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Der erste Eindruck zählt

Auf der Bildungsmesse didacta in Stuttgart erläutert Hirnforscher Gerhard Roth, was für die Leistung von Schülern wichtig ist: die Persönlichkeit des Lehrers. Vermasselt der den ersten Auftritt vor der Klasse, muss er die nächsten Jahre gegen das negative Bild von ihm ankämpfen.

Gerhard Roth im Gespräch mit Manfred Götzke | 23.02.2011
    Manfred Götzke: Neurodidaktik, das ist so ein Zauberwort, das hier auf der didacta immer wieder fällt. Dabei geht es darum, wie neurobiologische und auch psychologische Erkenntnisse fürs Lehren und Lernen genutzt werden können. Die Hirnforschung kann heute nämlich schon einiges darüber sagen, wie wir lernen. Nur bisher scheint das die Pädagogen und Erziehungswissenschaftler so gar nicht zu interessieren. Einer, der das ein bisschen ändern könnte, ist der Hirnforscher Gerhard Roth, eine der Koryphäen des Fachs. Gerhard Roth hat jetzt ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Bildung braucht Persönlichkeit: Wie Lernen gelingt". Herr Roth, was können Lehrer von der Hirnforschung lernen?

    Gerhard Roth: Also im Grunde eigentlich inhaltlich nix Neues, nämlich ein guter Lehrer weiß seit zweieinhalbtausend Jahren oder viel länger, was er richtig macht. Er weiß nur nicht, warum das so ist. Meist ist es so, dass die Hirnforschung erst mal gegenüber der Psychologie und beide gegenüber dem guten Lehrer eigentlich nur erklären können, warum ein guter Lehrer gut ist und ein schlechter Lehrer schlecht ist.

    Götzke: Das heißt, die schlechten Lehrer können lernen?

    Roth: Nein, auch die guten Lehrer erfahren natürlich, dass sie das gut machen, warum sie das gut machen. Das ist natürlich sehr wichtig, weil bei den Lehrern - das habe ich jetzt in den letzten Jahren erfahren, seit ich intensiv in Schulen gehe, mit Lehrern spreche und auch mich sogar auf die Schulbank setze -, weil diese Lehrer sehr verunsichert sind. Da muss man ihnen helfen. Da muss man sagen, ja, du machst es richtig, oder nein, das ist nicht ganz richtig. Zum Beispiel bei dem Ansinnen, man müsste sich als Lehrer verkrümeln, die Schüler müssten eigentlich alles selber machen, selbst organisiertes Lernen, das sei nun das einzig Wahre - das stimmt so gar nicht. Da sind aber Lehrer und Lehrerinnen sehr verunsichert, da muss man ihnen helfen.

    Götzke: Das heißt, wir brauchen wieder mehr Frontalunterricht?

    Roth: Nein, überhaupt nicht, sondern man muss einen Mix machen. Man darf auf den Frontalunterricht überhaupt nicht verzichten, sondern man muss nur sehen: Ein guter Unterricht muss den ganzen Vormittag dauern und muss einen Mix haben zwischen sagen wir mal 30 Minuten Frontalunterricht, wo der Lehrer das, was er überbringen will, wirklich professionell überbringt, auch mit seiner gesamten Persönlichkeit. Und dann muss sich eine Gruppenarbeit anschließen, zwei Stunden, zweieinhalb Stunden, und auch Einzelarbeit, zum Beispiel auch unterschiedlich für Normalbegabte, für Hochbegabte und für Minderbegabte.

    Götzke: Sie sagen in Ihrem Buch und auch in dem Vortrag vorhin, die Persönlichkeit, die Rolle der Persönlichkeit von Lehrern und Schülern werde absolut unterschätzt in Unterrichtskonzepten. Können Sie das noch mal ein bisschen erläutern?

    Roth: Wenn der Lehrer vor der Klasse steht, gerade als Klassenlehrer, und die Schüler ihn das erste Mal sehen, dann ist das - so hat man herausgefunden - eine Frage von wenigen Sekunden bis Minuten, dass Schüler einen ersten Eindruck vom Lehrer bekommen hinsichtlich seiner Vertrauenswürdigkeit, seiner Kompetenz, seiner Selbstwirksamkeit, seines Selbstvertrauens, und dieser erste Eindruck hat die fatale Neigung, die nächsten Jahre anzudauern. Das ist wirklich so, nicht nur in der Schule, sondern überall so, und wenn der Lehrer das beim ersten Mal nicht richtig macht, dann kämpft er die nächsten Jahre gegen diesen negativen Ersteindruck an. Also die Persönlichkeit des Lehrers und auch die des Schülers, die ja nun sehr vielfältig ist, gibt den emotionalen Rahmen für die kognitiven Leistungen von Lehrenden und Lernenden.

    Götzke: Das heißt, Lehrer sollten lernen, Kompetenz vorzutäuschen?

    Roth: Nein, das kann man - also außer wenn man zu den 0,1 Prozent der Psychopathen gehört, was man ja nicht hofft, kann man es nicht vortäuschen. Man kann nur kompetent wirken und vertrauenswürdig wirken, wenn man vertrauenswürdig und kompetent ist. Aber man kann an dem äußeren Erscheinungsbild doch etwas üben. Und dieser erste Eindruck ist eben die Widerspiegelung unserer zum großen Teil unbewussten Antriebe des limbischen Systems, über die hinweg man schwer oder gar nicht lügen kann. Und das kriegen die Kinder mit, und wir kriegen das in jeder kommunikativen Begegnung mit. Und das kann man nicht auslöschen.

    Götzke: Jetzt ist ja die Hirnforschung nicht gerade vorgestern erfunden worden. Wie kommt es, dass diese Erkenntnisse, von denen Sie ja selber sagen, sie sind alle gar nicht mal so neu, dass die in der Pädagogik und in den Erziehungswissenschaften, die die Lehrer in der Ausbildung mitbekommen, dass das da nicht stattfindet? Wie erklären Sie sich das?

    Roth: Jeder Lehrer meint: Ich muss und darf gar keine Didaktik- und Pädagogikbücher lesen, erst recht nicht von Hirnforschern, weil ich ja der Experte bin. Und über den eigenen Schatten hinwegzuspringen ist schwer, genauso für die Pädagogikprofessoren und Didaktiker, die wollen ja auch nur mit Mühen etwas aus der Hirnforschung lernen. Umgekehrt dürfen die Hirnforscher nicht so hirnrissig sein, dass sie meinen, ich brauche das nur denen zu sagen, schon ist das von denen akzeptiert. Das ist natürlich überhaupt nicht der Fall.

    Götzke: Und was wäre die Lösung - Abschaffung von Erziehungswissenschaften und stattdessen ein bisschen Hirnforschung in der Lehrerausbildung?

    Roth: Na ja, das sagen ja manche meiner Kollegen, das halte ich für völlig falsch. So toll die Erkenntnisse der Psychologen und Hirnforscher sind, sie müssen von professionellen Didaktikern und Pädagogen in didaktisch-pädagogische Konzepte eingegossen werden. Das können die Hirnforscher gar nicht. Niemand hat da das Allein-Vertretungsrecht, am wenigsten die Hirnforscher.

    Götzke: Sagt der Hirnforscher Gerhard Roth, Autor des Buches "Bildung braucht Persönlichkeit". Vielen Dank für das Interview!