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"Der Einfluss der USA wird schwinden"

Der Publizist und Nahost-Kenner Michael Lüders glaubt nicht an einen Wechsel der US-amerikanischen Politik gegenüber Israel unter dem künftigen Präsidenten Barack Obama. Dazu sei die pro-israelische Lobby in Washington zu groß. Die USA könnten neben dem Irak und Afghanistan wegen der Wirtschaftskreise ihre Verpflichtungen gegenüber Israel nicht mehr in vollem Umfang aufrechterhalten, so Lüders.

Michael Lüders im Gespräch mit Stefan Heinlein | 30.12.2008
    Stefan Heinlein: Die vollständige Vernichtung der Hamas ist das erklärte Kriegsziel der Regierung Olmert. Auch in der Nacht ging der Bombenhagel der israelischen Luftwaffe auf den dicht besiedelten Gaza-Streifen weiter. Die Folge: immer wieder sterben auch unschuldige Frauen und Kinder. Auch die Hamas setzt unvermindert auf die militärische Karte und feuert weiter ziellos Kassam-Raketen auf den Süden Israels. Unterdessen scheint der Beginn einer Bodenoffensive nur eine Frage von Tagen. Immer mehr Panzer und Bodentruppen werden rund um den Gaza-Streifen stationiert.
    Die Eskalation im Nahen Osten fällt mitten in ein politisches Vakuum in den USA. Der scheidende Präsident Bush hat schlicht nichts mehr zu sagen, und Barack Obama hält sich noch zurück. Entsprechend dünn sind bisher die Reaktionen aus Washington. Erst nach seiner Amtseinführung Mitte Januar kann der neue Präsident politisch und diplomatisch aktiv werden. Die Hoffnungen auf einen Durchbruch im Nahen Osten sind allerdings gering. Zu lange hat die Regierung Bush den Nahost-Konflikt ignoriert und zu einseitig war die Parteinahme zu Gunsten Israels.
    Am Telefon in Berlin begrüße ich jetzt den Publizisten und Nahost-Experten Michael Lüders. Guten Tag, Herr Lüders.

    Michael Lüders: Schönen guten Tag!

    Heinlein: Teilen Sie die Einschätzung Ihres amerikanischen Kollegen, den wir gerade gehört haben, ein Frieden, selbst ein Waffenstillstand im Nahen Osten bleibt derzeit in weiter Ferne?

    Lüders: Ich fürchte, dass Herr Miller Recht hat. Es sieht in der Tat nicht danach aus, als würden sich die Kontrahenten in den nächsten Wochen oder Monaten auf eine friedliche Lösung verständigen. Das ist umso tragischer, als natürlich die gemäßigten Kräfte auf beiden Seiten wissen, dass eine Lösung nur darin bestehen kann, die Perspektive für einen lebensfähigen unabhängigen palästinensischen Staat aufzuzeigen, aber diese Perspektive gibt es im Augenblick nicht. Aus guten Gründen mag Israel mit der Hamas nicht verhandeln, aber andererseits bekommt ja auch Mahmud Abbas, der säkulare Präsident der Fatah und der PLO im Westjordan-Land, keine wirklichen Angebote von den Israelis, um dem Ziel eines eigenen Staates näher zu kommen, und es steht zu befürchten, dass bei den ebenfalls für nächstes Jahr anberaumten Wahlen in den palästinensischen Gebieten im Westjordan-Land die Hamas auch dort ihren Siegeszug fortsetzen wird.

    Heinlein: Blicken wir noch einen Moment auf die amerikanische Rolle im Nahen Osten. Wie beeinflusst das derzeitige Machtvakuum in Washington den Verlauf dieser Offensive und die Perspektiven für die Zukunft?

    Lüders: Nüchtern gesehen gibt es nicht wirklich ein Machtvakuum, denn die amerikanische Regierung hat wie in den vergangenen Jahren auch der israelischen grünes Licht gegeben für diese Militäroperation. Die israelische Regierung unternimmt solche Aktionen nicht, ohne sich vorher in Washington abzusichern und grünes Licht einzuholen. Das hat sie bekommen. Die Einschätzung der amerikanischen Regierung ist eindeutig: allein die Hamas trage Verantwortung für die Eskalation. Dieser Sichtweise hat sich auch die Bundesregierung, hat sich auch Frau Merkel angeschlossen. Das ist natürlich eine Sichtweise, die den Realitäten beim besten Willen nicht gerecht wird. Beide Seiten haben hier ihre Verantwortung zu tragen, und diese einseitigen Schuldzuweisungen machen es natürlich auch schwieriger, die beiden Kontrahenten zu einem späteren Zeitpunkt zu Verhandlungen zu bewegen. Die große Gefahr besteht darin, dass dieser Konflikt eben nicht auf den Gaza-Streifen begrenzt bleibt, sondern einen Flächenbrand auslösen könnte - spätestens dann, wenn die Hisbollah im Libanon sich auf Seiten der Hamas in diesen Krieg einmischt.

    Heinlein: Grünes Licht aus Washington für die israelische Militäroffensive, sagen Sie. Wie wird sich vor diesem Hintergrund die neue amerikanische Nahost-Politik von Obama unterscheiden von der seines Vorgängers George Bush?

    Lüders: Das ist eine sehr berechtigte Frage, und die Hoffnungen in Israel unter den gemäßigten Israelis wie auch in der arabischen Welt unter den gemäßigten Kräften dort sind sehr hoch, dass es zu einer Änderung der amerikanischen Politik kommen möge. Aber man muss nüchtern konstatieren, dass der Bewegungsspielraum für einen neuen amerikanischen Präsidenten relativ begrenzt ist. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der Einfluss der pro-israelischen Lobby in Washington nicht zu unterschätzen ist. Kein amerikanischer Präsident und auch nicht der amerikanische Kongress macht gegen diese Lobby dauerhaft Politik, und die Prioritäten sind ja eindeutig verteilt. Die sehr engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Israel werden anhalten. Auch Präsident Obama mag hier neue Akzente setzen, aber er wird die Politik nicht neu bestimmen. Allerdings nimmt der Einfluss der USA in der Region ab. Er dürfte zumindest in den nächsten Jahren weniger werden, aufgrund der massiven Wirtschaftskrise. Die USA werden nicht mehr in der Lage sein, ihre militärischen Lasten im Irak, in Afghanistan und ihre Verpflichtungen gegenüber Israel auf diesem Gebiet in vollem Umfang aufrecht zu erhalten. Der Einfluss der USA wird schwinden und parallel dazu werden andere Akteure im Nahen Osten auftreten, allen voran China, und dann könnte ein neues Koordinatensystem entstehen, in dem auch palästinensische Belange stärker in die internationalen Verhandlungen eingebracht werden.

    Heinlein: Stichwort "israelische Lobby in Washington", Herr Lüders. Mit Hillary Clinton als Außenministerin und dem Stabschef Rahm Emanuel sind ja zwei Schlüsselpositionen im künftigen Kabinett Obama mit israelfreundlichen Politikern besetzt. Ist das für Sie ein klarer Fingerzeig, wohin die Reise des künftigen US-Präsidenten im Nahen Osten geht?

    Lüders: Zumindest die arabische Zeitung "Al Hayat" – die arabische "FAZ", wenn ich so sagen darf – sieht es genau so. Hillary Clinton wird mit großer Skepsis gesehen aufgrund ihrer engen Verbindung mit Israel. Nicht gute Beziehungen zu Israel an sich sind aus Sicht arabischer Kommentatoren das Problem, sondern die einseitige Parteinahme für israelische Positionen. Die arabische Sichtweise ist kurz gefasst diese: Die USA werden Israel weiterhin unterstützen in einer mehr auf militärischen Überlegungen als politischen Analysen fußenden Politik, und das Ergebnis könnte sein, dass die Israelis sich ermutigt fühlen, diese Konfrontation auszudehnen – nicht nur auf die Hamas und auf die Hisbollah, sondern auch möglicherweise in Richtung Syrien und den Iran.

    Heinlein: Ist die Bodenoffensive nur eine Frage der Zeit?

    Lüders: Ich denke, in dem Moment, wo die Hamas in Israel Vergeltung üben wird und sehr viele Israelis als folge solcher Selbstmordanschläge sterben, wenn dieses Szenario eintreten sollte, dann wird aus der Logik israelischem militärischen Denkens heraus sicherlich eine weitere Vergeltung erfolgen. Das könnte dann der militärische Einmarsch mit Panzern im Gaza-Streifen sein. Noch schreckt man davor zurück, denn die Gefahr ist groß, dass dabei auch viele israelische Soldaten sterben, aber nichts desto Trotz: Sollte es zu diesem Szenario kommen, dann wird man sicherlich auch die Soldaten mit einer Bodenoffensive in den Gaza-Streifen schicken. Interessant ist: je nachdem, wie sich der Krieg weiter entwickelt, wird sich entscheiden, wer von den beiden Kontrahenten, Tzipi Livni und Benjamin Netanjahu, den Sieg davonträgt. Sollte es zu Selbstmordanschlägen kommen, wird Benjamin Netanjahu argumentieren können, dass Tzipi Livni und ihre Regierung eine schlechte Hand in der Kriegsführung gehabt haben. Das dürfte ihn dann beflügeln. Sollte es nicht zu Selbstmordanschlägen kommen, dann wird wohl Tzipi Livni ihren Vorsprung in den Meinungsumfragen, den sie seit der Gaza-Offensive gewonnen hat, sicherlich fortsetzen können.

    Heinlein: Es ist also kein Zufall aus Ihrer Sicht, dass diese Offensive jetzt zu dem Zeitpunkt während des israelischen Wahlkampfes begonnen wird. Geht es darum zu demonstrieren, wer härter mit der Hamas umgeht?

    Lüders: Unterm Strich gesehen spielt das eine wesentliche Rolle. Der Wahlkampf in Israel ist ein wesentliches Motiv für diesen Krieg zu diesem Zeitpunkt. Die Vorbereitungen haben ja schon vor einem halben Jahr begonnen, wie wir hören. Hinzu kommt natürlich, dass man auch in Israel sich überlegt hat, wir wissen nicht genau, in welche Richtung Barack Obama gehen wird, wir wollen ihn auch nicht in Verlegenheit bringen, dass während der Amtsübernahme noch Krieg im Gaza-Streifen geführt wird, wir wollen es also rechtzeitig vorher hinter uns bringen. Also die Wahltermine beziehungsweise die Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten am 20. Januar und der israelische Wahlkampf im Februar, sie spielen eine Rolle, aber auch der Wunsch der israelischen Armee, ihre Schmach zu tilgen, denn der Libanon-Krieg im Sommer 2006 war kein Ruhmesblatt für die israelische Armee. Nun will man wieder Stärke demonstrieren, um möglichen Feinden zu zeigen: wir, die israelische Armee, wir sind militärisch die wichtigste und stärkste Kraft im Nahen Osten und das werden wir auch bleiben.

    Heinlein: Heute Mittag im Deutschlandfunk der Nahost-Experte Michael Lüders. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Lüders: Tschüß!