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Der Eiserne Vorhang und der Klimawandel

Es ist eine wenig beachtete Komponente des Kalten Kriegs: Die weltpolitischen Interessen der USA und der Sowjetunion trieben die Wissenschaft massiv an. Erkenntnisse über den Klimawandel beispielsweise gründen auf Forschungen der 80er-Jahre. Dabei gab es sogar Austausch zwischen den Mächten, auch zwischen West- und Ostdeutschland.

Von Bettina Mittelstraß | 03.10.2013
    Das Ende des Zweiten Weltkriegs war in gewisser Weise ein Startschuss für Wissenschaft, sagt Kärin Nickelsen, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Ludwig-Maximilians Universität München.

    "Die Wissenschaft ist unglaublich gewachsen, einerseits eben quantitativ, dass sehr, sehr viel mehr Leute dort engagiert sind, andererseits in dem Sinne, wie viel Geld investiert wird, wie wichtig Wissenschaft wird aus nationaler Perspektive. Und wenn wir in ein System, das schon während des Krieges ja sehr, sehr gewachsen ist - wir kennen die großen Projekte der Atombombe oder der Radartechnologie - wenn dieses System dann nach dem Kriegsende, der ja kein Friedensschluss ist, sondern Kriegsende, weitergefördert wird, natürlich ergeben sich da neue Dynamiken."

    "Wissenschaften werden nicht nur nebenbei gefördert im Kalten Krieg, sondern sie spielen eine strategische, militärische und auch eminent politische Rolle im Kalten Krieg. Deswegen wird eine ganze Palette von Schlüsselwissenschaften gefördert."

    Erste sowjetische Atombombe im Museum in der sowjetischen Nuklearstadt Arsamas-16, heute SarowUnd dabei ging es nicht nur um Raketen- und Computertechnologie, sagt der Wissenschaftshistoriker Christian Kehrt, Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg. Für das Militär waren zum Beispiel auch sämtliche Daten zur globalen Umwelt von enormem Interesse.

    Erkenntnisse fließen in heutiges Verständnis des Klimawandels ein
    "Der besondere Fokus jetzt hier war die Atmosphäre, der Meeresboden und die Ozeane, auch die Polarregionen, weil es genuin globale Räume sind, und das Militär aus Kalten Kriegs-Interessen Wert darauf legte, Wissen über die Erde als solche zu gewinnen - und zwar nicht einfach nur, um mehr Wissen über die Theorie der Erde zu haben, sondern um global in der Lage zu sein, Krieg zu führen. Also der Hintergrund ist schon der Atomkrieg und die Ausweitung des amerikanischen oder sowjetischen Machtsystems, und dies gelang mit Hilfe von Wissenschaften. Die Wissenschaften liefern eben die ganz notwendigen Daten über Wind, Wetter, Wasser, Gezeiten, Eisverhältnisse und so weiter."

    Mit anderen Worten - ausgerechnet die politische Großwetterlage des Kalten Krieges lieferte eine Wissensbasis, die heute in das Verständnis des globalen Klimawandels einfließt.

    "Diese riesigen Datenmengen und Langzeitmessungen wurden da gefördert und gepflegt, auch die CO2-Messungen gehen auf diese Zeit zurück und auch die Eiskernbohrungen, die fanden eben in diesen militärischen Anlagen in Grönland und auch in der Antarktis statt, die durch das Militär ermöglicht wurden. Die Erkenntnis ist im gewissen Sinne ein bisschen paradox, dass quasi das Militär eine Umweltforschung fördert, die heute dann für ein ökologisches Bewusstsein da ist und das unterfüttert."

    Natürlich waren solche Forschungen und ihre Ergebnisse zur damaligen Zeit geheim und unter Verschluss - das bezog sich möglichst auch auf die Köpfe der Wissenschaftler. Christian Forstner, Wissenschaftshistoriker an der Universität Jena:

    "Wenn man sich so die frühe heiße Phase - Koreakrieg - anschaut, in der Phase war es sicherlich der Austausch relativ massiv blockiert, also beispielsweise der berühmten Physiker Feynman wollte '55 zu einer Allunionskonferenz in die Sowjetunion reisen, zum Thema Tieftemperaturphysik, also explizit Grundlagenforschung, fern jeder Anwendung zum damaligen Zeitpunkt. Ihm ist der Pass vonseiten der USA verweigert worden, also ein ganz massiver Bruch zu dieser Zeit."

    Wer das Wissen beherrscht, sichert auch die eigene Überlegenheit
    Trotzdem ist die Vorstellung des Eisernen Vorhangs als undurchdringliche Barriere, die jeglichen Wissensfluss hemmte, auch falsch, sagt Christian Forstner. Manches Wissen sollte die USA sogar gezielt verlassen. Zum Beispiel exportierte man Atomreaktoren zur friedlichen Nutzung der Kernkraft - mit dem dazugehörigen Know-how.

    "Wissensfluss kann dazu beitragen, eine bestimmte hegemoniale Position von einer Macht zu sichern. Klassisches Beispiel hierfür wären die "Atoms for Peace"-Reaktoren, die in zahlreiche westliche Staaten von den USA geliefert worden sind, ein Komplettpaket aus Technik, Brennstäben, Ausbildung und Entsorgung. Man hat einerseits die Technik zur Verfügung gestellt, andererseits verhindert, dass die Staaten Anreicherungstechniken entwickeln. Eine ganz aktuelle Diskussion, wie man sie jetzt zum Beispiel im Iran hatte."

    Wer das Wissen beherrscht, sichert auch die eigene Überlegenheit. Ein kontrollierter Transfer von Wissenschaft und Technik ist bis heute gewollt. Blickt man auf die deutsch-deutsche Wissenschaftsgeschichte während des Kalten Krieges, dann lässt sich selbst hier Austausch unter Wissenschaftlern feststellen, wo rein ideologisch keiner sein durfte. Man traf sich auf Konferenzen in Polen, aber auch in der DDR. Friedrich Steinle, Professor am Innovationszentrum für Wissenschaften der Technischen Universität Berlin und Vorsitzender der Fachvereinigung für Wissenschaftsgeschichte:

    "Eine der wenigen Institutionen, die erfolgreich versucht hat, eine gesamtdeutsche Institution zu bleiben, ist die Leopoldina, die deutsche Akademie der Naturforscher, der es gelungen ist, Forscher aus Ost- und Westdeutschland regelmäßig zusammenzubringen. Und da ist auch die DDR-Führung nicht rangegangen, ganz erstaunlich, das ist wirklich ein sehr interessantes Kapitel deutsch-deutscher Wissenschaftsgeschichte."

    Dass die DDR den wissenschaftlichen Austausch mit dem kapitalistischen Ausland auch gezielt suchte, zeigt ein einziges Objekt - das gigantische Dinosaurierskelett aus dem Berliner Museum für Naturkunde. 1984 wurde es auf die Reise nach Japan geschickt, erzählt Ina Heumann, Mitarbeiterin am Forschungsmuseum und Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung. Er sollte in einer Ausstellung über die Humboldt-Universität die immateriellen Leistungen der DDR präsentieren und: Wissensflüsse in Bewegung setzen!

    "Das ist einfach eine Geschichte, in der sich ganz viele unterschiedliche Ströme verbinden, nämlich wirtschaftsgeschichtliche Interessen der DDR, die versucht hat, sich auch durch den Dinosaurier, der eben auf die Reise geschickt wurde, neue Wirtschaftspartner zu schaffen. Die DDR war fast pleite in den 80er-Jahren und brauchte also dringend neue Märkte und musste sich neue Märkte erschließen, musste auch an Technologien kommen, die sie eben versuchte über Japan in die DDR zu holen."

    Atomkraftwerk Biblis
    Die USA exportierten ihr Wissen zur friedlichen Nutzung von Atomkraft (dpa / picture alliance / Boris Roessler)
    Dinosaurier im Naturkundemuseum Berlin
    Dinosaurier im Naturkundemuseum Berlin (Janine Wergin/dradio.de)
    Schlüpfrige Ausgrabungsgeschichte
    Umgekehrt sollte mit dem Dino die Geschichte seiner Entdeckung übermittelt werden - inklusive einer kleinen politisch motivierten Korrektur, möglich gemacht durch das Weglassen von Wissen.

    "Der Dinosaurier wurde in Deutsch-Ostafrika ausgegraben unter großer Beteiligung von Geldern von dem deutschen Bildungsbürgertum und auch der deutschen Industrie - also genau jeden Bevölkerungsschichten, von denen sich auch die DDR ganz vehement distanzieren musste. Und in Japan wurde dann die ganze Ausgrabungsgeschichte, die Kolonialgeschichte des Objekts als eine reine Wissensgeschichte erzählt, also als eine Geschichte, dass man hier mit Wissensdurst nach Tansania gefahren ist, um Dinge zu bergen. Und das war einfach ein Ausweis der humanistischen Grundhaltung der DDR."

    Wissenschaftliches Wissen war zur Zeit des Kalten Krieges also gewissermaßen schlüpfrig - schwer festzuhalten oder biegsam und anpassungsfähig. Kärin Nickelsen betont, dass die politische Situation in vielen Nischen auch Wissensflüsse zuließ, an die vorher keiner so gedacht hatte, nämlich erste Verknüpfungen zwischen Disziplinen.

    "Wenn man kleine Felder anschaut, zum Beispiel die Fotosynthese-Forschung, das ist ein sehr, sehr überschaubarer Bereich in dieser Zeit, also sagen wir 1940 bis 1960, der aber sehr profitiert, dass Leute aus der Physik, aus der Chemie, aus ganz anderen Feldern sich punktuell dafür interessieren, eine Methode kennen, von der sie denken: Mensch, da kann ich jetzt einen Beitrag leisten, ein kleines Problem lösen. Und das tun sie, machen eine Publikation oder eine Kollaboration mit jemandem und machen dann aber weiter mit ihren eigentlich ursprünglichen Forschungsinteressen. Aber der Beitrag, den sie gemacht haben, der bleibt im Feld und bereichert das Feld und stößt neue Dinge an."

    Der Grund ist überraschend einfach.

    "Man hat die Geräte noch da von einer Forschungsrichtung, die nicht mehr weitergeführt wird - Atombombe oder Wasserstoffbombe, andere Bereiche. Naiv betrachtet denkt man häufig, eine Forschungsfrage ergibt sich, indem ich nachdenke: Was ist spannend, was kann ich beitragen? Und manchmal ist es so einfach, dass ich eine Methode habe und mir überlege - was kann ich jetzt machen mit diesem Gerät?"

    Heute: Angst vor China
    Heute ist der Eiserne Vorhang eingerissen, die Welt global vernetzt, internationaler und transdisziplinärer Austausch ist in den Wissenschaften Alltag. Wer denkt, der freie Fluss des Wissens stieße daher auf keine Grenzen mehr, der irrt. Der Wissenschaftshistoriker John Krige lehrt am Georgia Institute of Technology in Atlanta. Die technische Hochschule gilt neben dem MIT als eine der besten für Ingenieurswissenschaften in den USA. Jedes Jahr werden hier auch mehrere Tausend begabte junge Menschen aus anderen Nationen ausgebildet. Weil darunter jede Menge Chinesen sind, bekommen Forschungsbereiche inzwischen Besuch vom FBI. Die Angst geht um vor dem Abfluss technologischen Wissens in Länder, die der USA militärisch aber vor allem auch ökonomisch schaden können oder wollen.

    "China sorgt im Moment für enorme Beunruhigung, weil sich das Land aus Sicht der USA nicht an Spielregeln hält. Die Argumentation geht so: Wenn man von amerikanischer Wissenschaft und Technologie lernen will, dann ist eine amerikanische Universität der beste Platz dafür. Denn amerikanische Universitäten sind offen! Diese Offenheit kann ausgenutzt werden. Und so heißt es jetzt, dass sich chinesische Spione auf jedem wichtigen amerikanischen Forschungs- und Ingenieurcampus befinden."

    Für die Wissenschaftler bedeutet das die Einrichtung von Sicherheitsmechanismen. Wie im Kalten Krieg, erzählt John Krige, wird der Wissenstransfer um der nationalen Sicherheit Willen eingeschränkt. Das Handelsministerium der Vereinigten Staaten hat dabei Forschung im Blick, die sowohl zivil als auch militärisch angewendet werden kann. In diesen sehr breit definierten Bereich fällt zum Beispiel alles, was mit Netzsicherheit zu tun hat. Hat ein Professor chinesische Doktoranden, die dazu forschen, wird er angehalten, gut aufzupassen. Ganz praktisch werden dann amerikanische und chinesische Doktoranden voneinander isoliert, wenn es um sensibles Wissen geht, oder aber die Forschungsleiter halten Wissen zurück.

    "Die Freiheit wissenschaftlicher Forschung ist davon absolut betroffen. Diese Idee, frei zu erforschen, was man möchte, die offene Diskussion, dem Argument folgen, wo immer es dich hinführt - das ist vorbei. Das macht man nicht mehr. Diese Freiheit verschwindet an vielen amerikanischen Hochschulen schon länger, weil Wissen Privatbesitz wird. Viele Menschen auf dem Campus sind Unternehmer, viele Fakultäten melden eigene Patente an. Das ist möglich. So entsteht eine Kultur von Nicht-Offenheit, nicht ganz frei zu sein in dem, worüber du reden willst, weil du das Ergebnis vielleicht patentieren lassen willst."

    Wissenschaftler, die sich egal aus welchen Gründen auch gegenüber Chinesen keinen Maulkorb anlegen lassen wollen, brauchen eine amtlich bestätigte Redeerlaubnis.

    Bei einer Vorlesung für Betriebswirtschaftslehre an der TU Chemnitz sitzen unter den Studenten viele Chinesen.
    Bedrohung chinesische Studenten: Die USA fürchten ein Wissensabfluss (picture alliance / dpa / Wolfgang Thieme)
    Keine Wehr gegen Restriktionen
    "In einer Vorlesung auf amerikanischem Boden kann es passieren, dass Du eine Lizenz brauchst, um dein Wissen zu exportieren, wenn Ausländer im Raum sind. Man kann das machen - aber man braucht eine Lizenz! Und diese Lizenz bekommt man vom Amt für Industrie und Sicherheit im Handelsministerium. Dieses Büro gibt es - auch klar - seit 2001, genau aus der Angst heraus, als Amerika unter starke Bedrohung geriet. Es beschäftigt sich mit sämtlichen Exporten von Hochtechnologie und insbesondere mit dem Export von Wissen."

    Etwas ist anders als zur Zeit des Kalten Krieges. Auch das ist erschreckend: Niemand setzt sich heute in Amerika mehr gegen die Restriktionen und die Kontrolle des wissenschaftlichen Austausches zur Wehr, sagt John Krige.

    "Zum Beispiel in der McCarthy Zeit - da haben sich die Menschen heftig beschwert. Auch in den 1980er-Jahren, als Sowjetbürgern nicht erlaubt wurde, das MIT zu besuchen, weil es hieß, die Sowjets klauen unsere Technologie. Da explodierten die Fakultäten vor Wut und haben betont: Das ist ein freier und offener Austausch, das ist, was internationale Wissenschaft bedeutet! Heute redet kein Mensch mehr so. Warum reden die nicht mehr darüber? Weil die Strafen für die Verletzung der Sicherheitsforderungen extrem hoch sind. Persönlich kannst Du im Gefängnis landen, wenn du bewusst sagst: Ich gebe Wissen weiter, ich halte mich nicht an die Beschränkungen. Dann drohen 10 Jahre Gefängnis."