmt sich Marinus Voorberg zurück und richtet sich ganz nach ihr, lässt sich führen. Beim Chorstück ‚Come again‘ von John Dowland sind die Bewegungen sehr minimalistisch-ökonomisch. Aus zackigen Unterarmbewegungen heraus folgen die Akzente, die er setzt. Marinus Voorberg ist das Gegenteil eines autokratischen Chorleiters. Er will Partner sein, ganz im kammermusikalischen Sinne. Einer, der zuhört und auf das reagiert, was ihm angeboten wird, sich dabei auch zurücknimmt und Raum gibt. Von sich selbst und seinen Profi-Chören verlangte Marinus Voorberg, dass Stücke immer in Originalsprache gesungen werden. Als Niederländer habe er es mit dem Auto bis zur Grenze nicht weit; laut eigener Aussage. Und so seien ihm auch die deutsche und französische Sprache nicht fremd. Für alles, was exotischer sei, würde er sich dann Hilfe holen.