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Der Fall Murat Kurnaz

Die Geschichte des Deutschtürken Murat Kurnaz ist die einer Odyssee, und selten haben Politiker so fassungslos zugehört, als der in Bremen geborene junge Mann vor dem BND-Untersuchungsausschuss seine Leidensgeschichte erzählte. Mit der Befragung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier will der Ausschuss den Fall Kurnaz seiner Aufklärung näher bringen.

Von Sabine Adler und Hans-Joachim Wiese | 28.03.2007
    Die Öffentlichkeit bekam vorab in der ARD-Fernsehsendung "Beckmann" einen Vorgeschmack auf Kurnaz Erlebnisse in dem US-Gefangenenlager im afghanischen Kandahar.

    "Ich musste an diesem Maschendrahtzaun stehen, dann kamen zwei andere Soldaten mit einem anderen in Uniform. Ich habe die deutsche Flagge sehen können auf der Uniform, ich musste mich auf den Bauch legen, Hände auf den Rücken, dann kamen sie rein und haben mich gefesselt.

    Sie haben mich hinter einen LKW gebracht. Sie haben mich auf mein Gesicht fallen lassen. Da kam einer von den deutschen Soldaten, hat mich an den Haaren festgehalten und meinen Kopf hochgezogen. Er hat mich gefragt: weißt du, wer wir sind? Bevor ich ihm noch antworten konnte, hat er mir gesagt, wir sind das deutsche KSK. Da hat er meinen Kopf wieder auf den Boden geschlagen, dann haben sie mich noch getreten."

    Das "Kommando Spezialkräfte", KSK, war im Rahmen der so genannten "Operation Enduring Freedom", der US-geführten weltweiten Terroristenjagd also, mehrfach in Afghanistan im Einsatz. Was haben die deutschen Soldaten dort gemacht? Haben sie tatsächlich, wie Murat Kurnaz behauptet, amerikanische Gefangenenlager in Afghanistan bewacht und ihn dabei misshandelt?

    Fragen, die, weil sie die streng abgeschirmte Elite-Einheit der Bundeswehr betreffen, der Bundestags-Verteidigungsausschuss klären soll, der sich eigens dafür als Untersuchungsausschuss konstituiert hat. Er tagt geheim, anders als der BND-Untersuchungsausschuss.

    Seit April vorigen Jahres befasst er sich mit den bis heute ungeklärten Aktivitäten von Agenten des Bundesnachrichtendienstes während des Irakkriegs in Bagdad. Daher sein Name. Aber auch mit der so genannten BND-Spitzelaffäre gegen Journalisten.

    Am Beginn seiner Tätigkeit stand die Aufklärung des Falles el Masri, seit Anfang dieses Jahres beschäftigt ihn Murat Kurnaz. Auch er wurde durch den US-Geheimdienst CIA nach Afghanistan verschleppt. Auch bei ihm stellen sich die Fragen ob, wann und was die Bundesregierung davon wusste.

    El Masri wurde in Afghanistan von US-Amerikanern gefoltert, jeglicher Rechtsbeistand wurde ihm verweigert. Genau das behauptet auch Murat Kurnaz von sich. Als Vertreter der alten rot-grünen Bundesregierung ist Frank Walter Steinmeier der ranghöchste Politiker jener Zeit, der noch heute in politischer Verantwortung steht.

    Fast fünf Jahre lang hatte Murat Kurnaz keinen Namen mehr. Fast fünf Jahre lang war er nur eine Nummer. Im US-Gefangenenlager im afghanischen Kandahar Häftling Nummer 053, im berüchtigten amerikanischen Stützpunkt Guantanamo auf Kuba Häftling Nummer 061. Als er Mitte Januar vor dem BND-Untersuchungsausschuss aussagte, trat dort ein stämmiger junger Mann auf, der sich in seiner jahrelangen Haft einen imposanten, fast bis auf die Hüfte reichenden Vollbart hat wachsen lassen.

    Ruhig, gefasst und in flüssigem Deutsch schilderte er seine Erlebnisse. Die Erschütterung der Ausschussmitglieder war mit Händen zu greifen. Vorsitzender Siegfried Kauder, CDU, wusste schon vorher, was auf die Zuhörer zukommen würde.

    "Nach der Aktenlage ist klar, dass die Vernehmung von Herrn Kurnaz Abgründe auftun wird über die Art, wie die Amerikaner mit Gefangenen in Guantanamo umgegangen sind."

    Was Murat Kurnaz und schon vor ihm sein Anwalt Bernhard Docke aussagten, lässt sich nur noch mit dem Wort "Martyrium" beschreiben. Alle Ausschussmitglieder, ob Koalitions- oder Oppositionsangehörige, stimmten denn auch mit Kauders Befund überein.

    "Diese Art und Weise können wir als Deutsche auch nicht billigen. Ich halte das für völkerrechtswidrig, was dort passiert ist."

    Anfang Oktober 2001, nur wenige Wochen nach den Flugzeugattentaten in den USA, war Kurnaz nach Pakistan geflogen. Sein Anwalt Bernhard Docke:

    "Er hat dazu angegeben, dass er verschiedene Moscheen in Pakistan besucht hat. Mehr soll es nicht gewesen sein. Die Amerikaner sagen selbst, er war nur in Pakistan, er hat keine Waffe gegen die Amerikaner erhoben, er ist auch nicht festgenommen worden wegen irgendeiner Straftat, sondern bei einer verdachtsunabhängigen Kontrolle eines Busses. Und aus diesem Bus heraus ist er dann offensichtlich von pakistanischen Polizisten über die Grenze an die Amerikaner verkauft worden."

    Ganz gleich, was Murat Kurnaz vorgehabt hat in Pakistan, bis zum Zeitpunkt seiner Festnahme - das war schon kurz nach seiner Ankunft - hatte er sich nichts zu schulden kommen lassen. Die pakistanischen Sicherheitskräfte übergaben ihn trotzdem dem US-Militär in Afghanistan.

    Die erste Nacht im Gefangenenlager Kandahar habe er nackt bei Minustemperaturen im Freien verbringen müssen. Er sei immer wieder geschlagen worden und habe nicht telefonieren dürfen. Die Amerikaner hätten von ihm verlangt zuzugeben, dass er El-Kaida- oder auch Taliban-Mitglied sei.

    Anfang Februar 2002 sei er mit anderen Gefangenen nach Guantanamo gebracht worden, wo sein Leiden weiterging. So musste er zum Beispiel Wochen in einer völlig unterkühlten oder mal in einer völlig überhitzten Isolationszelle verbringen. Hin und wieder sei die Belüftung auch abgestellt worden, so dass er mehrfach wegen Sauerstoffmangels in Ohnmacht fiel. Von den ständigen Schlägen und Drohungen und dem Vegetieren in einem engen Maschendrahtkäfig ganz zu schweigen. Im September 2002 sei er in Guantanamo von deutschen Beamten verhört worden. Sie hätten ihm angeboten, ihn in Deutschland als Spitzel in der Islamistenszene einzusetzen und ihm Fotos vorgelegt.

    "Es waren zum Teil meine Arbeitskollegen, es waren zum Teil Leute, die ich aus der Moschee kannte, aus der Bremer Moschee oder Freunde aus meiner Schulzeit. Da waren ganz unterschiedliche Fotos."

    Bei den Verhörern handelte es sich um Beamte des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes, die Herren R., D., und Dr. K. Ihre Klarnamen blieben während ihrer nicht öffentlichen Vernehmung am 1. Februar im Untersuchungsausschuss geheim. Die drei machten weit auseinander gehende Aussage über die Gefährlichkeit von Murat Kurnaz, was sich Thomas Oppermann von der SPD so erklärt:

    "Richtig ist, dass der Delegationsleiter vom BND - der ist zu dem Ergebnis gekommen, er sei ungefährlich für die Sicherheitsinteressen Deutschlands, Israels und der USA. Dieser Mitarbeiter hatte keinerlei Kenntnisse von den Vorwürfen gegenüber Kurnaz in Deutschland. Er war insofern gar nicht vorbereitet, der Mann vom Verfassungsschutz hingegen kam zu einer anderen Einschätzung. Er hat gesagt, Kurnaz sei ein islamistischer Fundamentalist und in concreto hat er mehrere Vorbehalte in seinem Aktenvermerk gemacht, die in Bremen noch überprüft werden müssen, bevor man zu der Prognose kommen könnte, er sei ungefährlich."

    Von den deutschen Geheimdienstlern erhofften sich die Ausschussmitglieder, vor allem die der Opposition, Aufschluss darüber zu bekommen, was es mit dem angeblichen amerikanischen Angebot auf sich hatte, Kurnaz schon 2002 freizulassen. Mal hieß es, die CIA habe die Freilassung angeboten, dann war vom Pentagon die Rede, dann wieder sollte eine Gruppe von 200 Männern in die Freiheit geschickt werden, darunter eventuell auch Murat Kurnaz.

    Tatsächlich dauerte es bis zum August 2006, dass ihn seine Mutter wieder in ihre Arme schließen konnte. Ende 2005, kurz vor dem ersten Washington-Besuch der frisch gewählten Kanzlerin Angela Merkel, hatte Rabiye Kurnaz neuen Mut geschöpft.

    "Ich habe nie gedacht, dass Bundeskanzlerin Merkel sich um uns kümmert, und ich freue mich natürlich darüber so sehr. Hoffentlich kommt mein Sohn bald frei, und wir können unseren Sohn dann in den Arm schließen."

    Noch immer kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, ob Kurnaz früher hätte freikommen können. Im August 2004 soll die Bremer Innenbehörde - angeblich auf Druck vom Bundesinnenministerium - Kurnaz' Aufenthaltserlaubnis für erloschen erklärt mit der Begründung, er habe sich länger als sechs Monate nicht in Deutschland aufgehalten.

    Zu diesem Zeitpunkt saß Kurnaz schon rund zweieinhalb Jahre im Foltergefängnis Guantanamo. Er konnte also gar nicht zurückkehren, was den Behörden durchaus bewusst war. Im November 2005 erklärte das Bremer Verwaltungsgericht die Löschung der Aufenthaltserlaubnis für Kurnaz übrigens für ungültig. Bis auf Kurnaz Mutter und Bernhard Docke nahm damals kaum jemand Notiz von diesem Akt der Zivilcourage, erst jetzt, da die Affäre zum Stolperstein für den amtierenden Außenminister werden könnte, werden diese Details wieder in Erinnerung gerufen.

    Die Befragung der zwei BND-Beamten und des Mitarbeiters des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 1. Februar hätte Aufschluss über das Freilassungsangebot geben können. Doch da sie im Untersuchungsausschuss nicht öffentlich aussagten, sondern hinter verschlossenen Türen, muss sich die Öffentlichkeit darauf verlassen, was die Obleute später berichteten. Bei Oppermann von der SPD klang das so:


    "Gerade die drei Guantanamo-Reisenden, das Befragungsteam, hat klipp und klar festgestellt, ein Angebot habe es nicht gegeben, es habe lediglich eine Information gegeben darüber, dass die Amerikaner im Oktober 2002 geplant hatten, eine größere Gruppe von Gefangenen, die als weniger gefährlich galten, aus Guantanamo freizulassen, und ihnen wurde bedeutet, dass Kurnaz darunter sein könne. Allerdings - so wurde auch gesagt - müsse natürlich noch eine Sicherheitsüberprüfung von Kurnaz stattfinden. Aus den Akten wissen wir, dass diese Sicherheitsüberprüfung von Kurnaz durch die Amerikaner zu einem negativen Ergebnis geführt hat: Sie hielten ihn für nicht glaubwürdig."

    Die Ausschussmitglieder dürfen keine Details ihrer Befragung preisgeben, machen in Interviews nur Andeutungen und öffnen damit Raum für Interpretationen. Die sind so widersprüchlich wie zuvor, und darin liegt das grundsätzliche Dilemma, wenn Aufklärung über etwas Geheimes erreicht werden soll. Sobald die Sicherheitsinteressen des Landes berührt sind, gehen die Jalousien runter. Werden sie später wieder hochgefahren, sind die Spekulationen längst ins Kraut geschossen, wurde durchgestochen, wurden Schriftstücke und Informationen häppchenweise lanciert.

    Thomas Oppermann hatte nach eigenem Bekunden zwischenzeitlich den Eindruck, dass der Vermerk "vertraulich" als Beschleunigungsfaktor für eine Akte auf dem Weg an die Öffentlichkeit diente.

    "Das führt natürlich zu einem informationellen Ungleichgewicht bei den Medien. Für uns ist das ein gravierender Nachteil. Wir hatten oft die Situation, dass scheinbar belastende Informationen in selektiver Zusammenstellung in der Öffentlichkeit waren, während die entlastenden Aspekte der Geschichte geheim gehalten werden sollten. Das ist übrigens auch gegenüber denjenigen, die da belastet werden, in keiner Weise fair. Ich plädiere deshalb dafür, dass alle Akten auf den Tisch gelegt werden, dass wir das komplett öffentlich machen."

    Kein Tag verging zwischen Mitte Januar und Anfang Februar ohne neues, belastendes Material in den Zeitungsseiten. In der Umgebung des Ministers wurde man nervös. Krisenmanagement setzte ein, von dem ein Journalist treffend schrieb: das, was Steinmeier in dieser Situation fehlt, ist so einer wie Steinmeier an seiner Seite. Pauschale Beruhigungsformeln richteten wenig aus, so sehr sich der Stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg auch bemühte.

    "Zunächst einmal hat es, seitdem der Fall bekannt geworden ist, sowohl in der Vorgängerregierung als auch in der jetzigen Bundesregierung gegenüber der amerikanischen Seite ständig Bemühungen gegeben, den Fall aufzuklären und sich um eine Lösung des Falles zu bemühen."

    Am 23. Januar ging Steinmeier in die Offensive und verließ die bis dahin wenig erfolgreiche Taktik des Schweigens und Verweisens auf seine künftige Aussage vor dem Untersuchungsausschuss. Am Rande des EU-Außenministertreffens, es war zugleich der Tag, an dem das Europäische Parlament seinen CIA-Untersuchungsbericht vorlegte, begann er sich zu wehren.

    "Die lange Leidensgeschichte von Herrn Kurnaz in Guantanamo ist erschütternd, lässt auch mich in der Tat nicht kalt. Aber daraus den Vorwurf abzuleiten, die deutsche Bundesregierung sei dafür verantwortlich, das ist doch erstens falsch und schlicht auch infam. Wie Sie wissen, und das weiß auch die deutsche Öffentlichkeit, haben wir uns verschiedentlich bemüht, bei den Amerikanern, bei den Türken, um Freilassung. Dass das erst 2005 in eine entscheidende Phase gerückt ist, dafür ist die deutsche Bundesregierung nicht verantwortlich."

    Die Stellungnahme kam unerwartet, was Steinmeiers Sprecher Martin Jäger als vollen Erfolg wertete.

    "Sie alle wissen, dass die Option der Überraschung sozusagen zum Kernbestand der politischen Handlungsmöglichkeiten gehört, und insofern sollten Sie darüber nicht überrascht sein."

    Die erhoffte Beruhigung war mit Steinmeiers scheinbarem Befreiungsschlag jedoch nicht eingetreten, die Fragen nach Kurnaz' Freilassung erschallten so laut wie zuvor, was den Sprecher im Außenamt zu eine Differenzierung veranlasste, die abermals nicht weiterhalf.

    "Ein Angebot setzt im Wortsinne immer voraus, dass jene, die es machen, es dann auch einlösen können. Auf diese Tatsache hat der Bundesaußenminister insbesondere auch mit der Qualifizierung offiziell gestern hingewiesen."

    Steinmeiers Äußerungen schlugen zwischenzeitlich in ihr Gegenteil um. Statt die Gemüter zu beruhigen, heizte sich die Stimmung immer weiter auf, besonders durch den Satz: Ich würde heute nicht anders entscheiden als damals. Steinmeier besserte nach: Die damaligen Entscheidungen seien aus heutiger Perspektive richtig gewesen.

    "Aus meiner Sicht konnte ich sie deshalb vor dem damaligen Hintergrund aus Rücksicht auf die damals vorliegenden Informationen nicht anders treffen."

    Als sich am 1. Februar dann Ex-Kanzler Gerhard Schröder, endlich hinter seinen früheren Kanzleramtschef stellte, meinte man den Stein aufschlagen zu hören, der dem Bedrängten vom Herzen fiel.

    Auch wer Steinmeier in diesen für ihn heiklen Wochen und Monaten kontinuierlich aus der Nähe erlebte, merkte dem 50-Jährigen den Druck kaum an. Anders als sein Vorgänger im Auswärtigen Amt, Fischer, war Steinmeier zur Kurnaz-Affäre ansprechbar, empfand er Nachfragen nicht als Majestätsbeleidigung.

    Was Steinmeier bei aller Selbstverteidigung zu lange versäumte, übernahm der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg. Er erinnerte an die aufgeheizte Stimmung 2002, die von der Angst vor Anschlägen geprägt war und in der sich eine rot-grüne Bundesregierung eines auf keinen Fall hätte leisten können: irgendeinen Zweifel an ihrer Verlässligkeit aufkommen zu lassen, die Bürger nicht sicher genug vor Terror zu schützen. Und er stellte sich im Namen der Bundesregierung hinter den Außenminister.

    "Die Bundeskanzlerin hat ein ausgesprochen enges und vertrauensvolles Verhältnis zu ihrem Außenminister, und sie pflegt im übrigen eine solche Form der Zusammenarbeit nicht abzulegen wie andere ihr Oberhemd täglich wechseln. Die Bundeskanzlerin hat ein großes Interesse daran, die gute, die menschlich angenehme Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Außenminister weit über die europäische Ratspräsidentschaft hinaus fortzusetzen."

    Einen Rücktritt hatte Steinmeier kategorisch abgelehnt, eine Entschuldigung bei Kurnaz wird in seiner Umgebung noch nicht einmal in Erwägung gezogen, sie käme einem Schuldeingeständnis gleich, dafür gäbe es keinen Anlass. Nicht die deutschen Sicherheitsbehörden, sondern die Amerikaner hätten Kurnaz nach Guantanamo gebracht, wollte auch Ex-Kanzler Schröder Ursache und Wirkung ins richtige Verhältnis gesetzt sehen. Genossen wie Oppermann fordern die USA zu Entschädigungszahlungen an Kurnaz auf, dessen Haft ungerechtfertigt gewesen sei.

    Die Partei schloss die Reihen fest hinter ihrem Genossen Außenminister, in der Koalition dagegen machte sich Gereiztheit breit. Thomas Oppermann, der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss erklärt sich vorbehaltlos zum Verteidiger Steinmeiers.

    "Ich verstehe mich nicht als Apologet von Steinmeier. Es gibt allerdings im Untersuchungsausschuss drei Angreifer, und da die CDU der Verlockung nicht immer widerstehen kann, manchmal auch vier Angreifer, warum soll es dann nicht auch einen geben, der die Verteidigung übernimmt. In jedem Strafprozess würde man jedenfalls unter Fairness-Gesichtspunkten so etwas für selbstverständlich halten."

    In seiner Sitzung am 1. März wollte der BND-Untersuchungsausschuss klären, auf welcher Grundlage die so genannte Präsidentenrunde unter Steinmeier zu dem Schluss kam, Kurnaz sei gefährlich. Die dafür nötigen Akten aus dem Bremer Landesamt für Verfassungsschutz waren zu spät in Berlin eingetroffen. Das Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Verfassungsschutz hatten gefordert, brisante Blätter aus den Ordnern zu entfernen, und die Akten zurückgesandt.

    Dieser Vorgang ärgerte alle Abgeordneten quer durch die Parteien im Ausschuss so sehr, dass sie einstimmig beschlossen, die Anhörung des ehemaligen BND-Präsidenten August Hannig und seines Nachfolgers Ernst Uhrlau um eine Woche zu verschieben. Als die beiden schließlich am 8. März vor den Ausschuss traten, benannten sie Verdachtsmomente gegen Kurnaz, Urhlau bezeichnete ihn sogar als einen - so wörtlich: "heranwachsenden Gefährder mit typischer Radikalisierungs- und Erweckungsbiographie." und widersprach der Einschätzung der drei Beamten, die Kurnaz in Guantanmo besucht und als ungefährlich eingestuft hatten. Zur Gefahrenprävention sei bereits am 8. Oktober 2002 entschieden worden, Kurnaz nicht wieder einreisen zu lassen. Der Druck, Steinmeier selbst im Untersuchungsausschuss zu hören, wuchs, und doch vergingen noch Wochen bis dahin. Max Stadler, der FDP-Obmann:

    "Jetzt hat die öffentliche Debatte doch so großes Interesse daran hervorgerufen, endlich zu erfahren, wie denn Herr Steinmeier als maßgeblicher Kanzleramtsleiter der alten Bundesregierung die früheren Entscheidungen rechtfertigt."

    Das Kapitel Kurnaz, das mit den Zeugen Steinmeier und Schily eigentlich abgeschlossen werden sollte, bleibt auch weiterhin offen, denn nun soll auch noch der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Crobog, vorgeladen werden.

    Er war Teilnehmer der so genannten Präsidentenrunde im Bundeskanzleramt unter der Leitung des damaligen Chefs Steinmeier, die entschieden hatte, Kurnaz eine Einreise nach Deutschland zu verwehren. Behält der Parlamentarische Untersuchungsausschuss sein bisheriges Tempo bei, dürfte er mit der Aufklärung der drei verbleibenden Komplexe die gesamte Legislaturperiode über beschäftigt sein.