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Der dressierte Fanblock

Viele Fußball-Fans auf den Stehplätzen verabscheuen die eleganten VIP- Logen in den Stadien, wo Champagner und Lachs-Häppchen gereicht werden. Besonders die Ultras sehen sich als Retter der Fan-Kultur. So auch in Freiburg. Dort sorgt ein Megafon-Mann, der 90 Minuten mit dem Rücken zum Spielfeld steht, für Dauer-Support.

Von Sebastian Bargon | 07.11.2009
    Seit drei Jahren heizt ein Vorsänger mit seinem Megafon den Stehplatz- Besuchern auf der Nordtribüne ein. Allerdings ist der Mann mit der Flüstertüte nicht bei allen Fans unumstritten:

    "Das sind halt vorwiegend die Ultras im Mittelblock der Nordtribüne, die sich am Megafon erfreuen, aber der Rest ist meiner Meinung nach nicht so wirklich dafür."

    "Es ist halt zwiegespalten, manchmal, denk ich, müsste es nicht sein zuhause, aber auswärts halt ich das für sehr sinnvoll."

    "Ich halte da nicht viel von, weil der Vorsänger nicht auf die Stimmung eingeht. Wenn andere Blöcke auch mal was singen, dann wird das halt übertönt."

    "Wenn wir rechts was anfangen, dann ersticken die das, indem sie mit was anderem kommen - sie könnten ja auch mal mitmachen!"

    "Wir haben schon ganz oft mit denen geredet und haben gesagt, Jungs wenn ihr schon Stimmung wollt für alle - dann müsst ihr Euch auch ein bisschen nach den anderen richten - und genau das machen sie eben nicht. Und das ist genau das Problem. Sie sind halt doch nicht das non plus ultra".

    ""Es kommen mehr Anti-Gesänge, also was weniger die Mannschaft anfeuert , sondern die gegnerische eher niedermacht oder sogar gegen die anderen SC-Fans gerichtet ist."

    "Aber so oft machen wir Fans andere Fans auch nicht nieder"

    "Auf geht´s Freiburg kämpfen und siegen!"

    "Ja oder auch wenn der Mittelblock dann zehn Minuten nach Anpfiff anfängt - und es ist ja der Vorsänger - mit 'Auf geht´s Freiburg kämpfen und siegen!" - So ein Schwachsinn! Das bringt man vielleicht in der zweiten Halbzeit, aber nicht nach zehn Minuten."

    Die Vorsänger dürfen keine politischen, rassistischen oder sexistischen Parolen in ihr Megafon brüllen, erläutert Uwe Stasch, Fanbetreuer beim Sportclub Freiburg:

    "Die Vorsänger müssen sich vorstellen, man hat auch eine Art Steckbrief von denen. Die geben auch eine Garantie dafür, dass sie diesen Kodex einhalten, einzig und allein Stimmung zu produzieren. Und ich denke in Freiburg funktioniert das noch ganz gut. In manchen Stadien wird das ja mittlerweile über Mikrofon und Boxen geregelt. Also, es wird immer mehr gemacht - ich bin froh, dass es in Freiburg noch ein bisschen Old School - mäßig per Megafon ist und nicht per Boxen. Lautsprecher-Fans finde ich was ganz schlimmes!"

    "Macht sie platt, schießt sie aus der Stadt."

    SC Pressesprecher Rudi Raschke freut sich einerseits über die lautstarke Unterstützung der Mannschaft, andererseits gibt es auch Sprechchöre, die ihm missfallen:

    "Es gab ja ne Abstimmung unter den Fans, die sehr knapp ausgegangen ist pro Megafon. Diese Entscheidung haben wir immer akzeptiert. Man muss natürlich tatsächlich schauen, was da gesungen wird. Wir haben im Prinzip die Haltung, dass wir uns mit Sachen wie "Hurensöhne" oder "Macht sie platt, schießt sie aus der Stadt!" sehr wenig anfangen können, weil wir uns so nicht präsentieren wollen. Aber die Frage ist natürlich auch: Was wäre ohne Megafon los?

    ""Hu-Hu-Hu-Hurensohn !"

    SC - Trainer Robin Dutt sieht die Sache so ... .

    "Wenn jemand originell am Megafon ist, dann ist es total in Ordnung. Manchmal ist es mir einfach auch zu aggressiv - also nicht nur in Freiburg, sondern generell. Ich habe lieber positive Unterstützung als etwas gegen die Gegner. Ich finde es besser für etwas zu sein als gegen etwas..."

    "Heja, heja SCF"

    Natürlich versuche ich mit dem Megafon-Mann ins Gespräch zu kommen und drängel mich bis zu ihm durch. Aber der Vorsänger lehnt ein Interview strikt ab. Derweil erinnern sich viele Fans noch an andere, spontanere Zeiten im Stadion:
    "Früher war es deutlich origineller, einfallsreicher und entspannter. Die gegnerischen Mannschaften wurden loyal und freundlich begrüßt, kurz: eine ähnliche Atmosphäre wie auf St. Pauli."

    "Es ist teilweise ziemlich einfallslos, was da zustande kommt."

    "Fan-Gesänge sind alle einfallslos!"

    "Nee, wir waren schon besser! Wir haben schon Zeiten gehabt, da waren wir produktiver, da waren wir besser!"

    "Also wenn der Vorsänger 90 Minuten das Spiel nicht sehen will, kann er das gerne machen. Weil ich finde es merkwürdig, wie man sich da hinstellen kann mit dem Rücken zum Spiel. Ich würde sagen, man könnte ihn auch austauschen, aber gut, soll er machen. Ich brauch ihn nicht."

    "Ja, also ich könnt´ auf das Megafon verzichten."