Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Der ehrliche Steuerzahler, der wäre dabei der Dumme"

Mit dem Abkommen der Schweiz wären Steuerhinterzieher anonym und strafffrei geblieben, das ist nicht in Ordnung, sagt Manfred Lehmann von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft. Es werde nun mehr Selbstanzeigen geben, da die Chance bei der Steuerhinterziehung strafffrei zu bleiben, nicht mehr gegeben sei.

Manfred Lehmann im Gespräch mit Martin Zagatta | 24.11.2012
    Martin Zagatta: Der Bundesrat hat das umstrittene, das von Finanzminister Schäuble ausgehandelte Steuerabkommen mit der Schweiz gestoppt. Eigentlich sollte es zur Jahreswende in Kraft treten und deutsche Steuersünder, die Geld in der Schweiz versteckt haben, zur Kasse bitten. Mit dem Scheitern der Vereinbarung entgehen den deutschen Bundesländern Milliarden, so klagt jetzt die Regierung. Manfred Lehmann ist Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, die die Mitarbeiter der Steuerverwaltungen vertritt. Er ist das im Bundesland Nordrhein-Westfalen, in dem Bundesland, in dem der Widerstand gegen das Abkommen am größten war. Guten Morgen, Herr Lehmann!

    Manfred Lehmann: Einen wunderschönen guten Morgen!

    Zagatta: Herr Lehmann, mit dem Scheitern des Abkommens entgehen den Bundesländern Milliarden Einnahmen, heißt es. Können Sie abschätzen, wie groß in etwa der Schaden für Nordrhein-Westfalen ist?

    Lehmann: Das kann man eigentlich nicht abschätzen, weil ja der garantierte Betrag, der aus der Schweiz nach Deutschland fließen sollte, 1,7 Milliarden Euro sein sollte. Und na ja gut, wenn man dann Nordrhein-Westfalen einbindet, dann sind wir bei 300.000, die auf das Land entfallen würden. Vielleicht dann doch in dieser Größenordnung könnte man sagen ist der Schaden – 300 Millionen, Entschuldigung.

    Zagatta: 300 Millionen. Aber auf der anderen Seite haben Sie ja auch Einnahmen, indem Nordrhein-Westfalen ja das Gegenteil von dem macht, was die Bundesregierung will, indem man da CDs mit Daten von Steuersündern aufkauft und da entsprechende Verfahren einleitet. Rechnet sich das, unterm Strich, schneiden Sie da schlecht oder gut ab?

    Lehmann: Also ich gehe davon aus, dass man dann unterm Strich schlechter abschneidet als mit dem Steuerabkommen, weil ja hier nur die tatsächlich aufgegriffenen Fälle der Steuerhinterziehung dann auch in der Kasse klingeln, während bei dem Steuerabkommen ja alle Fälle, wenn auch anonym, in irgendeiner Form zum Aufkommen beitragen würden. Also es wird weniger sein, wenn man wie bisher ermittelt, aber das heißt nicht, dass wir das Steuerabkommen gut gefunden hätten. Es geht da ja nicht nur um Geld.

    Zagatta: Sie begrüßen das, dass das gescheitert ist?

    Lehmann: Ja, wir freuen uns darüber, wir halten das für den richtigen Weg, denn dieses Abkommen hatte den Nachteil, dass die Steuerhinterzieher anonym bleiben. Das kann so nicht sein, denn der ehrliche Steuerzahler, der wäre dabei der Dumme. Er zahlt seine Steuern, der andere hinterzieht sie und darf dann auch noch anschließend straffrei rauskommen – das war so nicht okay.

    Zagatta: Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie da jetzt in der Praxis, wird es jetzt mehr Selbstanzeigen geben oder ist das nicht zu erwarten?

    Lehmann: Also ich gehe jetzt schon davon aus, dass Hinterzieher, die bisher gewartet haben, was passiert denn mit dem Abkommen, sehr wohl überlegen müssen, gehe ich mit einer Selbstanzeige an den Markt oder nicht. Und im vorliegenden Fall doch, es wird mehr Selbstanzeigen geben, schon deswegen, weil jetzt einfach die Chance, straffrei rauszukommen, nicht mehr da ist.

    Zagatta: Wie wird da in den Finanzämtern überhaupt vorgegangen, hat man da in letzter Zeit schon etwas Rücksicht genommen in Erwartung auf dieses Steuerabkommen oder hat das überhaupt keine Rolle gespielt?

    Lehmann: Nein, das hat überhaupt keine Rolle gespielt. Da kommt auch hinzu, dass die Kolleginnen und Kollegen auf breiter Front dieses Abkommen abgelehnt haben. Andererseits gab es auch keine Erwartungshaltung, aber man kann so was nicht vorbereiten, was da kommt. Die Arbeit ist unverändert durchgelaufen, und wenn dann Hinterzieher erwischt wurden, wurden die auch unverändert rangenommen.

    Zagatta: Ist die Schweiz da noch das große Problem? Wir haben ja in Berichten immer wieder gelesen, Leute, die ihr Geld da in die Schweiz oder sonst wo hinbringen, die weichen schon in andere Länder aus, wenn da Abkommen drohen, da ist immer wieder von Singapur die Rede. Wie sieht das in der Praxis aus, Ihrer Erfahrung nach?

    Lehmann: Na ja, eine richtige Praxis kann man da ja nicht haben, weil diejenigen, die abtauchen und die wir noch nicht kennen, da kann man so schlecht hinter schauen. Aber es ist schon so, dass die Schweiz unverändert das Ziel Numero eins ist nach unseren bisherigen Erkenntnissen, weil die einfach nah dran ist, weil sie in unserer Sprache spricht und weil man das Verfahren kennt. Singapur, das ist dann mehr was für die Hardcore-Steuerhinterzieher, weil man sich schon auf wesentlich kompliziertere Strukturen einlässt. Und wer sein Geld in Sicherheit bringt, will es denn aber auch in Sicherheit wissen und nicht irgendwo in der Ferne.

    Zagatta: Jetzt soll dieses Steuerabkommen, das gescheitert ist, noch in den Vermittlungsausschuss. Ist es denn aus Ihrer Sicht irgendwie noch zu verändern? Mit welchen Änderungen müsste man da vorgehen, um dieses Steuerabkommen doch noch zu retten?

    Lehmann: Den Vermittlungsausschuss oder das Anrufen des Vermittlungsausschusses kann ich nicht mehr nachvollziehen, weil das Abkommen soll ja laut der Schweiz nicht mehr verhandelbar sein. Das bedeutet, ein Vermittlungsausschuss kann sein Ziel, Kompromisse zu erreichen, gar nicht mehr erzielen, denn letztendlich würden ja Veränderungen nur noch in Deutschland möglich sein und nicht mehr auf der Schweizer Seite. Wenn aber man sich in Deutschland mit Mehrheit dazu entschieden hat, das nicht zu wollen, dann ist der Vermittlungsausschuss Quatsch und man könnte dann auch gleich das Abkommen zu den Akten legen. Dann erwarte ich im Übrigen, dass die Schweiz sich vielleicht doch noch wieder bewegt, denn sie muss ja in irgendeiner Form auch in Zukunft der EU gegenübertreten. Und mit anderen Ländern und mit der EU selber, da gibt es Mittel und Wege, die dann vielleicht auch die Veröffentlichung der Daten beinhalten.

    Zagatta: Also eine schnelle Lösung ist aus Ihrer Sicht überhaupt nicht in Sicht?

    Lehmann: Nein, auf keinen Fall.

    Zagatta: Wie geht es da in Nordrhein-Westfalen weiter? Man hat ja gehört zuletzt wieder, dass da neue CDs aufgetaucht sind, angekauft wurden – hat man da noch einiges in petto, wissen Sie da was?

    Lehmann: Also es gibt wohl noch Angebote, da werden auch noch Daten geprüft, man muss aber sehen, dass natürlich die Banken, von denen die Daten stammen, da mittlerweile auch ganz andere Methoden haben, ihre Daten zu schützen. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt. Da gehe ich also von aus, dass diese Quelle der Informationen dann doch eher sparsamer sprudeln wird. Aber andererseits, Steuerfahnder haben noch immer Möglichkeiten gefunden, auch mit anderen Wegen hinter die Hinterziehung zu kommen. Also von daher bin ich ganz optimistisch, dass die Ermittlungen weitergehen.

    Zagatta: Reichen da diese Mittel aus oder brauchen wir eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft, so wie die SPD das ja teilweise schon gefordert hat?

    Lehmann: Das entspricht der Forderung der Deutschen Steuer-Gewerkschaft. Wir bräuchten eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft, damit wir auch bundesweit eine Zentrale haben, die in den größeren Fällen mit ermitteln kann. Man braucht dafür auch echte Fachleute. Es reicht also nicht, wenn jemand das auch mal mitmacht in einem Nebengebiet, und deswegen fänden wir eine solche Zentralisierung der Ermittlungsmöglichkeiten erst mal gut. Sie kann dann mit den Steuerfahndern der Länder gut zusammenarbeiten, das würde unser System verbessern.

    Zagatta: Stichwort Zusammenarbeit der Länder: Da hat das Land Niedersachsen jetzt ja angekündigt, keine solche Steuer-CDs mehr anzukaufen. Schafft das da Unterschiede in Deutschland, ist es also so aus Sicht von Steuerhinterziehern zum Beispiel besser, von Nordrhein-Westfalen nach Niedersachsen umzuziehen?

    Lehmann: Nein, das wäre eine Milchmädchenrechnung, weil auf den CDs, egal wo sie angekauft werden, stehen ja nicht immer nur die Daten der jeweils in den Ländern lebenden Menschen. Also wenn wir in NRW eine CD ankaufen, dann stehen da auch Daten aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern drauf. Die Steuerhinterzieher haben da gar nichts von. Ich halte solche Ankündigungen eigentlich auch nur für die Begleitmusik, für die politische Begleitmusik dieses ganzen Diskussionsrummels um das Abkommen. Also ein Ziel kann man damit nicht verfolgen, wenn man sagt, wir machen es nicht mehr.

    Zagatta: Können Sie aber mit Ihrer Arbeit da noch so fortfahren, wenn die Justizministerin, die Bundesjustizministerin sich durchsetzt? Die will ja, so hat sie angekündigt oder erwägt das zumindest, den Ankauf solcher CDs, solcher Daten untersagen.

    Lehmann: Also wenn das der Fall wäre, dann wäre tatsächlich ein guter Teil unserer Ermittlungsmöglichkeiten abgeschnitten, dann würden sich auch Steuerhinterzieher wieder mehr in Sicherheit wiegen können. Deswegen habe ich überhaupt kein Verständnis für diesen Vorschlag. Letztendlich geht es ja darum, eine Straftat zu verhindern, aufzudecken, und da darf ich dann nicht als Justizministerin einschreiten, um das auch noch zu behindern. Das ist schon ein merkwürdiges Rechtsverständnis.

    Zagatta: Manfred Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft in Nordrhein-Westfalen. Herr Lehmann, danke schön für das Gespräch!

    Lehmann: Bitte schön, gern geschehen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.