Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Der Garten" am Schauspielhaus Wien

"Der Garten" hat Anja Hilling als Auftragswerk für das Schauspielhaus Wien geschrieben. Das Stück erzählt die Geschichte einer Radikalisierung unter dem Druck der Natur. Protagonisten sind Antonia und Sam, zwei Dreißiger auf der Sinnsuche.

Von Hartmut Krug | 11.12.2011
    Anja Hilling hat ihrem Stück ein Zitat von Baudelaire vorangestellt, - klar, aus "Die Blumen des Bösen". Und dann wird, bevor weiter erzählt wird, erst einmal erklärt: Erst sind die Menschen dran, dann der Garten. Ohnehin wird mehr beschrieben, erklärt und behandelt als gehandelt in Hillings sprachkräftiger, bilderreich intellektualisiertem Stück. Eigentlich geht es einmal mehr nur um das übliche Hauptthema neuer Dramatik: um das Unglück im Alltag, um Beziehungsprobleme, Angst vor dem Alter und dem Krebs, - oder allgemeiner: um Sinnsuche und die Sehnsucht nach dem wahren Leben. "Ich will was fühlen", sagt die Musikkritikerin Antonia, gibt ihrem Freund so beredt wie klischeehaft den Laufpass und geht zum Rockmusiker Sam in dessen Garten, mit dem er sich den Traum von Wildnis erfüllt hat.

    Wie passen Intellekt und Emotion zueinander, das ist so eine der zentralen Jungdramatikerfragen, die schon von Berufs wegen auch die Autorin Hilling und ihre Musikkritikerin Antonio umtreibt. Nicht nur Letztere ist, wie sie sagt, "im Hirn zuhause" und benutzt die Sprache als Lebensmittel und Puffermaterial, - gegen, klar, das Leben und die eigene Emotionalität.

    Wie die Menschen von Antonias Freundes- und Berufskreises so sind, das formuliert die Autorin wie eine Regieanweisung, und Regisseurin Felicitas Brucker lässt sie vom Darsteller des Sam vortragen:

    "Sie sind irgendwie in den Dreißigern, kommen klar hier. Wenn sie frieren, nehmen sie den Laptop direkt auf den Schoß. Wenn sie nachts aufwachen, bauen sie die Festplatte aus, wenn sie verrückt werden, hängen sie die Tischordnung für ihre Trauerfeier an die Pinnwand. Ihr Unglück ist ein Tier aus anderen Zeiten, größer als sie selbst und nicht leicht zu fassen. "

    Anja Hillings Stück ist eine merkwürdige Kunstanstrengung. Faszinierend in seiner sprachlichen Kraft, in seiner selbstverständlichen Pathetik, in seinen tieferen Bedeutungsbehauptungen. Aber auch unfreiwillig komisch in seinen in den Kitsch entgleisenden Formulierungen, in seiner gelegentlichen Begründungsvagheit, vor allem aber in den Passagen, in denen Blumen höchstselbst Figuren und Situationen kommentieren. Zum Glück lässt die Regisseurin die Blumen weder auftreten noch sprechen, sondern verteilt deren Text auf mehrere Personen. Natürlich endet das Stück mit dem Tod des neuen Paares, oder besser, da Hilling nicht chronologisch erzählt, es beginnt mit ihm. Zwei Polizisten, die das tote Paar wie zwei ineinander gekrallte nackte Tiere im Garten finden, begleiten uns wie die Freunde und Kollegen Antonias, die bei deren Geburtstagsfeier vergeblich auf sie warten, mit ihren Sprüchen, Kommentaren und durchaus differenziert gezeichneten Charakteren durchs Stück. Ähnlich und zugleich anders als in Hillings Stück "Schwarzes Tier Traurigkeit" ist die Atmosphäre in "Der Garten", der auch "Bunte Blume Traurigkeit" heißen könnte.

    Regisseurin Felicitas Brucker löst Hillings poetischen Denk- und Behauptungstext wunderbar in Theaterspiel auf. Das suchende Hin- und Her zwischen Sam und Antonia, von der ungemein präsenten Nicola Kirsch als zugleich kraftvoll und unsicher gezeigt, wird in eine lockere Bewegungschoreografie überführt. Hinter einem quer über die Bühne reichendem Steg mit drei durchsichtigen, verschiebbaren Wänden steht die dreiköpfige Band von Sam, dem Thiemo Strutzenberger, der Hillings Text wunderbar klingen lässt, eine offene Vagheit mitgibt. Die Wände werden immer mehr mit Farben besprüht, denn die Pflanzen wuchern den Garten zu:

    "Ihr Duft ist unerreicht, ihre Gnade unendlich. Die Explosion des Gartens im Zentrum der Leute ist kein Zufall. Sie kann als einfache physikalische Reaktion definiert werden. Die ziemlich überfällige Plattenverschiebung von Welt und Seele, ausgelöst durch einen scheinbar unmöglichen Kontakt: ein Rockstar und eine Konzertkritikerin. Ihre Umarmung ist ein durstiger Spat der Natur, die ihr Comeback feiert in den Splittern der menschlichen Brust."

    Anja Hillings ambitioniertes Stück wurde am Schauspielhaus Wien von einem wunderbar homogenen Ensemble und einer fantasiereiche Regisseurin als kleines Theaterereignis präsentiert.