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Der frustrierte Kristall

Physik. - Mineralien aus der Kreidezeit, dem Zeitalter der Dinosaurier, stehen derzeit im Fokus eines Sonderforschungsbereichs an der Universität Köln. Insbesondere die sogenannten Multiferroika haben es den Wissenschaftlern angetan: Ihre elektromagnetischen Eigenschaften könnten für künftige Speichertechnologien interessant sein.

Von Mathias Schulenburg | 23.04.2008
    Das Erdzeitalter der Kreide, vor 100 Millionen Jahren. Es war die Blütezeit der Dinosaurier. Vulkanische Kräfte ließen in der Gegend um den heutigen Mount Malosa herum - bei Zomba, Malawi, im Südwesten Afrikas - eine bunte Fülle von Mineralien entstehen.

    Zeitsprung in die Gegenwart: Mutige einheimische Sammler holen aus der extrem steilen, felsigen Nordwestflanke des Mount Malosa die Hinterlassenschaften der Kreidezeit, exquisite Mineralien, für die sich zahlreiche Sammler interessieren - und der Sonderforschungsbereich 608 der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Köln, sowie die Wissenschaftszeitschrift "Nature". Denn ein Teil der Minerale hat sich als Modellsubstanz für eine von zahlreichen Arbeitsgruppen intensiv beforschte Stoffgruppe erwiesen, die sogenannten Multiferroika.

    Ferroisch sind Kristalle, wenn ihre Baugruppen dauerhafte, schaltbare Ordnungsmuster annehmen können. Bei einem ferromagnetischen Kristall etwa sind die magnetischen Momente der Atome einheitlich ausrichtbar, so oder so, deshalb gibt es Dauermagnete, die sich ummagnetisieren lassen.

    Bei einem ferroelektrischen Kristall lassen sich elektrische Ladungen dauerhaft verschieben. Bei multiferroischen Kristallen können mehrere Ordnungsmechanismen nebeneinander auftreten und sich gegenseitig kontrolliert beeinflussen. Dann lassen sich etwa magnetische Muster elektrisch schalten und umgekehrt - hochinteressant für künftige Speichertechnologien.

    "Die Grundvoraussetzung dafür ist eine Frustration. Das ist also eine Anordnung der Art, dass, im einfachsten Fall, drei solcher magnetischen Ionen sich nicht einigen können, wie sie sich anordnen sollen","

    sagt Ladislaw Bohatý, Direktor des Instituts für Kristallographie der Universität Köln und vom Sonderforschungsbereich 608, dort mit der Entwicklung von multiferroischen Modellsystemen und neuen Materialien betraut. Wenn die Dinge im Kristall so subtil auf der Kippe stehen, können sich exotische Ordnungsmuster ausbilden, hier sind es spiralartige Muster der magnetischen Momente. Und:

    " "Wenn man eine solche spiralartige Anordnung hat, dann wurde vorhergesagt von den Theoretikern, dann tritt in einer ganz bestimmten Richtung in diesem Kristall die Polarisation auf."

    Eine elektrische Polarisation, die Einfluss auf die magnetische nehmen kann und umgekehrt. Dann überlegten die Kölner Kristallographen, welche Mineralien wohl geeignete Strukturen zeigen.

    "Und die Struktur sollte nicht allzu kompliziert sein, und so sind wir sehr schnell zu den Pyroxenen gekommen."

    Pyroxene sind nichts Exotisches, sie bilden eine sehr umfangreiche Mineralfamilie, deren Mitglieder sich unter anderem in erstarrter Lava finden.

    "Und dann haben wir das Glück gehabt, dass wir bei einer Mineralienbörse sehr gute natürliche Kristalle von Aegirin kaufen konnten, genau eine dieser Substanzen, die das versprach. Und dann wurde an diesem natürlichen Pyroxen die erste Untersuchung gemacht, und siehe da: Es ist ein neues magnetoelektrisches Multiferroikum."

    High-Tech aus der Saurierzeit, denn die Pyroxenvariante Aegirin stammt - natürlich - aus der felsigen Nordwestflanke des Mount Malosa in Malawi. Für technische Anwendungen ist das Naturmineral nicht geeignet, wohl aber als Modellsubstanz. Mit der vor Augen, hat Petra Becker am Kristallographischen Institut der Universität Köln bereits eine ganze Reihe vielversprechender neuer Kristalle synthetisieren können.