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Der Fall Böhmermann
"Wir wollen den Paragraphen 103 möglichst schnell abschaffen"

Über Geschmack lasse sich streiten, aber Kunst- und Medienfreiheit seien in der Bundesrepublik nicht verhandelbar, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil im DLF. Kanzlerin Merkel habe das Thema früh an sich gezogen und müsse der Türkei und der eigenen Bevölkerung dringend ein klares Signal über den Wert der Pressefreiheit senden.

Lars Klingbeil im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.04.2016
    Lars Klingbeil, SPD
    SPD Bundestagsabgeordneter Lars Klingbeil (dpa)
    Tobias Armbrüster: Der Fall Böhmermann, er bleibt in Deutschland das große politische Streitthema, und einige vermuten, dass uns dieser Fall noch lange Zeit beschäftigen wird. Es könnte sein, dass dieser Fall tatsächlich durch alle Instanzen geht, bis zum Bundesverfassungsgericht. Der Streit um Böhmermann und sein Gedicht, dieser Streit tobt auch deshalb so anhaltend und so intensiv, weil er so viele Politikbereiche berührt: Meinungsfreiheit, Außenpolitik und nicht zuletzt die öffentliche Wahrnehmung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Bundesregierung prüft nach wie vor, wie sie mit dem Strafverlangen des türkischen Präsidenten umgeht. Der hat aber schon weitere Schritte angekündigt.
    Am Telefon ist jetzt Lars Klingbeil von der SPD. Er ist zuständig für die Netz- und Medienpolitik in seiner Partei. Schönen guten Tag, Herr Klingbeil.
    Lars Klingbeil: Schönen guten Tag.
    Bundesregierung sollte Antrag der Türkei auf Strafverfolgung zurückweisen
    Armbrüster: Herr Klingbeil, wir sind ja gerade so ein bisschen im Wartezustand in diesem Fall. Die Bundesregierung prüft noch, ob sie Ermittlungen anstoßen soll. Wie lange wird denn diese Prüfung im Fall Böhmermann noch dauern? Wissen Sie das?
    Klingbeil: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Das ist eine Entscheidung der Bundesregierung. Ich hoffe nur, dass es bald zu einer Entscheidung kommt, und ich hoffe auch, dass die Bundesregierung deutlich macht, dass der Antrag der Türkei auf Strafverfolgung gegen Jan Böhmermann zurückgewiesen wird und dass er keine Existenzgrundlage hat.
    Römermann: Warum hat er die nicht?
    Klingbeil: Er hat sie in meinen Augen nicht, weil Jan Böhmermann als Satiriker bekannt ist. Er hat das angekündigt. Er hat hier vielleicht eine Form von Kunst gewählt, die nicht jedem passt. Und dass wir auch nicht zulassen, dass es eingeschränkt wird.
    Armbrüster: Wäre es dann nicht eigentlich konsequent zu sagen, wir lassen es zu, dass das vor die Justiz kommt und dass wir dann mit einem 1a-Freispruch für Jan Böhmermann rechnen können?
    Paragraphen 103 möglichst schnell abschaffen
    Klingbeil: Es gibt ja erst mal den Paragraphen 103 und es ist ja gerade im Vorbericht auch gesagt worden, wir haben gestern in der SPD-Fraktion unter Beifall auf Vorschlag von Thomas Oppermann noch gesagt, wir wollen ihn jetzt möglichst schnell abgeschafft haben. Ich ehrlicherweise wusste gar nicht, dass es diesen Paragraphen zur Majestätsbeleidigung gibt. Das muss man jetzt dann politisch angehen. Ich weiß nicht, wie unser Koalitionspartner dazu steht, da kenne ich bisher keine Äußerung aus der Union. Aber erst mal sind wir jetzt in der Situation, wo es ein Anliegen an die Bundesregierung gibt. Das muss jetzt auch formaljuristisch geprüft werden. Aber es ist am Ende eine politische Sache. Auch die Kanzlerin hat sich ja recht früh politisch in diese ganze Sache eingemischt und deswegen muss es jetzt schnell ein Signal der Kanzlerin geben, dass dieser Antrag der Türkei zurückgewiesen wird.
    Armbrüster: Hat sich die Kanzlerin hier verrannt?
    Klingbeil: Sie hat das Thema früh an sich gezogen und ich finde, sie hat gleich im ersten Moment auch ein Zeichen der Schwäche gezeigt. Man kann natürlich dieses Gedicht von Jan Böhmermann geschmacklich bewerten wie man will, aber wenn der Eindruck entsteht, dass man das falsch findet, wenn der Eindruck entsteht, dass wir Kunst- und Meinungsfreiheit hier in Deutschland auch relativieren, dann hat die Kanzlerin hier ganz klar eine Schwäche gezeigt und sie hat damit auch die Tür aufgemacht, dass wir jetzt seit Tagen eine solche Debatte über Jan Böhmermann und sein Gedicht haben.
    Armbrüster: Aber darf sie nicht in einem persönlichen Zwiegespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten ihre persönliche Meinung sagen?
    Satire auszuhalten gehört in Deutschland zum Job eines Politikers
    Klingbeil: Das kann sie tun, aber sie muss dann in meinen Augen auch gleich im nächsten Schritt deutlich machen, dass das in Deutschland zur Demokratie dazugehört, dass wir als Politiker so was auszuhalten haben, dass es mit zu unserem Job gehört, und hätte sich ganz bewusst auch wirklich hinter die Meinungs- und Kunstfreiheit, die wir in Deutschland haben, stellen müssen.
    Armbrüster: Hat sich Angela Merkel hier auch innenpolitisch nicht richtig verhalten, nicht nur in Bezug auf die Türkei?
    Klingbeil: Es ist erst mal ein Signal an die Türkei gewesen. Die Tür wurde geöffnet und wir müssen jetzt hingucken, dass wir auch ganz klar trennen Flüchtlingsabkommen und die Debatte um Jan Böhmermann. Wenn in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, man macht hier Gefälligkeiten gegenüber der Türkei oder man ist zurückhaltend in Sachen der Meinungs- und Pressefreiheit, weil man ein Flüchtlingsabkommen mit der Türkei hat und hier die türkische Spitze nicht verärgern will, dann entsteht eine problematische Diskussion und dann kriegen wir auch viele Fragen aus der Bevölkerung hier in Deutschland, wie wir eigentlich gedenken, mit der Türkei umzugehen.
    Armbrüster: Herr Klingbeil, ich frage Sie das jetzt, weil Sie ja lange Jahre schon im Bundestag sitzen, den politischen Betrieb in Berlin gut kennen. Könnten Sie sich vorstellen, dass dieser Fall, diese Kontroverse Angela Merkel innenpolitisch oder generell politisch langfristig schadet?
    Kunst-, Presse- und Medienfreiheit sind nicht verhandelbar
    Klingbeil: Das kann ich so nicht beantworten. Ich habe eine klare Erwartung an Frau Merkel. Sie hat das Thema politisch an sich gezogen, sie muss das jetzt klären. Ich merke, dass es einen großen Unmut in der Bevölkerung darüber gibt, dass wir gerade eine Kanzlerin erleben, die nicht sprechfähig ist bei dem Thema, die nicht handelt, die abwartet bei dem Thema, und wir brauchen jetzt ein klares Signal in Richtung Türkei, aber auch in Richtung der eigenen Bevölkerung, dass Kunst-, Presse- und Medienfreiheit nicht verhandelbar sind.
    Armbrüster: Aber stand Sie hier nicht eindeutig in einer Zwickmühle, dass sie einerseits dieses Abkommen mit Ankara in den Flüchtlingsfragen organisieren und umsetzen muss und daran arbeitet, dass dieses Abkommen hält und auch durchgeführt wird, und musste sie da nicht ein Signal senden an die türkische Regierung: Ich verstehe eure Sorgen hier.
    Klingbeil: Aber ein politisches Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei über Flüchtlingsfragen wird doch nicht daran scheitern, dass im ZDF jemand wie Jan Böhmermann ein satirisches, auch als Satire gezeichnetes Gedicht vorträgt, wo er jemanden in der Türkei beleidigt. Das muss man, glaube ich, klar trennen und das hätte in einem ersten Gespräch zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten und der Kanzlerin deutlich werden müssen. Da kann man sagen, das ist nicht mein Geschmack, da kann man auch sagen, ich mochte nicht, was hier vorgetragen wurde, aber man muss dann auch deutlich machen, dass eine starke Demokratie in Deutschland das aushält und dass das bei uns in Deutschland mit dazugehört.
    Armbrüster: Oder unterschätzen wir vielleicht manchmal in Deutschland, wie empfindlich man da ist aufseiten der Türkei?
    Klingbeil: Das kann sein, dass man das unterschätzt. Aber gerade deswegen müssen wir es thematisieren und auch anderen Ländern zeigen, wie selbstverständlich wir als Politiker mit solcher Kritik, mit Satire auch umgehen. Ich glaube, niemand lässt sich gerne von Satirikern veralbern, aber das gehört einfach in Deutschland mit dazu.
    Armbrüster: Jetzt mal ganz hypothetisch gedacht. Wie würde die Bundesregierung denn dastehen, wenn sie sich tatsächlich dazu entscheiden würde, Erdogans Wunsch nachzukommen und Ermittlungen gegen Jan Böhmermann loszutreten? So hypothetisch ist das ja auch nicht. Es gibt einige Leute, einige Juristen, wir haben das gehört, die sagen, dazu wird es in jedem Fall kommen.
    Klingbeil: Das ist Spekulation und ich bin kein Jurist. Ich kann mich in juristische Verfahren auch nicht einmischen. Aber am Ende kann ich als Bundestagsabgeordneter eine politische Bewertung abgeben und das habe ich gerade gesagt. Ich wünsche mir und ich verlange eigentlich auch, dass man diesen Antrag der Türkei zurückweist und dass es nicht zu der Strafverfolgung kommt.
    Armbrüster: Aber es bleibt dann ja dabei, dass Erdogan selbst ein eigenes Strafverfahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung anstreben würde.
    Klingbeil: Das ist sein Recht, das zu tun. Das ist auch so verankert in Deutschland. Das ist auch sein gutes Recht, das zu tun. Da werden dann Juristen entscheiden, wie sie damit umgehen. Da kann ich auch nicht bewerten, was da am Ende rauskommt, aber auch hier wäre mein Wunsch, dass dann der Rechtsstaat doch agiert und zeigt, das hat alles keinen Bestand.
    Armbrüster: Wie groß sind denn die Belastungen durch diesen Fall, durch diese ganze Kontroverse für die deutsch-türkischen politischen Beziehungen?
    Angela Merkel hat gegenüber Türkei Schwäche gezeigt
    Klingbeil: Sie sind jetzt da auch durch die Debatte der letzten Tage. Und noch mal: Ich glaube, der Grundfehler ist im ersten Telefonat gelegt worden, als man da wirklich die Tür geöffnet hat und dieses Zeichen der Schwäche auch gegenüber der Türkei gezeigt hat. Man hätte dort gleich klare Worte finden müssen. Ich glaube, dann wäre die Diskussion auch gar nicht so groß geworden.
    Armbrüster: Müssen wir da weiter im Dialog bleiben mit Ankara?
    Klingbeil: Wir müssen ständig im Dialog bleiben. Das ist mit unseren Partnern sicherlich der Fall. Aber Dialog bedeutet auch, dass wir klar machen, was sind unsere Grundwerte, was ist unser Verständnis von Presse-, von Medien-, von Kunstfreiheit, und das gehört ganz klar in den Dialog mit rein.
    Armbrüster: Oder hat sich hier möglicherweise die Türkei etwas von Deutschland und auch von Europa wieder entfernt in dieser Debatte? Trägt das möglicherweise dazu bei, dass sich diese beiden Blöcke weiter entfremden?
    Klingbeil: Wir brauchen die Türkei und ich finde eigentlich, dass wir seit Jahren eher auf Abstand zur Türkei waren. Das war ein Fehler. Wir müssen mit der Türkei immer im kritischen Dialog sein, aber Dialog heißt eben auch zu benennen, wo sind Unterschiede, wo sind Differenzen. Und ich wünsche mir, dass dieser Dialog eher intensiviert wird, als dass man ihn jetzt wieder abbricht. Natürlich nehme ich auch wahr, dass es in der Türkei ein anderes Verständnis gibt von Dingen, die bei uns selbstverständlich sind, aber darüber zu reden, ist dann der richtige Weg.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der SPD Netz- und Medienpolitiker Lars Klingbeil. Herr Klingbeil, vielen Dank für Ihre Zeit an diesem Mittwochmittag.
    Klingbeil: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.