Donnerstag, 18. April 2024

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Der französische Komponist Édouard Lalo
Kein Revolutionär, aber mit unverkennbarem Ton

Die Werke des Komponisten Édouard Lalo sind hierzulande kaum bekannt. Und auch in seiner französischen Heimat hat sein Oeuvre keinen leichten Stand. Das Orchester ist bei Lalo gleichberechtigter Partner im musikalischen Dialog - ähnlich den Klangwelten von Brahms. Jetzt gibt es die bisher umfangreichsten Einspielungen des Komponisten. Der Aufwand hat sich gelohnt.

05.05.2016
    Farbfoto eines gestellten Fotos von dem Geiger Lorenzo Gatto mit der Belgischen Königlichen Familie, 2012 in Brüssel
    Der Violinist Lorenzo Gatto hat einige der Werke Lalos eingespielt. Hier mit der Belgischen Königlichen Familie, 2012 in Brüssel (imago/Reporters)
    "Ihre Ankunft in meinem Leben eröffnete mir die größten künstlerischen Möglichkeiten", gestand der Komponist Édouard Lalo in einem Brief an Pablo de Sarasate. "Ohne Sie hätte ich weiter unbedeutenden Kram geschrieben.", lautete die gewohnt kritische Selbsteinschätzung des französischen Komponisten.
    Keine Frage, die Begegnung mit Sarasate im Jahr 1873 markierte einen Wendepunkt im Schaffen des damals 50-jährigen Lalo. Inspiriert von dem berühmten Geiger, schrieb Édouard Lalo gleich im Folgejahr sein erstes Violinkonzert. Ein knapp halbstündiges Stück, das den virtuosen Fähigkeiten des Solisten viel Raum gibt.
    Lalo - Violinkonzert, 1. Satz
    Im mächtigen Kopfsatz seines ersten Violinkonzerts lässt Édouard Lalo – selbst ein guter Streicher - keinen Millimeter des Griffbretts ungenutzt. Er reizt den Klangraum der Geige mit weiten Sprüngen, kapriziösen Trillern und rasanten Läufen aus. Doch das Stück ist keine bloße Virtuosenshow. Gerade im langsamen Satz, einem romantischen Andantino, offenbart der Komponist sein Gespür für raffinierte Farben und kantable Linien. Der junge Geiger Woo Hyung Kim, Jahrgang 1991, meistert die technischen Hürden souverän und spielt die lyrischen Passagen des Konzerts mit warmem Schmelz.
    Lalo - Violinkonzert, 2. Satz
    Ein kurzer Ausschnitt aus dem Andantino des ersten Violinkonzerts von Édouard Lalo, mit dem koreanischen Geiger Woo Hyung Kim und dem Liège Royal Philharmonic, den königlichen Philharmonikern aus dem belgischen Lüttich unter Leitung von Jean-Jacques Kantorow. Die Aufnahme ist kürzlich bei Alpha Records erschienen. Sie umfasst drei CDs mit Lalos Konzertstücken für Geige, Cello und Klavier – interpretiert von den Solisten der Chapelle Musicale Reine Elisabeth, einer renommierten musikalischen Talentschmiede in Belgien.
    Mit Ausnahme der viel gespielten Symphonie espagnole sind die Werke von Édouard Lalo hierzulande kaum bekannt. Und auch in der französischen Heimat hat sein Oeuvre keinen leichten Stand. Schon zu Lebzeiten fremdelten viele Landsleute Lalos mit dessen Nähe zur deutschen Tradition.
    Als man in Paris die Oper liebte, widmete sich der Spross einer Offiziersfamilie aus dem nordfranzösischen Lille lieber der Kammermusik und schrieb oder spielte Streichquartette. Ohne das Vorbild der großen deutschen Komponisten sei seine Musik nicht denkbar, bekannte Lalo im Jahr 1862 – also ausgerechnet zu einer Zeit, als der nationale Ton in der Musik eine immer wichtigere Rolle einnahm.
    Seine enge Verbindung mit der deutschen Tradition offenbarte der Komponist auch im Klavierkonzert aus den Jahren 1888-89: weil dort manches an die dunkle Klangwelt eines Johannes Brahms erinnert, aber auch wegen der engen Verzahnung von Soloinstrument und Orchester.
    Mit dem Klavierkonzert entfernt sich Lalo weit von der musikalischen One-Man-Show, wie sie in Frankreich lange en vogue war; das Orchester sitzt bei ihm nicht bloß als Stichwortgeber für den Solisten auf den Stühlen, sondern ist ein gleichberechtigter Partner im musikalischen Dialog. Damit folgt Lalo der Idee eines sinfonischen Konzerts.
    Lalo - Klavierkonzert, 1. Satz
    Das Klavierkonzert von Édouard Lalo – für meine Ohren eine der größten Entdeckungen in der Sammlung mit Konzertstücken des französischen Komponisten. Der 28-jährige Pianist Nathanael Gouin spielte hier gemeinsam mit den königlichen Philharmonikern aus Lüttich unter Jean-Jacques Kantorow. Ein Orchester, das den Solisten aufmerksam und sensibel folgt und dabei auch immer hellwach seine eigenen Akzente setzt.
    Für die etwa drei Stunden Musik umfassende Lalo-Produktion standen im vergangenen Jahr insgesamt 15 Aufnahmetage zur Verfügung – das ist vergleichsweise viel Zeit, gemessen an der Eile, in der manch andere Einspielungen entstehen. Diesen Freiraum haben die Interpreten und die Tonmeisterin genutzt:
    Ihre besondere Sorgfalt tritt mit einigen Details sehr deutlich zu Tage, etwa im reich differenzierten Spektrum in der Dynamik, das weit über die sonst üblichen Lautstärkenkontraste hinaus geht, aber auch im sehr gut getimten Zusammenspiel zwischen dem Orchester und den jungen Solisten.
    Das Aufnahmeprojekt wurde vom Palazetto Bru Zane unterstützt, einem Forschungszentrum für französische Musik mit Sitz in Venedig. Dort entstand auch die Idee zu einer der bisher umfangreichsten Einspielungen zum Thema Lalo. Der Aufwand hat sich gelohnt: Die drei CDs mit insgesamt zehn größeren und kleineren Werken für Soloinstrumente und Orchester offenbaren dem Hörer den melodischen Reichtum, den Farbsinn und die rhythmische Energie eines Komponisten, der viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.
    Édouard Lalo war zwar sicher kein Revolutionär, der bahnbrechend Neues geschaffen hätte, sondern eher ein konservativer Komponist – doch er hat im vielfältigen Stimmengewirr der Spätromantik einen ganz eigenen Ton gefunden.
    Eine seiner originellsten Pointen setzte Lalo im Intermezzo des Cellokonzerts. Dort verschmilzt er den bewegten Scherzo-Teil und ein Andantino zu einem einzigen Mittelsatz mit zwei gegensätzlichen Charakteren. Zu Beginn schafft er mit gedämpften Streichern eine Atmosphäre von süßer Melancholie – bevor er später zu einem leichtfüßigen Tänzchen bittet.
    Lalo - Cellokonzert, Intermezzo
    Der Cellist Ori Epstein mit dem Intermezzo aus dem Cellokonzert von Édouard Lalo. Hier scheint unverkennbar die spanische Sonne durch und verweist auf eine besondere Vorliebe des Komponisten. Lalos Familie, die aus Flandern nach Frankreich kam, hatte spanische Wurzeln. Doch abgesehen von dieser persönlichen Verbindung hatte der Komponist auch sonst ein Faible für lokales Kolorit. Das ist auf der drei CDs umfassenden Sammlung mehrfach zu erleben.
    Sie enthält etwa eine von skandinavischen Volksliedern inspirierte "Fantaisie norvégienne" für Geige und Orchester und ein Violinkonzert mit dem Untertitel "Concert russe", also russisches Konzert. Im langsamen Satz zitiert Lalo Melodien aus der russischen Volksmusik und bettet sie in einen weichen Orchesterklang. Hier wagt sich Édouard Lalo bisweilen bis an den Rand der Süßlichkeit, aber ohne die Kitschgrenze wirklich zu überschreiten.
    Lalo - Concert russe
    Die lettische Geigerin Elina Buksha findet bei ihrer Lalo-Interpretation eine gesunde Mischung aus Schlichtheit und Schmelz. Sie gehört zu einer ganzen Riege exzellenter junger Solisten, die sich mit der Aufnahme einem internationalen Publikum präsentieren. Alle stammen von der Chapelle Musicale Reine Elisabeth: Eine Elite-Musikhochschule vor den Toren von Brüssel. Deren Studierende können ihre Talente unter idealen künstlerischen Bedingungen entfalten.
    Das Förderprogramm der Hochschule umfasst Auftrittsmöglichkeiten von 250 Konzerten pro Jahr als praxisnahe Vorbereitung auf den Berufsalltag und Unterricht bei herausragenden Interpreten. Zu den Lehrern an der Chapelle Musicale gehören etwa die Pianistin Maria Joao Pires, der Sänger José van Dam oder das Artemis Quartett. Leiter der Violinabteilung ist der Geiger Augustin Dumay, der sich die Lalo-CDs mit berechtigtem Stolz anhören dürfte. Denn alle vier Geiger hinterlassen einen ganz starken Eindruck.
    Aus dem hohen Niveau der Solisten ragt ein Künstler heraus: der 1986 in Brüssel geborene Geiger Lorenzo Gatto. Gatto hat die reizvolle, aber auch ziemlich heikle Aufgabe übernommen, das einzige bekannte Werk von Lalo einzuspielen, sein Violinkonzert mit dem Titel Symphonie Espagnole. Da tritt der junge Geiger gegen eine schier übermächtige Konkurrenz an und muss sich dem Vergleich mit unzähligen namhaften Kollegen stellen. Doch den braucht er nicht zu scheuen, Gatto kann der Herausforderung tatsächlich standhalten. Alleine schon wegen seines wunderbar warmen Geigentons, mit dem er das Andante beseelt.
    Lalo – Symphonie espagnole, 2. Satz
    Mit solchen Klängen und mit seiner Gabe, eine Phrase organisch erblühen zu lassen, spielt sich der junge Geiger Lorenzo Gatto direkt ins Herz. Ein beglückendes Erlebnis. Nun reicht ein schöner Ton natürlich bei Weitem noch nicht aus, um die Symphonie Espagnole von Lalo richtig zu fassen zu kriegen. Aber Gatto hat auch alles andere buchstäblich im Griff.
    Er absolviert die akrobatischen Fingerturnübungen, die Lalo seinen Solisten zumutet, mit beeindruckender Sicherheit und Präzision und nutzt seine technische Souveränität, um den Reichtum des Stücks zu ergründen: mit einer Fülle an Klangschattierungen und natürlicher Eleganz. Gemeinsam mit dem Orchester und Jean-Jacques Kantorow entfacht er eine spritzige Musizierlust.
    Lalo – Symphonie espagnole, Finale
    Das war das Finale der Symphonie Espagnole von Édouard Lalo, mit dem Geiger Lorenzo Gatto und dem Liège Royal Philharmonic unter Leitung von Jean-Jacques Kantorow. Die Aufnahme ist Teil einer drei CDs umfassenden Edition des Labels Alpha Classics mit Konzertstücken von Lalo; Marcus Stäbler hat sie Ihnen vorgestellt.