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Der Fall Chodorkowski

Michail Chodorkowski soll Rohöl im Milliardenwert unterschlagen haben. Er ist bereits verurteilt, nun soll er zu einer verlängerten Strafe verurteilt werden. EU-Beobachter Werner Schulz hat die russische Prozessrealität miterlebt.

13.12.2010
    Fast ein Jahr ist es her, dass der Grünen-EU-Parlamentarier Werner Schulz als Prozessbeobachter in Russland war. Aber die Bilder des Gerichtssaals haben sich ihm eingeprägt. Schulz hat schockiert, wie das Verfahren gegen Platon Lebedew und Michail Chodorkowski, einst Chef des modernsten Ölkonzerns Russlands, abgelaufen ist:

    "Die beiden Angeklagten Chodorkowski und Lebedew kommen kaum zu Wort. Ihnen wird das Wort abgeschnitten. Die Staatsanwaltschaft führt unendliche Ermittlungen durch, lässt kleine Zeugen auffahren und vernimmt diese, während Entlastungszeugen häufig nicht zugelassen worden sind. Und ein teilnahmsloser Richter, der die Sache laufen lässt, der fast am Einschlafen ist."

    Und ein Richter, von dem Schulz annimmt, dass er den Ex-Yukos-Chef schuldig sprechen wird. Schuldig, weil der frühere Milliardär Chodorkowski - an der staatlichen Aufsicht vorbei - Öl abgezweigt haben soll - im Wert von 20 Milliarden Euro. Die Anklage lautet auf mindestens 200 Millionen Tonnen.

    Eine Unterschlagung in diesem Umfang halten Experten für unmöglich. EU-Parlamentarier und Prozessbeobachter Werner Schulz kann die derzeitige Anklage aus einem weiteren Grund nicht nachvollziehen. Wie kann Chodorkowski wegen ein- und desselben Vergehens zweimal angeklagt werden? Das erste Mal wegen Steuerhinterziehung und jetzt wegen Unterschlagung?

    "Die Anklage ist eigentlich auch wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Doch darum geht es nicht. Hier soll eine unliebsame Person aus dem Verkehr gezogen werden. Was man gehofft hatte: dass Chodorkowski nach acht Jahren Gefängnis oder Lagerhaft gebeugt ist und möglicherweise die Ausreise haben möchte. Chodorkoswki war nicht bereit das Land zu verlassen, sondern er hatte die Vorstellung, dieses Land mit zu reformieren, mit zu entwickeln. Er ist wirklich auch ein Idealist."

    Zu einem "idealen", einem fortschrittlichen, demokratischen Russland gehört für Michail Chodorkowski auch ein privates Unternehmertum – auch deshalb modernisierte er den ehemals staatlichen Ölkonzern Yukos. Russland reformieren - damit hatte Chodorkowski dasselbe Ziel wie jetzt der russische Präsident Dmitri Medwedew. Auch der will ein freies, fortschrittliches Land. Aber Michail Chodorkowski kam dem Kreml in die Quere, zu einer Zeit, als dort noch Wladimir Putin regierte. Und der teilte Medwedew Begeisterung für ein modernisiertes Russland nur bedingt. Wie ist es inzwischen? Ist Russland unter Präsident Medwedew zum Rechtsstaat geworden? Knut Fleckenstein, sozialdemokratischer EU-Parlamentarier und Vorsitzender der EU-Russland-Delegation :

    "Wenn wir nach der Papierlage gehen – ja. Die Gesetze sind entsprechend geändert, in der Verfassung sind die Grundrechte klar verankert. Aber bei der Umsetzung, wissen wir ganz genau, dass es an vielen Stellen noch nicht so weit ist. Dass man von einem wirklichen, hundertprozentigen oder reinrassigen Rechtsstaat sprechen kann. Und insofern gucken wir alle sehr interessiert auf dieses Urteil, weil es ein Indikator dafür sein wird, ob diese wichtigen Voraussetzungen gegeben sind oder nicht."

    Nur so, nur mit einem wirklich rechtsstaatlich organisierten Land, sei ein Modernisierungsabkommen sinnvoll, meint EU-Parlamentarier Fleckenstein. Ein modernisiertes Russland auf dem Papier nütze Europa nichts. Da seien auch alle politischen Bemühungen umsonst, denn:

    " ... dann wird es schwierig sein, das mit Leben zu erfüllen, weil, es wird immer schwieriger werden, dann auch Investoren zu finden, die dann auch konkret die Verträge mit Leben ausfüllen können."

    Der Prozess gegen Michael Chodorkowski und Platon Lebedew hat weitreichende Folgen. Nicht nur für die Angeklagten selbst, die im schlimmsten Fall bis zum Jahr 2017 weiter in Haft bleiben. Das Urteil hat Symbolcharakter für den Reformprozess Russlands. Und wirkt sich damit auch auf die russisch-europäischen Beziehungen aus.

    Übersicht der "Europa heute"-Reihe: Der Fall Chodorkowski