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Der Fall Florian Gerster

Ich finde es faszinierend, mit dem Thema Nummer eins der Gesellschaftspolitik, der hohen Arbeitslosigkeit, so umzugehen, dass man auch Neuland betritt, und dass man Strukturen ein bisschen gegen den Strich bürstet, und das mache ich dann.

Von Axel Brower-Rabinowitsch, Volker Finthammer und Wolfram Weltzer | 24.01.2004
    Florian Gerster zu seinem Amtsantritt vor zwei Jahren. Heute hat ihm der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit das Misstrauen ausgesprochen. Und Arbeitsminister Wolfgang Clement zog die Konsequenz: Vor einer Stunde hat er Florian Gerster entlassen.
    Es war ein kurzes Gastspiel an der Spitze der größten Bundesbehörde. Dabei hatte Gerhard Schröder doch seinen, wie er sagte, besten Mann nach Nürnberg geschickt, um die Bundesanstalt für Arbeit auf Trapp zu bringen. Die war Anfang 2002 in die Schlagzeilen geraten: Mitarbeiter hatten die Statistiken frisiert, um die Arbeitsvermittlung besser aussehen zu lassen. Die Empörung war gewaltig. Also verordnete die Bundesregierung der Behörde eine Radikalkur und einen neuen Chef: Als Nachfolger des langjährigen Präsidenten Bernhard Jagoda schlug Bundeskanzler Gerhard Schröder im Februar 2002 den rheinland-pfälzischen Sozialminister Florian Gerster vor. Ein Überraschungscoup - denn Gerster hatte sich bis dahin vor allem als Gesundheitsexperte profiliert. Doch er sagte zu. Und so begann eine Zeit harter Konflikte und kleinerer wie größerer Pannen und Affären.


    Mit der schlichten Rolle eines Behördenchefs wollte sich Florian Gerster nie zurechtgeben. Seine Ratschläge gingen von Anfang an weit über die Reform der Bundesanstalt hinaus. Er forderte etwa die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes drastisch auf zwölf Monate zu reduzieren, und erregte damit massive Kritik bei Gewerkschaftern und SPD Linken. Mehrfach musste der Kanzler Gerster in Schutz nehmen:

    Herr Gerster war nie als Verwaltungsbeamter vorgesehen, sondern war auch immer und soll auch immer jemand sein, der konzeptionell denkt, und das, was er denkt, auch sagt.

    Und Gerster sagte so einiges. Etwa auch, dass seine Mammutbehörde mit über 90.000 Mitarbeiten in einigen Jahren durchaus mit der Hälfte des Personals auskommen werde. Fortan beobachteten die Angestellten sein Tun mit Misstrauen. Gerster scheute sich nicht eine dritte Front aufzumachen mit dem Hinweis, die Landesarbeitsämter hätten vor dem Hintergrund der anstehenden Reformen ihre Aufgaben überlebt und könnten degradiert werden. Das kam in den Bundesländern nicht gut an und für Gerster begann der Kraftakt, sich für den eingeleiten Reformprozess immer wieder rechtfertigen zu müssen.

    Ich bin doch kein Radikalreformer, der glaubt, man kann einen Schalter in einem Jahr umstellen. Aber ich muss die andere Entwicklung vorbereiten und einleiten.

    Aber es dauerte nicht lange, bis der Behördenchef sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen musste, seinerseits das Geld der Beitragszahler zu verschwenden. Im April des vergangenen Jahres wurde ihm ein Luxusumbau der Nürnberger Chefetage vorgeworfen. 2,6 Mio. Euro kostete das Projekt, das nicht nur die Chefetage, sondern auch die Räume für die allmonatliche Pressekonferenz umfasste. Der Umbau war zu rechtfertigen, aber es blieb auch der Eindruck zurück, der neue Chef sorge für seinen neuen Status. Das Fass endgültig ins Rollen brachte jedoch der Mitte November bekannt gewordene Beratervertrag mit der Berliner WMP Eurocom. Für 1,3 Mio. Euro sollte die Agentur das Image der Behörde aufbessern. Und weil das in Gersters Augen schnell geschehen sollte, hatte der Vorstand den Auftrag im Frühjahr ohne Ausschreibung vergeben. Mit dieser Erklärung suchte Gerster sich am Beginn der Auseinandersetzung zu rechtfertigen. Alles andere seien die Machenschaften einer Medienkampagne...

    ...um den Reformprozess möglicherweise zu stören oder auch Personen zu beschädigen, die die Aufgabe haben, den Reformprozess der BA voranzubringen.

    In diesem Streit unterlag Gerster jedoch einer Selbsttäuschung. Die prompt aufgenommenen Untersuchungen des Bundesrechnungshofes kamen zu einem anderen Ergebnis. Der Auftrag hätte trotz der Eilbedürftigkeit ausgeschrieben werden müssen. Für die Opposition im Deutsche Bundestag ein hinreichender Befund:

    Dass eigentlich die ganzen Vorwürfe, die bekannt geworden sind, für einen Rücktritt ausreichen. Er selber soll sich überlegen, ob er überhaupt noch die Möglichkeit hat, wenn irgendwo in einem Arbeitsamt ein Rechtsbruch passiert, ob er überhaupt noch eine moralische Legitimation hat, gegen solche Dinge vorzugehen, wenn man jetzt diese Dinge so laufen lässt, wie sie anscheinend von dieser Bundesregierung laufen gelassen werden.

    So der Arbeitsmarktexperte der Union Karl Josef Laumann. Regierung und Koalition stellten sich jedoch hinter Gerster und der Behördenchef rechtfertigte sich auf die ihm eigene Art:

    Wer Tabus brechen will, der muss auch ein bisschen gegen den Strom schwimmen. Das kann ich natürlich als Manager in Verantwortung dieser wichtigen Einrichtung nur sehr in Grenzen tun, und ich gelobe Besserung auch in der weiteren Zukunft.

    Die weitere Zukunft aber hatte es in sich. Da wurde ein vermeintlicher Dienstwagenskandal ausgegraben, für den Gerster verantwortlich sein sollte, der sich am Ende jedoch als ganz normaler Leasingvertrag mit einem nicht unerheblichen Einspareffekt erwies. Zurück blieben jedoch die skandalisierenden Schlagzeilen. Als jedoch neue Ungereimtheiten bei weiteren Beraterverträgen bekannt wurden, bekam der Streit um Gerster eine Eigendynamik, die nicht mehr zu bremsen war. Zugleich warf die Opposition Gerster vor, den Wirtschaftsauschuss des Deutschen Bundestages über das Zustandekommen eines Beratervertrages sogar getäuscht zu haben. Ein Chef, der seine Behörde nicht im Griff hat, muss gehen, lautete der in der Boulevardpresse veröffentlichte vermeintliche Volkszorn, der inzwischen nicht mehr nur den Behördenchef sondern auch die Regierung in die Enge trieb und nach einem Ausweg verlangte.

    Es handelt sich hier selbstverständlich auch um eine gesteuerte Kampagne unabhängig von all den Fehlern, die er gemacht und teilweise ja auch eingestanden hat. Es gibt innerhalb der Bundesagentur durchaus interessierte Kreise, die ein Interesse daran haben, dass Herr Gerster weg oder zumindest schwach ist, weil er sie in seinem Reformvorhaben in ihren eigenen Kreisen stört, und das nervt die wahrscheinlich, und deswegen möchten sie ihn gerne loswerden.

    Erklärte der Arbeitsmarktexperte der FDP Dirk Niebel. Doch nicht nur in der Behörde, sondern auch von außerhalb wurde zuletzt kräftig an den Strippen gezogen. So heftig, das letztlich nur eine Konsequenz blieb: Manchmal müsse die Politik auch handeln, selbst wenn es keine gerechtfertigten Vorwürfe gebe, sagte der Arbeitsmarktexperte der SPD Klaus Brandner, der bis zuletzt hinter Gerster stand, aber schon am vergangenen Mittwoch zu Bedenken gab.

    Er muss ja das Vertrauen der entsprechenden Gremien, d.h. insbesondere des Verwaltungsrats haben. Wenn dort das Vertrauen nicht mehr vorhanden ist, wird es schwierig, politisch Herrn Gerster zu halten.

    Da zeichnete sich bereits am Donnerstag ab, dass Gerster keine mehrheitliche Unterstützung mehr im Verwaltungsrat finden würde. Das Eis unter seinen Füßen war bereits gebrochen, noch bevor das Gremium zu der entscheidenden Sitzung zusammenkam. Zudem hatte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement seine Entscheidung über den Verbleib Gersters von der Entscheidung des Verwaltungsrates abhängig gemacht.

    Was bleibt nun von den politischen Ideen und den Reformen Gersters? Eine Bilanz.

    Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesagentur für Arbeit und der rund 660 Arbeitsagenturen und Jobcenter vor Ort in serviceorientierte Dienstleister ist in vollem Gang. Und man kann Vorstandschef Gerster sicher keine Erfolglosigkeit unterstellen bei der Reform der Mammutbehörde und der effizienteren Gestaltung der Arbeitsvermittlung. Ziel ist es, die Vermittlung zu intensivieren, sie vor allem für Arbeitslose und Arbeitgeber passgenauer zu machen, um so möglichst jeden freien Arbeitsplatz schnell mit dem richtigen Bewerber besetzen zu können. Das erfordert eine neue, kundenorientierte Dienstleistung. Und dafür benötigen die Vermittler einen erheblich höheren Zeitaufwand. Das vorhandene Personal konnte das bei weit über vier Millionen Arbeitslosen nicht leisten. Aber Gerster sorgte dafür, dass die Zahl der Vermittler kontinuierlich aufgestockt und der bürokratische Apparat an anderer Stelle dafür ausgedünnt wurde. Dadurch hat sich die Zahl der Arbeitlosen, die ein Vermittler betreuen muss, inzwischen auf knapp 400 halbiert. Das ist immer noch zu viel, zeigte aber schon im vergangenen Jahr Wirkung: Trotz sinkender Arbeitsplätze und steigender Arbeitslosigkeit nahm die Zahl der in Beschäftigung vermittelten Jobsuchenden um elf Prozent zu. Das hängt auch damit zusammen, dass die Arbeitsämter stärkeren Druck auf die Arbeitslosen ausüben, sich selbst um Jobs zu kümmern. Und das funktioniert offenbar. Rund ein Drittel der zusätzlich Vermittelten hat übrigens eine Ich-AG gegründet. Diese Möglichkeit, sich als Selbständiger bis zu 25.000 Euro im Jahr zu verdienen und nebenbei noch vom Arbeitsamt unterstützt zu werden, haben im vergangenen Jahr über 90.000 Arbeitslose wahrgenommen. Das ist natürlich auch Ergebnis der Tatsache, dass angebotene Arbeitsplätze rar sind. Der Mangel an Arbeit sorgt dafür, dass die von den Jobcentern erstmals betriebene Leiharbeit für Arbeitslose kaum funktioniert. Innerhalb von drei Jahren sollten bis zu 750.000 Arbeitslose über Leiharbeit der neuen Personal-Service-Agenturen einen dauerhaften Job in der Wirtschaft finden. Das war die Vorgabe der Hartz-Kommission. Von April bis Mitte November 2003 aber waren bei den inzwischen eingerichteten Agenturen gerade mal 30.000 Arbeitslose als Leiharbeiter beschäftigt. Ärger bei Gewerkschaften und Opposition löste eine Statistikbereinigung besonderer Art aus: Arbeitslose im rentennahen Alter wurden häufig gedrängt, auf Vermittlung zu verzichten, gegen angebliche oder vermutete Drückeberger gingen die Jobcenter schärfer als bisher vor. Zigtausende meldeten sich als Folge aus der Arbeitslosigkeit ab. Diesen von der Politik geforderten Paradigmenwechsel, der unter dem Stichwort "fordern und fördern" steht, hat Gerster durchgesetzt. Zusammen mit den Wirkungen der Organisationsreform und den Hartzgesetzen liegt die Arbeitslosigkeit dadurch nach seiner Rechnung derzeit um 100.000 niedriger als ohne diese Maßnahmen. Bis 2006 soll die Entlastung des Arbeitsmarktes durch Reformen auf 400.000 steigen. Was darüber hinaus geht, müsste eine bessere Konjunktur ermöglichen. Bis zum Jahresende sollen die neu gestalteten Arbeitsämter funktionieren. Erste Pilotprojekte - etwa in Heidelberg – machen es vor: Keine Wartezeiten schnelle Bearbeitung, Sonderservice für Betriebe sowie flexible Handhabung der Gesetze werden zum Standard. Wer etwas vom Arbeitsamt will, kann sich zudem vorher umfassend im Internet informieren – auch wenn der neue Internetauftritt wegen unzureichender Kapazitäten wochenlang für negative Schlagzeilen sorgte. Bald soll auch die leidige Weisungsflut aus der Nürnberger Zentrale enden, die jetzt noch die Arbeit der Jobcenter in enge Korsetts zwängt und damit behindert. Bürokratie wird vor allem in der Nürnberger Zentrale abgebaut, die auch verkleinert wird. Es gibt erstmals Erfolgskontrollen bei den Arbeitsämtern und bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten - von Fortbildung und Qualifizierung über ABM bis hin zu Einarbeitungszuschüssen. Das hat schon dazu geführt, dass die Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik – etwa für wenig aussichtsreiche Fortbildung – pro Jahr um eine Milliarde Euro gekürzt werden. Kritiker meinen allerdings, dass Gerster hier weit über das Ziel hinausgeschossen sei, weil er sich auf gut vermittelbare Arbeitslose konzentriere und Hilfen für schwervermittelbare Langzeitarbeitslose streiche. Damit würden ausgerechnet Benachteiligte in Dauerarbeitslosigkeit gedrängt. Der organisatorische Umbau der Arbeitsverwaltung hat bei vielen Beschäftigten erheblichen Ärger ausgelöst, weil offenbar manchmal rüde mit den Untergebenen umgegangen wurde. So sollen Versetzungen teilweise per E-Mail mitgeteilt und Mitarbeiter auf Jobs umgesetzt worden sein, für die sie nie ausgebildet wurden. Zahlreiche Kommunikationspannen sorgten für interne Probleme. Trotz allem gilt: In zwei Jahren unter Gerster hat sich bei der Arbeitsverwaltung mehr bewegt als in den zwei Jahrzehnten zuvor.

    Eine Analyse und Bilanz der Amtszeit Gerster. Die Bundesagentur für Arbeit - ein Riese mit Depressionen. Deutschlands größte Behörde leidet angesichts der Serie peinlicher Pannen und schlechter Schlagzeilen an massiven Befindlichkeitsstörungen. Einer der Verursacher: ein Diplom-Psychologe und Personalberater. Das nämlich war Florian Gerster, bevor er Sozialminister in Rheinland-Pfalz und dann Vorstandsvorsitzender der Bundesanstalt - jetzt -agentur - für Arbeit wurde. Das Psychogramm einer Mammutbehörde.

    Gleich zu Amtsbeginn bereitete Gerster seinem Personal ein bis heute nachwirkendes Schlüsselerlebnis. Nicht im direkten Gespräch, dafür aber vor allem in Zeitungsinterviews distanzierte er sich von seinen künftigen Untergebenen.

    Die Bundesanstalt für Arbeit ist eine der wichtigsten Institutionen des Sozialstaates. Sie muss Teil der Lösung sein und darf nicht Teil des Problems sein. Dort, wo sie Teil des Problems ist, muss sie Teil der Lösung werden.

    Der von ihm deshalb angekündigte Personalabbau hat zwar bisher so gut wie nicht stattgefunden. Dennoch bleibt bei jeder neuen Ankündigung von Umstrukturierungen die Angst - und vor allem: Es hat sich ein Gefühl bei den Beschäftigten eingeprägt, dass sie im Grunde nicht wichtig sind.

    Es war bei Florian Gerster nie erkennbar, dass er sich als Chef einer Behörde, wenn man es so bezeichnen darf, fühlt, sondern eben als Vorstandsvorsitzender, der hier versucht, irgendetwas zu bewegen, aber ohne die Mitarbeiter. Seine Ankündigung bereits zu Beginn seiner Amtszeit, die Mitarbeiterzahl zu halbieren, das war natürlich ein Schritt oder eine Aussage in eine völlig falsche Richtung. Und davon hat er es nie mehr geschafft, eine Kehrtwende zu erreichen und auch in den Köpfen der Mitarbeiter Zustimmung zu erhalten.

    Gert Link, gewerkschaftlicher Vertrauensmann beim Arbeitsamt Nürnberg schätzt das so ein. Er hat mit Florian Gerster offenbar schon lange innerlich abgeschlossen. Dabei ist er motiviert, etwas zur Vermittlung von Arbeitlosen in neue Jobs beizutragen und glaubt, dass viele seiner Kolleginnen und Kollegen im Lande das auch weiterhin sind.

    Würde hier in den Agenturen für Arbeit Dienst nach Vorschrift gemacht werden, würde dieses System schon längst zusammengebrochen sein. Die Mitarbeiter sind nach wie vor hoch motiviert und versuchen hier, im Rahmen ihrer Möglichkeiten - egal wie nun diese Rahmenbedingungen sich gestalten - den Leuten zu helfen und Arbeitslosigkeit zu beseitigen.

    Gleichwohl, eine gewisse Lähmung ist unverkennbar. Denn seit dem Abtritt Bernhard Jagodas wegen des so genannten Vermittlungs-Skandals um irreführende Erfolgsstatistiken aus Nürnberg hat sich für die meisten Beschäftigten vor Ort kaum etwas geändert: Noch immer betreuen sie Hunderte von Arbeitslosen und können sich kaum adäquat um deren Probleme kümmern. Viele haben da innerlich längst gekündigt, bleiben aber im Amt, um nicht selbst ohne Job auf der Straße zu stehen in diesen Zeiten.
    Die wenigsten trauen sich, öffentlich darüber zu sprechen. Die Angst sitzt ihnen im Nacken - aber auffällig oft fällt in den letzten Wochen wieder der Name Bernhard Jagoda.

    Also der Gerster ist eher negativ besetzt, würde ich sagen. Der Vorgänger Jagoda war beliebter von seiner Art, wo der Herr Jagoda ja immer vor der Bundesanstalt für Arbeit gestanden war, die Mitarbeiter immer verteidigt hat, dass ein guter Job gemacht wird. Und das sehe ich eigentlich auch so.

    Der Jagoda war ein Chef, hinter den konnte man sich schon stellen. Der hatte wohl seine Fehler, aber die Art und Weise, wie er gehen musste, war nicht in Ordnung, und ich würde sagen, da war auch ein Großteil der Beschäftigten dagegen. Nur sind wir damals nicht gefragt worden.

    Wehmütige Erinnerungen sind das - sie helfen nicht, aber sie machen deutlich, dass die Bundesagentur keine Identifikationsfigur mehr hat und - letztlich - auch kein klares Leitbild. Der Namenswechsel zu "Agentur" sollte das zwar implizieren, dass die Anstalt jetzt im Aufbruch ist, nicht verstaubte Verwaltung, sondern aktive Dienstleisterin. Aber das empfinden viele als Fassade. Intern hat der Umbau vor allem für Desorientierung gesorgt. Der Sinn neuer Organisationsstrukturen ist vielen nicht verständlich, andere gerade in der Nürnberger Zentrale sind auch frustriert, weil Gerster für sie das vorläufige Ende der Karriereleiter bedeutete.

    Und die Neuen, die Agenten von Gersters schöner neuer Welt, der unternehmensähnlichen Bundesagentur, sie haben es auch noch nicht geschafft, nach außen zu glänzen. Die Pressestelle kann den Imageschaden nicht begrenzen, den die Affären Gersters anrichten: seien sie nun echte Skandale oder Kampagne von Opposition und Gewerkschaften. Die Betriebswirte um Gersters Stellvertreter Frank-Jürgen Weise heben die Stimmung ebenfalls nicht, so Vertrauensmann Link:

    Es hat sich insofern etwas geändert, dass weitaus mehr Wert gelegt wird auf Controlling, d.h. also auf wirtschaftlichen Einsatz der Mittel. Dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden, nur ich möchte davor warnen, dass man in Zukunft den Menschen, den Rat suchenden, der in eine - noch meine ich - Sozialbehörde kommt, als Produkt sieht, dass man ihn nur an Zahlen misst und dabei völlig vergisst, dass hinter jedem einzelnen ein Schicksal steht, und das haben wir zu beachten.

    All dies macht für Florian Gerster das eigene Haus zum verminten Gelände. Große Teile der Arbeitsverwaltung sehen in ihm eine Eindringling, der bekämpft werden muss. Und so kann er nicht auf Loyalität zählen. Dass da immer wieder brisante Informationen nach außen durchsickern, das ist kein Wunder. Dass der eigene Verwaltungsrat sie teilweise begierig aufgreift ebenfalls nicht: Das Wort führen dort Arbeitgeber und Gewerkschaften. Und letztere hat Gerster sich zum Feind gemacht, weil er die aktive Arbeitsmarktpolitik demontiert, mit ABM und Weiterbildung ein Lieblingskind der Linken. Und auch Arbeitgeber und die Vertreter der öffentlichen Hand im Kontrollgremium der Bundesagentur fühlten sich von Gerster übergangen und schlecht informiert.

    Nach der Entlassung des als unterkühlt, arrogant und selbstherrlich empfundenen Chefs dürfte sich erst einmal Erleichterung breit machen in der Arbeitsverwaltung. Dann aber wird schnell wieder die Angst kommen: vor einer Zerschlagung der Bundesagentur für Arbeit nämlich. Denn eines konnte der deprimierte Moloch bei allem Widerstand gegen Gerster nicht verhindern: dass breite Teile der Öffentlichkeit ihn noch immer für eine krankhafte Auswucherung der Bürokratie halten - und das Scheitern Gersters womöglich vielen als Beleg dafür gilt, dass die Bundesagentur für Arbeit schlicht unreformierbar und unheilbar ineffizient ist.