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Der Embryo - "nur Wasser" oder "Mensch von Anfang an"?

Die monotheistischen Weltreligionen haben zur Frage der Abtreibung ganz eigene Positionen, die zum Teil auf sehr alten Traditionen gründen. Dabei hat das Christentum von Anfang an eine Sonderrolle gespielt.

Von Monika Konigorski | 02.07.2012
    "Es gibt mehrere Positionen zum Thema Schwangerschaftsabbruch in der islamischen Welt. Die Bestimmung dieser Positionen hängt oft von der moralischen Bewertung der Embryonenbeseelung ab","

    erklärt der muslimische Medizinethiker Ilhan Ilkilic vom Mainzer Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Generell komme dem Leben und seiner Bewahrung im Koran ein hoher Stellenwert zu. Im heiligen Buch der Muslime selbst finden sich keine Aussagen zum Thema Abtreibung. Aber es gibt Aussprüche des Propheten Mohammed zur Frage, wie Leben im Mutterleib zu bewerten ist. Wie etwa der folgende Hadith aus der Sammlung von Al-Buchari.

    "Wenn einer von euch geschaffen wird, so wird er im Leib seiner Mutter vierzig Tage lang zusammengebracht. Dann ist er dort ebenfalls ein Blutklumpen, dann ist er dort ebenfalls ein Fleischklumpen, dann wird ihm der Engel geschickt, der ihm die Seele einhaucht."

    Ob diese Beseelung am vierzigsten Tag oder am hundertzwanzigsten Tag stattfindet, oder - wie aus einem anderen Ausspruch gefolgert werden kann – am zweiundvierzigsten Tag – dazu gibt es unterschiedliche Lehrmeinungen. Auch die Frage, ob dem beseelten Fötus ein anderer moralischer Status zukommt als dem unbeseelten, ist umstritten.

    Medizinethiker Ilhan Ilkilic.

    ""Also vor allem in der Türkei vertreten zahlreiche muslimische Ethiker bzw. Rechtsgelehrte die Meinung, dass Embryonenbeseelung als solche nicht unbedingt ein moralisch relevanter Zeitpunkt ist, sondern nach der Befruchtung der Eizelle hat das menschliche Leben begonnen und danach soll ein Schwangerschaftsabbruch nur unter bestimmten Bedingungen stattfinden."

    Auch über diese Bedingungen herrscht Uneinigkeit. Diskutiert wird, ob medizinische Gründe einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen können, oder auch soziale Schwierigkeiten, Geldmangel oder eine uneheliche Zeugung. Steht allerdings das Leben der Mutter gegen das Leben des Kindes, ist nach muslimischer Überzeugung ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt – zur "Vermeidung größeren Übels" – wie es zur Begründung heißt:

    "Fast jeder muslimische Rechtsgelehrte ist mit der Position einverstanden: Wenn jetzt das Leben der Mutter durch eine Schwangerschaft gefährdet ist, dann darf ein Schwangerschaftsabbruch stattfinden."

    Das ist im Christentum nicht ganz so eindeutig. Die römisch-katholische Kirche vertritt selbst in diesem Extremfall eine differenzierte Position. Auch wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, ist die direkte Tötung des Fötus verboten. Papst Johannes Paul II. hatte dies im Jahr 1995 in der Enzyklika "Evangelium Vitae" ausdrücklich klargestellt. Es könne aber erlaubt sein, eine Behandlung der Mutter durchzuführen, die den Tod des Embryos als unvermeidliche Konsequenz zur Folge hat. Stephan Goertz, katholischer Moraltheologe an der Universität Mainz:

    "Das ist die Position, die sich so in den letzten 150 Jahren herauskristallisiert hat, und da kennt man auch keine Ausnahme in der offiziellen Lehre."

    Die deutschen katholischen Bischöfe setzen sich allerdings vom Vatikan ab, ergänzt Moraltheologe Goertz:

    "Die Deutsche Bischofskonferenz ist da etwas vorsichtiger, und spricht zumindest von der Möglichkeit, wenn die Gefahr für die Mutter besteht, bei Lebensgefahr für die Mutter, dass auch der Arzt dann eine Gewissensentscheidung vornehmen darf."

    Die Position wird aber von der römischen Kirche so nicht geteilt.

    Die ablehnende Haltung zum Schwangerschaftsabbruch kennzeichnete die Christen von Beginn an. Im Unterschied zu ihrer Umwelt argumentierten die Anhänger des "neuen Weges" schwaches menschliches Leben unbedingt zu schützen. Dazu zählte bereits die frühe Kirche auch das ungeborene Leben.
    In der Didache, einer Quellensammlung, die etwa auf das Jahr 100 n. Chr. datiert wird, heißt es:

    "Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht Knaben schänden, du sollst nicht ein Kind durch Abtreibung morden, und du sollst das Neugeborene nicht töten."

    Auch die sogenannten Kirchenväter wie Clemens von Rom, Johannes Chrysostomos und Basilius von Caesarea verurteilten die Abtreibung. Und Tertullian schrieb in seinem Werk Apologeticum am Übergang vom zweiten zum dritten nachchristlichen Jahrhundert:

    "Ein vorweggenommener Mord ist es, wenn man eine Geburt verhindert; es fällt nicht ins Gewicht, ob man einem Menschen nach der Geburt das Leben raubt oder es bereits im werdenden Zustand vernichtet. Ein Mensch ist auch schon, was erst ein Mensch werden soll."

    Auch im Christentum wurde allerdings zwischen beseelten und unbeseelten Embryonen unterschieden - bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Für diese Auffassung waren die Schriften des griechischen Philosophen Aristoteles prägend. Er ging davon aus, dass die Beseelung des Menschen eine Entwicklung darstellt. Einflussreiche mittelalterliche Theologen wie Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin übernahmen diese Theorie. Thomas unterschied zwischen den Entwicklungsstufen des lebendigen Wesens, des Tieres und erst zuguterletzt des Menschen. Ein Fötus oder Embryo sei formlos, erst wenn die Mutter das Kind im Leib spüre, habe die Seele im Embryo Einzug gehalten.

    Anders als im Islam oder Judentum wurde im Christentum dennoch strikt jeder Schwangerschaftsabbruch verurteilt. Stephan Goertz:

    "Und das ist im Grunde nur dadurch zu erklären, dass man einen Bezug hergestellt hat zur Sexualmoral. Also eine Abtreibung hätte signalisiert, dass man Sexualität rein um der Lust willen praktiziert hat. Und in diesem Kontext einer rigiden Sexualmoral ist dann auch jede Beendigung der Schwangerschaft als unmoralisch verurteilt worden."

    In der evangelischen Kirche schwindet dieser Konsens bereits seit den 1920er-Jahren. Die Protestanten fanden mehr und mehr zu einer Position, die Frauen nicht zur Austragung eines ungewollten Kindes zwingt. Dennoch hatten 1989 der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz eine gemeinsame Position unter dem Titel "Gott ist ein Freund des Lebens" formuliert. Demnach beginnt menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle.

    Wörtlich heißt es darin:

    "Schwangerschaftsabbruch soll nach Gottes Willen nicht sein. In einer äußersten Zuspitzung können die betroffenen Menschen in ihrem Gewissen aber dem Konflikt ausgesetzt sein, dass sie Gottes Gebot wohl als für sich verbindlich anerkennen, aber dennoch angesichts der unerträglich erscheinenden Schwierigkeit, in die sie die Schwangerschaft gebracht hat, für sich keinen Weg sehen, das ungeborene Kind anzunehmen."

    Die Souveränität einer Frau, über den Abbruch einer Schwangerschaft selbst zu entscheiden, ist am stärksten in der jüdischen Theologie ausgeprägt, betont die Frankfurter Rabbinerin Elisa Klapheck:

    "Die große Frage ist eigentlich nicht in erster Linie Abtreibung sondern das Verhältnis zwischen Embryo oder Fötus und Mutter. Und es ist völlig klar in allen Schriften: Das Leben der Mutter geht vor. Der Fötus ist nur ein Glied … eigentlich nur Wasser, … es ist ihr Eigentum, es ist ihr Körper, somit ist er auch ihr Eigentum."

    Als Mensch gilt der Fötus erst mit der Geburt, so die Rabbinerin.

    "Das Entscheidende ist, das auf die Welt kommen. Diese Erfahrung, die wir alle gemacht haben. Auf die Welt kommen, also vielleicht auch dieser Lebenskampf, bei dem man übrigens auch alles aus der Schwangerschaft vergisst. Gibt wunderschöne Zitate dazu, ein berühmtes ist, dass der Embryo, der schon fortgeschritten ist, alles weiß über das Leben, aber vor seiner Geburt gibt ihm Gott so eine Art Klapps und mit der Geburt vergisst er alles der Klapps damit entstehen die zwei Rillen über den Lippen. So ist die Rabbinische Legende über diesen Vorgang, aber Fakt ist man wird erst Mensch durch die Geburt. Und bis zu diesem Punkt ist die Abtreibung erlaubt."

    Für die jüdischen Positionen zu modernen medizinischen Verfahren wie Pränatal- oder Präimplantationsdiagnostik ist die Gesetzgebung in Israel prägend. Auch schwere Erbschädigungen des Fötus können für die Frau ein legitimer Grund für einen Schwangerschaftsabbruch sein.

    "Unter Juden allgemein ist das so, dass wir uns wünschen, dass sich das jüdische Volk erhält, wir sind ein kleines Volk, wir sind immer eine Minderheit, wir sind eigentlich auch immer ein bisschen vom Aussterben bedroht, und die Verfolgungen und so haben das Übrige dazu getan, insofern ist eine positive Einstellung zu allem, was mit Gebären, Leben gebären zu tun hat, aber eben auch das Recht der Mutter, gesunde Kinder zur Welt zu bringen."

    Zweifellos ist allen monotheistischen Religionen ein grundlegender Respekt vor dem menschlichen Leben gemeinsam. Ihre Positionen zur Abtreibung gehen allerdings weit auseinander, wenn es darum geht, den Beginn dieses Lebens zu bestimmen und die mögliche Konfliktsituation der betroffenen Frauen zu berücksichtigen.