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Der Fall Milli Vanilli
Wie viel Fake steckt im Pop?

Milli Vanilli waren Superstars. 1988 hatte der deutsche Produzent Frank Farian das Pop-Duo erfunden - gesungen haben sie allerdings nie einen Ton. Der Betrug wurde dem Duo zum Verhängnis.

Von Laf Überland | 22.07.2016
    Das Pop-Duo Milli Vanilli bei einem Auftritt am 17.11.1989 in der Musiksendung "Peter's Popshow"
    Das Pop-Duo Milli Vanilli bei einem Auftritt 1989 (dpa/picture alliance/Franz-Peter Tschauner)
    Eigentlich ist die Geschichte ganz einfach, sie handelt von zwei Außenseitern, die im München der 80er zu echten Freunden werden: Robert Pilatus und Fabrice Morvan - ein junger Franzose und ein schwarzes Adoptivkind aus dem Bayrischen, und beide sind Breakdance-Asse.
    Und dann ist da Produzent Frank Farian, Gottvater der deutschen Disco-Tanzmusik, der Boney M. erfunden hat
    "85 war ich wirklich alle, wirklich ausgelaugt von dem Stress, immer wieder Nummer 1 zu sein..."
    Frank Farian, der jetzt mit einer ganz neuen Idee ins Disco-Rap-Geschäft einsteigen will. Dazu produziert er eine Platte - mit klasse Studiosängern, die aber partout nicht auf die Bühne wollen: Also greift sich der Studiomogul aus der Provinz die beiden tanzenden und bunten Paradiesvögel Rob und Fab und sagt: "Ihr wollt doch Stars werden? Also mimt mal fürs Video, und vielleicht wird es ja ein Hit. Und ab jetzt heißt ihr Milli Vanilli."
    "Das hat gut zusammen gepasst - der Tanzstil, das Aussehen und diese wunderbare Musik", so erinnert sich die künstlerische Managerin der beiden, Ingrid Segieth:
    "Konsequenzen - hat keiner drüber nachgedacht. Es war ja auch noch gar nicht veröffentlicht."
    Plötzlich Superstar
    Und diese Wurstigkeit rächte sich, als "Girl You Know It’s True" ein Riesenhit wurde und eine Lawine ins Rollen kam: drei Nummer-Eins-Hits in den USA, Dauergäste in der BRAVO, Teenie-Gekreisch am Flughafen in Neuseeland, Milli-Mania allerorten! Segieth:
    "Tolle Hotels, tolles Essen, tolle Klamotten, die Mädels lagen ihnen zu Füßen..."
    In sieben Wochen vom Niemand zum Superstar! Rob verkraftete das nicht: Es folgten Größenwahn, das klassisch-tragische Aufbegehren gegen den Zaubermeister Farian, schließlich das Outing (Betrug! Betrug!) und Roberts Absturz in die Drogensucht - zuletzt sein Tod nach durchzechter Nacht.
    All das behandelt die ARTE-Doku "Milli Vanilli: From Fame to Shame". Und stellt leider nicht die Frage nach dem Kern des Skandals, obwohl Frank Farian ja selbst das Stichwort liefert:
    "Das ist schon gewaltig, wenn man sich so identifiziert mit dem Fake."
    Was ist noch echt im modernen Pop-Geschäft?
    Gehört Fake etwa per se zum Pop? Zumindest seit es Retortenmusik gibt, die tatsächlich aus der Retorte des allmächtigen Computerstudios kommt und die oft von den Interpreten live nicht mehr darstellbar ist. Und auch die gigantischen Bühnenshows der Superstars sind heutzutage derart komplex, dass alles vorprogrammiert wird wie bei Madonna - wenn sie springt und über die Bühne turnt und kopfüber in den Armen der Tänzer hängt, aber ihre Stimme bleibt klar!
    Inzwischen scheint, was einst Betrug war, dem Einverständnis des Fans mit der perfekten Inszenierung gewichen zu sein: der perfekten Illusion! Meine Güte, der Superstar ist schließlich wirklich da! Ich sehe ihn doch! Auf dem Bildschirm, über der Bühne, fast wie im richtigen Fernsehen oder im Youtube-Kanal. Und er klingt doch auch wie auf dem letzten Album!
    Diesen Fragen nach dem Anspruch des Popfans auf Echtheit geht die Arte-Doku "Milli Vanilli: From Fame to Shame" nicht nach, sie ist ein Film über den Leidensweg von Robert Pilatus. Doch immerhin - tatsächlich ohne jede Wertung - liefert sie ein Stückchen Einblick in die Produktmaschine der Popmusik. Und die rundum respektlose Funktionalität dieser Maschine fällt ganz kurz und nebenbei aus Frank Farians Mund:
    "Ich wollte mich auch mit Robert nicht so auseinandersetzen, weil - ich wußte ja, dass er eigentlich nix kann, außer Entertainment. Er war ja kein Musiker, und deswegen habe ich ihn nicht so sehr respektiert."