Donnerstag, 25. April 2024

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Bonnie 'Prince' Billy mit "I Made A Place"
„Der erste und letzte Freak”

Seit einem Vierteljahrhundert ist Bonnie „Prince“ Billy der sonderbarste Sonderling in der US-amerikanischen Country-Szene. Mit „I Made A Place“ erscheint jetzt zum ersten Mal seit acht Jahren ein Album mit neuen Songs. Sie sind ebenso heiter wie unheimlich doppelbödig.

Jens Balzer im Kollegengespräch mit Fabian Elsäßer | 09.11.2019
Sänger Will Oldham bei einem Auftritt beim Eaux Claires Music Festival in Eau Claire, Wisconsin
Sänger Will Oldham alias Bonnie Prince Billy bei einem Live-Konzert (imago stock&people)
Fabian Elsäßer: Acht Jahre sind vergangen seit dem letzten Album, das Will Oldham unter dem Namen Bonnie "Prince" Billy aufgenommen hat, "Wolfroy Goes to Town" von 2011. Aber er ist danach keineswegs untätig gewesen, hat eine Vielzahl von Coverversionen eingespielt von ganz unterschiedlichen Künstlern, Everly Brothers oder Merle Haggard. Oder auch mal die britische Post-Punk-Band Mekons. Das zeigt die stilistische Bandbreite, die man bei diesem Mann finden kann, der eigentlich mal angefangen hat als düster verhuschter Country Sänger. Jens Balzer hat das neue Album vor uns schon gehört, "I Made A Place". Jens Balzer wie sieht der Ort aus, den Bonnie "Prince" Billy für sich da errichtet hat?
Erstmals wieder mit eigenen Liedern zu hören
Jens Balzer: Ja, sie haben es ja schon gesagt, er war eigentlich nie weg, weil er uns unentwegt in so vielen Inkarnationen umschwirrt ist. Aber dennoch ist jedenfalls meine Freude groß, dass Will Oldham nach acht Jahren als Bonnie "Prince" Billy nun erstmals wieder mit eigenen Liedern zu hören ist. Vielleicht merkt man da auch, wie lange er uns schon begleitet hat, wenn man sich dann noch mal zurückbesinnt, also seit über einem Vierteljahrhundert, seit den frühen Neunzigern in den verschiedensten Konstellationen und Erscheinungsformen, damals noch unter Bandnamen wie Palace Brothers, Palace Music und Palace und seit nun auch schon wieder 20 Jahren, seit der Jahrtausendwende, als Bonnie "Prince" Billy. Und er hat gerade in dieser Inkarnation mit so einer Art minimalistischem Zeitlupen-Country-Rock angefangen, also der so an die späte American-Gothic-Phase von Johnny Cash anschloss. "I See A Darkness" hieß dann entsprechend auch das erste Album von 99, und wenn man ihn damals auf einer Schallplatte hörte oder besser noch auf der Konzertbühne sah, dann wirkt er eigentlich weniger wie ein Sänger, sondern ich fand immer eher so wie eine Art musikalisches Gravitationsloch, also einer, der so abgrundtief erbarmungswürdig wirkte, das man ihn eigentlich nicht mal mehr in den Arm nehmen mochte und trösten wollte, weil ihn jede Nähe noch weiter zerbrechen konnte. Er war ja gewissermaßen der Urvater aller barttragenden Schrate, die ja für die Nullerjahre mit prägend gewesen sind und hordenweise die Konzertbühnen bevölkerten – New Weird America sagte man damals oder auch Freak Folk. Von der Szene ist wenig übrig geblieben, nur Bonnie "Prince" Billy ist immer noch da oder wieder da jetzt, der erste und letzte Freak gewissermaßen.
Elsäßer: Aus der Frühzeit kennt man einen gewissen Minimalismus von ihm und wie ist der auf dem aktuellen Album vertreten?
Etwas Unbehagliches und Dräuendes
Balzer: Das ist geradezu reich instrumentiert und über weite Strecken sogar auch ganz beschwingt, geht schon mit dem ersten Stück los, "New Memory Box", heißt das, da legt er über einen sehr schönen Schunkelrhythmus heitere Banjos, Country-Fidel, euphorische Bläser, also da scheint auch wenig übrig geblieben zu sein von der Dunkelheit der frühen Tage. Aber wenn man dann genauer zuhört, merkt man, dass der Text doch wieder sehr doppelbödig ist. Also es geht darum, wie man mit den Monstern unter dem Bett umgeht und mit den Gespenstern der Vergangenheit und auch damit, dass das eigene Haus niedergebrannt ist. Und Bonnie "Prince" Billy empfiehlt, vergisst das einfach alles, verdränge es so gut es geht, besorge dir eine neue Memory Box, in der die ganzen Traumata des Lebens einfach nicht mehr vorkommen, weil sie gelöscht wurden. Das geht auch im nächsten Stück so weiter, "Dream A While" heißt das, das ist dann wirklich eine herzzerreißende Ballade im Duett mit Joan Shelley, einer gerade viel gefeierten jüngeren Folk-Sängerin, auch aus Kentucky wie Will Oldham, und die Ballade handelt von Weltschmerz, Einsamkeit, Schmerzen in Gliedern und Knochen, Altern, völliger Hoffnungslosigkeit. Und was macht Bonnie "Prince" Billy, um das zu bekämpfen? Er legt sich ins Bett und träumt eine Weile, I dream a while, und dann wird schon alles gut, something will come through, jedenfalls für die Dauer dieses Traums, der dann von einer wunderbar zarten Oboen-Melodie begleitet wird. Aber unter dieser scheinbar heiteren, harmlosen Oberfläche liegt doch immer irgendwas Unbehagliches, Dräuendes.
Elsäßer: Also einerseits ein fast schon kindhaftes Hoffen auf Besserung, andererseits eine große Düsternis. Ist dieses Doppeldeutige oder Doppelbödige ein Leitmotiv fürs Album?
Balzer: Ja, und je weiter man den Songs dann folgt, also in die Mitte und bis zum Ende des Albums weiter, desto stärker, finde ich, schlägt sich diese Doppelbödigkeit auch in den musikalischen Formen nieder, also zum Beispiel im fünften Song, dem Titelstück, "I Made A Place", da singt Bonnie "Prince" Billy davon, wie er sich ein Heim gebaut hat, ein Haus, in dem er lebt und früh schlafen geht und spät wieder aufsteht, zu dem es kein Tor gibt, aber es gibt Schafe, die er pflegt und alle Kinder im Dorf nennen ihn Meister. Da entsteht unter dem ruhigen, selbstvergewisserten Gesang dann so eine unbehaglich psychotische Atmosphäre wieder, und die Holzbläser, die ihn anfangs noch ganz heiter begleitet haben, laufen zum Ende des Stücks melodisch und harmonisch dann komplett aus dem Ruder und bilden dann so einen unbehaglichen Kontrast zu der ruhigen, sicheren Singstimme.
Eläßer: Sie sagten vorhin, er habe für sie bei früheren Auftritten nicht gewirkt wie ein Sänger im eigentlichen Sinne. Wie singt er denn jetzt?
Herzzerreißende Melodien
Balzer: Die ersten eineinhalb Jahrzehnte hat er ja wirklich nur auf so einen mittleren, sagen wir so Kopfstimmen-Pegel betrieben. Also, das hat sich mittlerweile deutlich geändert durch die vielen Coverversionen, glaube ich, die er aufgenommen hat, also die ersten schon seit 2006, da gab es ein wunderbares Album mit der Band Tortois, wo er dann zum Beispiel Bruce Springsteen und Elton John gevocert hat. Und jetzt, sie haben es schon gesagt, von Merle Haggard bis zu den Mekons doch sehr unterschiedliche Vorbilder sich angeeignet hat. Und man hat das Gefühl mit der Aneignungsarbeit, daran hat er seinen Bariton wirklich zu einer erstaunlichen Blühte und Breite gebracht. Also auf "I Made A Place" hört man das jetzt wirklich in voller Pracht. Er singt ganz herzzerreißend traurige Melodien, ein Stück heißt "Mama Mama". Ebenso virtuos wie scheinbar leichte Hillbilly-Stomper mit Scheunenboden-Fideln und Steelgitarren gibt es auch, drittes Stück, "Devil’s Throat", heißt das, und unter dieser ganzen Kunstfertigkeit ist dann aber eben doch immer irgendwas Dissonantes oder irgendwas, was dräut oder droht. Die Songs, hat man das Gefühl, wollen eigentlich immer irgendwohin umkippen oder sind so windschief, dass sie gleich zusammenfallen möchten. Nach dem Hören des Albums dachte ich, irgendwie fühlt man sich, als ob man so aus einem Albtraum erwacht, der einem während des Schlafens und Träumens eigentlich ganz behaglich vorkam, aber umso unheimlicher ist dann die Erinnerung, wenn man sie im Licht des grauenden morgens noch mal bedenkt.