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Der Fall Ibrahim Luthfee - Malediven

Malediven, allein das Wort erwärmt die Phantasien von tiefblauem Meer, von

Dorothea Jung | 06.10.2003
    Korallenriffen und Lagunen, von weißen Stränden und tropischem Grün. Doch
    nicht alle Orte des Urlaubsparadieses im Indischen Ozean sind für
    Postkartenmotive geeignet. Inmitten von Lustgefilden für Tauchsportfreunde
    und Hochzeitsreisende liegen Inseln, auf denen die Erholung der Besucher
    ausgeschlossen ist: Es sind die Gefängnisinseln der Malediven. Nach
    Informationen von Amnesty International herrschen hier lebensbedrohliche
    hygienische Verhältnisse und mangelhafte medizinische Versorgung.
    Strafgefangene berichten von Folter, Vergewaltigung und monatelanger
    Einzelhaft. Hunger und Durst sind an der Tagesordnung. Wer diese Zustände
    anprangert, bekommt die eiserne Hand des Polizeistaates unter Präsident
    Maumoon Gayyoom zu spüren. Das musste Ibrahim Luthfee erfahren. Gründer der
    maledivischen Online-Zeitung Sandhaanu.

    Sandhaanu war eigentlich zum ersten Mal eine Zeitung, die normale
    demokratische Rechte einfordert. Zum Beispiel die Pressefreiheit: Es darf
    also keine Publikation erscheinen, die von der Regierung nicht abgesegnet
    worden ist - so ähnlich wie in Saudi-Arabien. Das gibt auch ein Gesetz, das
    die Kritik am Islam verbietet; Kritik am Präsidenten sowieso; und der
    Ibrahim Luthfee hat gefordert: Politische Parteien, Trennung von Exekutive
    und Legislative . Und das reichte schon aus, um lebenslang ins Gefängnis zu
    kommen!

    ---
    Burkhard Schröder, Online-Spezialist des Deutschen Journalistenverbandes,
    hat im Web Artikel von Ibrahim Luthfee und seinen Kollegen aufgespürt.
    Menschenrechtsgruppen hatten sie aus der maledivischen Landessprache ins
    Englische übersetzt. Danach waren Luthfees Veröffentlichungen zunächst stark
    persönlich motiviert. In einem zivilen Rechtsstreit hatte sich der
    Geschäftsmann Ibrahim Luthfee nämlich geweigert, sein Haus an den
    maledivischen Gesundheitsminister zu vermieten. Im Zusammenhang mit diesem
    Streit wanderte Luthfee mehrfach grundlos für Wochen ins Gefängnis. Was er
    dort mit Polizei und Justiz erlebte, schilderte Luthfee im Newsletter
    Sandhaanu. Da war dann zu lesen, wie Akten verschwanden, Zeugenaussagen
    gefälscht und Tatsachen verdreht wurden, wie die Polizei seine Frau
    verprügelte und ihn in Verhören demütigte. In Luthfees Erlebnissen
    offenbarte sich den maledivischen Lesern ihre Rechtlosigkeit. Und das
    Online-Magazin Sandhanuu entwickelte sich Zug um Zug zum Sprachrohr einer
    maledivischen Elite, die sich nicht länger den Mund verbieten lassen will,
    berichtet Vincent Brossell von der Menschenrechtsorganisatio Reporter ohne
    Grenzen.

    They want to express themselves and give views - very different from in
    somewhere our standards of journalism - want views of what they can't find
    in the local press - that he is under pressure of the authorities. And when
    you look at the recent riot in the maledives, you can see, that it is awfull
    linked to the lack of freedom of expression.


    Sie wollen eine Stimme haben, und Stellung nehmen - irgendwie legen sie
    schon ziemlich andere journalistische Standards an als wir- aber: Sie wollen
    Stellung nehmen zu den Dingen, die sie gerade nicht in ihrer lokalen Presse
    finden. Zum Beispiel auf welche Weise jemand wie der Geschäftsmann Ibrahim
    Luthfee unter den Druck der Machthaber gerät. Und wenn man sich die jüngste
    Aufregung auf den Malediven anschaut, dann hat sie mit diesem schrecklichen
    Mangel an Meinungsfreiheit zu tun.


    Im Frühjahr 2002 verhaftet das Regime Ibrahim Luthfee endgültig. Es
    verurteilt ihn gemeinsam mit zwei Redakteuren von Sandhaanu zu lebenslanger
    Haft. Sie hätten Stories erfunden, die eine schlechte Stimmung zwischen
    Regierung und Volk erzeugen könnten, heißt es im Urteil. Außerdem hätten sie
    die das Volk gegen die verfassungsmäßige Ordnung aufgestachelt. Gleichzeitig
    untersagen die Sicherheitsbehörden das Erscheinen der Online-Zeitung.
    Allerdings ohne Erfolg. Sandhaanu wird anonym weitergeführt. So erfährt die
    maledivische Öffentlichkeit, dass die Verurteilten auf die berüchtigte
    Straflagerinsel Mafushi gebracht wurden. Nach einem Jahr im Straflager
    erkrankt Ibrahim Luthfee an einer schweren Augenentzündung. Auf Drängen
    seiner Familie entschließt sich die Gefängnisleitung, ihn in auf seine
    Kosten in ein Hospital auf Sri Lanka ausfliegen zu lassen. In Colombo nutzt
    Ibrahim Luthfee die Gelegenheit zur Flucht und taucht unter.

    We can understand, that this man, who was sentenced with three other
    people to a very long jail-sentence , managed to escape. His reason was
    obviously, that he had no chance to defend him with a correct standard in
    terms of Justice. For example they were detained a few weeks before the
    trail in secret, without any contact with their family and lawyers. and
    after that, it appaers, that the Judge was obviously under the pressure from
    the authorities and he gave a political decision and not a decision of
    justice.


    Man kann verstehen, dass dieser Mann, der zusammen mit drei anderen Leuten
    zu einer sehr langen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, alles daran gesetzt
    hat, zu entkommen. Er hatte nämlich überhaupt keine Chance, auf einem
    korrekten, rechtsstaatlichen Wege Gerechtigkeit zu erlangen. Schließlich
    hatten er und seine Kollegen nach ihrer Festnahme erfahren müssen, dass man
    sie mehrere Wochen lang an einem geheimen Ort gefangen hielt, ohne dass ihre
    Familien oder Anwälte informiert wurden. Später , im Prozess, stellte sich
    heraus, dass der Richter eindeutig unter Druck des Regimes stand. Er
    urteilte politisch und nicht rechtmäßig.


    Amnesty International zufolge hat das maledivische Regime auf Ibrahim
    Luthfees Flucht mit einer Welle von Verhaftungen reagiert. Die Touristen auf
    der Insel erfuhren davon selbstverständlich nichts. "Sie sind die
    Einnahmequelle und die Achillesferse des Regimes", sagt Burkhard Schröder.
    Deshalb achte Präsident Maumoon Gayoom streng darauf, dass die Touristen in
    ihren exklusiven Freizeitghettos von der Intoleranz des Einparteien-Staates
    unberührt bleiben.

    Burkhard Schröder : Der herrscht auf den Malediven seit 1978 und
    betrachtet das Land als sein Privateigentum und probiert natürlich, sein
    Land aus den internationalen Schlagzeilen herauszuhalten, weil er es als
    Tourismus-Paradies verkaufen will. Und deswegen ist das Internet für solche
    diktatorischen Regimes natürlich extrem gefährlich! Aber : Jetzt ist die
    Zahnpasta auch schon aus der Tube; jetzt berichten die Zeitungen darüber,
    dass die die Menschenrechte brutal missachten.


    Ibrahim Luthfee hat sich kürzlich aus dem Untergrund gemeldet. Er macht sich
    Sorgen um die Sicherheit seiner Familie und bat die internationale
    Öffentlichkeit, sich für den Schutz seiner Verwandten zu engagieren.

    Nachtrag.:

    In den Online-Texten von Ibrahim Luthfee gab es neben der Forderung nach
    Rechtsstaatlichkeit und Mitbestimmung immer auch einen religiösen Unterton,
    eine Sehnsucht nach besseren Muslimen im islamistischen Inselstaat der
    Malediven. Seit Luthfees Verhaftung verstärken sich die fundamentalistischen
    Akzente in einigen Sandhaanu-Texten. Es könnte sein, dass der Fall Ibrahim
    Luthfee auch ein Beispiel dafür ist, wie ein korruptes islamistisches Regime
    durch die Missachtung von Menschenrechten sein Volk radikalisiert.