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Der geistige Vater der Dschihad-Industrie

Mohammed Hanif kehrt mit seinem Erstlingswerk in die Zeit der Militärherrschaft des pakistanischen Generals Zia ul-Haque zurück und beleuchtet den mysteriösen Flugzeugabsturz, dem der Diktator 1988 zum Opfer fiel. Dabei geht es ihm jedoch nicht um den Tyrannenmörder, er setzt vor allem auf das atmosphärische Kolorit jener politischen Ära.

Von Claudia Kramatschek | 18.11.2009
    Vielleicht haben Sie mich nach dem Absturz im Fernsehen gesehen. Der Filmausschnitt ist kurz, die sonnengebleichte Szenerie wirkt leicht verwaschen. Nach nur zweimaliger Ausstrahlung wurde der Beitrag zurückgezogen, da man einen ungünstigen Einfluss auf die Moral der Truppe befürchtete. Für einen Augenblick taucht General Zias Gesicht auf – das letzte Erinnerungsfoto eines viel fotografierten Mannes. Sein Mittelscheitel glänzt in der Sonne, seine unnatürlich weißen Zähne blitzen, während sein Schnurrbart den üblichen Tanz für die Kamera aufführt. Einem aufmerksamen Beobachter fällt vielleicht auf, dass der General sich unbehaglich fühlt. Er hat den Gang eines Mannes, der unter Verstopfung leidet.

    17. August 1988, in einem kleinen Ort namens Bahawalpur in Pakistan: Wenige Minuten nach dem Start explodiert eine Herkules C-130. An Bord: General Zia ul-Haq, der sich elf Jahre zuvor als Oberkommandierender des Heeres an die Spitze Pakistans geputscht hat, mehrere ranghohe Generäle, der Militärchef höchstpersönlich und nicht zuletzt der damalige amerikanische Botschafter. Keiner der Insassen überlebt. Die Ära Zia, Synonym für eine erschreckende Islamisierung des Landes, geht damit zu Ende. Doch bis heute sind die Umstände des mysteriösen Flugzeugabsturzes nicht nur ungeklärt, sondern geben auch Anlass zu nicht endenden wilden Gerüchten.

    Genau diese Gerüchteküche heizt nun auch Mohammed Hanif mit seinem Roman "Eine Kiste explodierender Mangos" um weitere Grade an. Denn ausgehend von den letzten zwei Monaten vor dem tragischen Ende des Generals, liefert er mit den Mitteln einer veritablen Dokufiktion eine so aberwitzige wie bitterböse Version jenes geschichtlichen Ereignisses, das auf seine Weise bis heute nachwirkt in den Annalen des von blutigen Machtkämpfen heimgesuchten Landes.

    "Der Roman spielt in den 80er-Jahren, als die entscheidenden Szenen des Kalten Krieges in Afghanistan und Pakistan ausgetragen worden sind. General Zia, der Pakistan zu dieser Zeit regierte, war wie viele andere Militärdiktatoren auch, ein sehr guter Freund der Amerikaner. Die wiederum hofften, die Russen in Afghanistan besiegen zu können. Und genau dafür war Zia ihr Handlanger. Deshalb spielen einige wichtige Figuren dieses Krieges auch in meinem Roman."

    Zu diesen zählen selbstredend General Zia, der hier wie eine bemitleidenswerte Karikatur seiner selbst wirkt, ein Mullah in Uniform, paranoid und von sexuellen Irritationen und Bandwürmern zugleich geplagt; Bill Casey, der einstige CIA-Chef und legendärer Stratege im Kalten Krieg zwischen Russland und Amerika; des weiteren General Akhtar, damaliger Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI und somit der zweitmächtigste Mann im Lande, der keine Mittel scheut, um erster Mann des Landes zu werden; und nicht zuletzt Mayor Kiyani, der das schmutzige Geschäft des Folterns und Töten mit manikürten Händen verwaltet.

    Im Mittelpunkt des Romans aber steht der junge Ich-Erzähler Ali Shigri. Er ist Angehöriger der pakistanischen Luftwaffe, sein Vater wiederum, Leutnant Shigri, hat im Auftrag von Zia in Afghanistan zwischen dem CIA und den Mudjahedin vermittelt und wurde kurze Zeit später tot aufgefunden. Der Sohn sinnt auf Rache – und ist nicht der Einzige, der dem General nach dem Leben trachtet. Kein Wunder also, dass der Roman um eine Reihe sich überschneidender und perfide verwickelter Mordkomplotte und Verschwörungstheorien kreist. Doch Hanif interessiert sich weder für eine Lektion in Sachen Geschichte noch für die Erhellung dessen, was damals geschah. Die Frage, wer war der Mörder, bleibt nämlich auch bei ihm an Ende bewusst offen. Stattdessen setzt sein Roman vor allem auf das atmosphärische Kolorit jener politischen Ära.


    "Ich bin unter Zia aufgewachsen. Als er an die Macht kam, war ich ein Junge. Als er starb, war ich Mitte Zwanzig. Tatsächlich hat Zia eine ganze Generation um ihr Leben betrogen, weil er diese bizarre Idee hatte, das Land zu islamisieren. Pakistan war und ist ein muslimisches Land. Bis Zia kam, war Religion allerdings reine Privatsache – er aber wollte allen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Zugleich gilt er als der geistige Vater genau jener multinationalen Dschihad-Industrie, die nun die ganze Welt überzieht und in Pakistan ihren Anfang nahm. Denn Zia holte eine Menge junger Männer aus anderen muslimischen Staaten nach Pakistan, trainierte und indoktrinierte sie und schickte sie nach Afghanistan – mit Unterstützung der Amerikaner. Insofern kann man sagen: Er hat das Gefüge dieser Gesellschaft verändert. Bevor Zia an die Macht kam, war Pakistan ein Land, das zwar zu kämpfen hatte, das sich aber entwickelte. Es gab viele Probleme – aber wir waren eine säkulare Demokratie, sprich es ging in die richtige Richtung. Aber Zia sah Pakistan als eine mittelalterliche Trutzburg des Islams, die ein Vorbild sein sollte für alle muslimischen Länder. Und mit genau dieser Idee hat Zia nicht nur Afghanistan zerstört, sondern auch sein eigenes Land, mein Land, Pakistan."

    Tatsächlich spielt all das am Rande mit in das Buch hinein: Die Islamisierung des Landes; die Einführung der Scharia, die das Leben der Frauen enorm verschlechtert; die Dschihadis und ihre Unterstützung durch die Amerikaner, die Fuß fassen in Pakistan: sprich, Hanif beleuchtet den Grundstein für all jene Probleme, mit denen nunmehr nicht nur Pakistan noch heute ringt. Vor allem aber fängt Hanif auf jeder Seite dieses Romans die unstillbare Machtgier und die tödlichen Intrigen ein, wie sie seitens der militärischen Elite die durch und durch korrupte und verlogene Politlandschaft Pakistans bis heute prägen. Insofern spricht der Roman im Lichte des Historischen auch tagesaktuell gesehen Klartext. Umso greller ist der Ton, den Hanif anschlägt, um auf seine Weise mit dem verhängnisvollen Erbe Zia abzurechnen. Denn der Roman, der kapitelweise mal aus Shigris, mal aus Zias Sicht erzählt, ist eine einzige Satire: Hanifs Witz ist so grotesk wie böse. Alles, was dem Establishment heilig ist, nimmt er aufs Korn; Tabus bricht er reihenweise, nicht zuletzt durch die unerhörte, dem Roman unterlegte Homoerotik, die noch dem bandwurmgeplagten Zia etwas Anstößiges verleiht.

    General Zia war mit einer sofortigen Untersuchung einverstanden. Er spürte eine Bewegung hinter sich, dann eine gummibehandschuhte Hand auf seinem Gesäß. 'Bruder, bitte bücken Sie sich.' Er legte seine Ellbogen auf den Tisch. 'Tiefer', befahl der Doktor. Zia legte seine rechte Wange auf den Tisch und versuchte an etwas anderes zu denken. Sein Kopf befand sich jetzt zwischen zwei Flaggen. Auf der einen Seite die grün-weiße pakistanische mit der nach rechts zeigenden Mondsichel und auf der anderen die der pakistanischen Armee. Zu seiner Erleichterung spürte er, dass der tastende Finger des Doktors mit einem Gleitmittel bestrichen war.

    "Mich fasziniert, wie ein guter Witz oder eine lustige Geschichte konstruiert ist. Was den Roman anbelangt, habe ich einfach über eine Zeit geschrieben, die selbst total bizarr war. Manchmal muss man nur die Fakten addieren, nichts hinzufügen, nichts weglassen – und der Effekt ist absolut befremdlich. Ein Beispiel: In meinem Roman gibt es eine kleine Episode zu jenem Gesetz, das General Zia einst erlassen hat und das besagt: Wenn eine Frau vergewaltigt worden ist und zur Polizei geht, muss sie vier Zeugen aufweisen können. Nun ist das sicher auf der ganzen Welt äußerst selten, dass vier Zeugen dabei stehen und später aussagen. Sprich: Die Frau kann nichts beweisen. Aber es geht noch weiter: Hat sie keine Zeugen, wird sie automatisch und zwar von Gesetzes wegen angeklagt und verhaftet, weil sie Ehebruch begangen hat. Schreibt man das aber genau so, macht das für niemanden Sinn."

    Letztlich bleibt einem daher auch das Lachen im Halse stecken. Denn direkt unterhalb des Humors vernimmt man die heilige Wut und nicht zuletzt auch die leise Melancholie, mit der Mohammed Hanif in diesem Roman das erschreckende Ausmaß des tagtäglichen Wahnsinns beschreibt, wie er in Pakistan noch immer die Normalität darstellt. Mit seinem stilistisch brillanten wie dramaturgisch ausgefeilten Roman aber hat Hanif das Beste Gegengift dafür gefunden: Er hält der Fratze den Spiegel vor.

    Mohammed Hanif: Eine Kiste explodierender Mangos. Roman.
    Aus dem Englischen von Ursula Gräfe. A1 Verlag München 2009. 338 S., 22,80 Euro