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Der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr

Vor zehn Jahren musste der Bundestag erstmals in der Geschichte über den Kriegseinsatz deutscher Soldaten entscheiden. Das Parlament stimmte über eine Beteiligung der Bundeswehr an der militärischen Intervention der NATO-Luftstreitkräfte im Kosovo-Konflikt ab. Neben der PDS versagten nur einige wenige Abgeordnete von Grünen, SPD und FDP ihre Zustimmung.

Von Andreas Zumach | 16.10.2008
    "Liebe Kolleginnen und Kollegen: die Sitzung ist eröffnet. Mit Schreiben vom 12.Oktober 1998 hat mich der Bundeskanzler gebeten, für Freitag, den 16.10. eine Sitzung des 13. Deutschen Bundestages einzuberufen, um eine Beschlussfassung herbeizuführen zur deutschen Beteiligung an den von der NATO begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen im Kosovo-Konflikt."
    Am 16.Oktober 1998 mussten die Abgeordneten erstmals seit Gründung der Bundesrepublik über einen Kriegseinsatz deutscher Soldaten entscheiden. Den entsprechenden Antrag der von CDU-Kanzler Helmut Kohl geführten schwarzgelben Koalitionsregierung begründete Außenminister Klaus Kinkel von der FDP:

    "Die heutige Sondersitzung des Bundestages ist nötig geworden, um eine friedliche Lösung des Kosovo-Konflikts durchzusetzen. Denn Präsident Milosevic hat auf die monatelangen Bemühungen der Staatengemeinschaft um eine politische Lösung nicht reagiert."
    Seit Frühjahr 1998 eskalierten in der zu 90 Prozent von Albanern bewohnten südserbischen Provinz Kosovo bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen serbischen Sicherheitskräften und der für eine Abspaltung der Provinz von Serbien kämpfenden Rebellenorganisation UCK. Die von der Regierung Milosevic in Belgrad entsandten Armee- und Polizeitruppen gingen auch gegen die albanische Zivilbevölkerung mit großer Brutalität vor.

    Zum Zeitpunkt der Bundestagsdebatte waren bereits weit über 50.000 Albaner aus ihren Häusern vertrieben worden. Der UNO-Sicherheitsrat in NEW York hatte in seiner Resolution 1199 vor einer humanitären Katastrophe gewarnt und Präsident Milosevic aufgefordert, alle offensiven Aktivitäten der von ihm befehligten Einheiten im Kosovo zu beenden. Doch Milosevic folgte dieser Aufforderung nicht.

    Kinkel: "Er ist der Hauptverantwortliche für die Tragödie im Kosovo."

    Dieser Feststellung von Außenminister Kinkel schlossen sich in der Debatte ausnahmslos alle Redner an.

    Bei der Bundestagswahl knapp drei Wochen vor dem 16. Oktober 1998 hatten SPD und Grüne die Mehrheit errungen. Der künftige Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein designierter Außenminister Joseph Fischer hatten bereits eine Woche nach der Wahl bei einem Besuch in Washington US-Präsident Bill Clinton die Beteiligung der Bundeswehr an einem eventuellen Krieg der NATO gegen Serbien zugesagt.

    Fischer: "Das Problem ist doch nicht nur die humanitäre Katastrophe- so schlimm sie ist. Das Problem ist, dass von der Politik der Bundesrepublik Jugoslawiens, von der Politik Milosevics - und ich sage nicht: des serbischen Volkes , sondern von der Politik Milosevics - eine dauerhafte Kriegsgefahr in Europa ausgeht. Und diese Kriegsgefahr können wir nicht akzeptieren."
    Für militärische Zwangshandlungen der NATO gegen Serbien fehlte allerdings das von der UNO-Charta zwingend vorgeschriebene Mandat des Sicherheitsrates. Dennoch hielt Bundesaußenminister Kinkel die militärische Drohung der NATO und einen eventuellen Krieg gegen Serbien für vereinbar mit dem Völkerrecht.

    Dieser Rechtsauffassung widersprach zwar eine Mehrheit der Völkerrechtler. Doch in der Bundestagsdebatte kritisierte lediglich die damalige PDS den geplanten Militäreinsatz der NATO ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates als Verstoß gegen das Völkerrecht. PDS-Fraktionschef Gregor Gysi monierte zudem die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft angesichts des bereits seit Ende der 80er Jahre eskalierenden Konflikte im Kosovo.

    Gysi: "Was hat die NATO, was hat die internationale Staatengemeinschaft, was hat die Bundesregierung, was haben wir alle - auch uns selbst einbezogen - in diesen Jahren seit 1989 real getan, um die Situation im Kosovo zu stabilisieren und den dort lebenden Menschen einen anderen Status zu geben, als sie ihn gegenwärtig haben?"
    Doch neben der PDS versagten bei der namentlichen Abstimmung schließlich nur einige wenige Abgeordnete von Grünen, SPD und FDP dem Antrag der Regierung zur Kriegsermächtigung ihre Zustimmung. Fünf Monate später, am 24. März 1999, begann die NATO unter Beteiligung der deutschen Luftwaffe ihren Krieg gegen Serbien. Knapp zehn Jahre danach hat das Kosovo mit Unterstützung der NATO-Staaten und unter Protest Russlands zwar seine Unabhängigkeit von Serbien gewonnen, ist aber wirtschaftlich und politisch noch auf lange Sicht kein überlebensfähiger Staat. Milosevic ist tot. Unter seinen Nachfolgern in Belgrad haben zumindest derzeit jene die Oberhand, die die Integration Serbiens in die Europäische Union befürworten.