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Der fantastische Realist
Zum Tod des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez

Ein höchst sinnlicher Schriftsteller, der sich selbst als reinen Realisten beschrieb: Bei dem kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez verbanden sich Wunsch und Wirklichkeit. Eine Mischung, die in der Literaturgeschichte als "fantastischer Realismus" bezeichnet wurde.

Von Kersten Knipp | 18.04.2014
    Der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez sitzt mit einer Zeitung auf einer Parkbank.
    Auch Politik war ein großes Thema für den Schriftsteller García Márquez, der Zeit seines Lebens auch als Journalist arbeitete. (dpa / picture alliance / Stringer)
    Eine Hitze, ein Dampf entstieg seinen Büchern wie nur wenigen anderen Werken. Die kolumbianische Sonne schien durch sie hindurch, das Grün unendlicher Tropenwälder, das Blau von Sonne und mehr. Und wirklich war García Márquez zuallererst vielleicht dieses: ein höchst sinnlicher Schriftsteller. Es konnte auch kaum anders sein bei solchen Arbeitsbedingungen:
    "Ich arbeite bei offenem Fenster, und oft dringen Töne, Stimmen, Musik an mein Ohr, die ich in das, was ich schreibe, mit einbeziehe. Ich verleibe sie dem Roman ein, und so bleiben sie erhalten."
    "Hundert Jahre Einsamkeit" machte García Márquez 1966 bekannt
    Schlagartig bekannt wurde García Márquez 1966, als er "Hundert Jahre Einsamkeit" veröffentlichte, einen über Generationen sich erstreckenden Familienroman, ein Labyrinth von ineinander verschränkten Handlungen, die teils real, teils fantastisch anmuteten. Auch in seinen anderen Werken, der "Chronik eines angekündigten Todes" etwa, der "Liebe in den Zeiten der Cholera" oder in dem über den "General in seinem Labyrinth" gehen Wunsch und Wirklichkeit, Wahn und Wahrnehmung oft bizarre Bindungen ein, ergeben eine Mischung, die in der Literaturgeschichte einen eigenen Namen erhielt: fantastischer Realismus.
    "Tatsächlich ist diese magische Welt, von der soviel gesprochen und von den Kritikern geschrieben wird, unser Alltagsleben, das Leben, an das wir uns gewöhnt haben. Ich bin in einem Haus von Großmüttern und Tanten aufgewachsen. In einem Haus von Frauen, wo man inmitten dieser zweiten Natur lebte, in dieser zweiten Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit, hinter der es möglicherweise noch weitere unbekannte Wirklichkeiten gibt. Ich betrachte mich als einen reinen Realisten, der alltägliche Ereignisse katalogisiert, die später fantastisch erscheinen."
    "Ein Roman sollte sich nicht nur um Politik drehen"
    García Márquez, 1928 geboren, war 20 Jahre alt, als 1948 der so genannte "Bogotázo" ausbrach, ein heftiger Protest, entzündet durch die Ermordung Jorge Gaitáns, eines populären Oppositionspolitikers. Seitdem kam Kolumbien nicht mehr zur Ruhe, in die politisch motivierte mischte sich immer mehr auch die kriminelle Gewalt, vor allem im Umfeld des Drogenhandels. Politik – auch das war ein großes Thema für García Márquez, der Zeit seines Lebens auch als Journalist arbeitete. In der Literatur aber, fand er, habe die Politik nur bedingt etwas zu suchen. Zu viel davon tue ihr nicht gut:
    "In meinen Büchern existiert genau diese natürliche Dosis an Politik. Alles andere hieße, Pamphlete schreiben, Reden halten, mit Argumenten überzeugen, die in einem Roman nichts zu suchen haben. Dann sollte man lieber öffentliche Reden halten oder eine politische Zeitungskolumne verfassen. Aber ein Roman sollte sich nicht nur um Politik drehen, sondern um das ganze Leben."
    Der Nobelpreis, den García Márquez 1982 erhielt, zeichnete einen Autor aus, der nicht nur die lateinamerikanische, sondern die Literatur weltweit revolutioniert hatte. Ein Künstler nahm diesen Preis in Empfang, der vor allem eines versucht hatte: die vielen Kulturen seiner Heimat zu beschreiben, einer Heimat, die ihm und seinen Lesern bis heute traumhaft erscheint.
    "Enorme Frustration, die Episode vom eigenen Tod nicht erzählen zu können"
    "Die Karibik wird bis heute vor allem als ein geografischer Raum verstanden. Sie ist aber zuallererst ein großer kultureller Raum. Die Vermischung dieser Kulturen hat den eigentümlichen Charakter der Karibik erschaffen, der das Unwahrscheinliche möglich macht. Das Schwierige ist nur: Man muss dran glauben. Und uns lateinamerikanischen Schriftstellern ist genau dieser Ton gelungen, der das glaubhaft macht."
    Von García Márquez hat man einmal gesagt, es gebe nichts, das er nicht in eine spannende Geschichte verwandeln könne. Das trifft zu, jedenfalls überwiegend. Denn auch der größte Schriftsteller scheitert an den Grenzen, die das Leben ihm setzt:
    "Was mich wirklich ernsthaft am Tod beschäftigt, ist der Umstand, dass er wahrscheinlich das einzige Ereignis in meinem Leben ist, noch dazu eines der wichtigsten, das ich niemals werde beschreiben können. Und es ist als Ende eines Lebens, das dazu bestimmt war, alles zu erzählen, was sich zugetragen hat, ein ungeheures Fiasko, eine enorme Frustration, die Episode vom eigenen Tod nicht erzählen zu können."