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Der Glaube im Parteiprogramm

Die Piratenpartei schlägt im Wahlkampf bewusst laizistische Töne an. Auch andere Parteien fordern eine klarere Trennung zwischen Staat und Kirche. Doch eine Änderung des Grundgesetzes ist nicht in Sicht.

Von Andreas Main | 09.05.2012
    Am weitesten gehen die Piraten, die noch nicht im Bundestag vertreten sind. Noch nicht. Aber die Piratenpartei in Berlin setzte im jüngsten Landtagswahlkampf massiv auf laizistische Positionen. Ähnlich weit geht die Partei "Die Linke". Ihr religionspolitischer Sprecher ist Raju Sharma:

    "Wir haben Verflechtungen, die rechtlich noch zugelassen sind. Aber der Grundsatz in unserer Verfassung ist eben, dass Staat und Kirche getrennt sind, was nicht nur für diejenigen, die nicht glauben, von Vorteil ist, sondern auch für die Gläubigen und auch die Kirchen eine echte Chance ist. Nicht umsonst hat Papst Benedikt XVI., als er im letzten September in Freiburg war, in seiner Rede gesagt, dass eine Entweltlichung der Kirche auch eine Chance ist, zum Glauben wieder zu finden."

    Die Linke hat jüngst im Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt mit dem Ziel, historisch bedingte Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften abzulösen. Angestrebt ist die Entflechtung der finanziellen Beziehungen von Staat und Kirche. Die Kirchen sollen entschädigt werden, wenn sie künftig auf Staatsleistungen verzichten, die auf den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 zurückgehen. Es geht um rund 460 Millionen Euro jährlich, mit denen vor allem kirchliche Verwaltung sowie die Ausbildung, Besoldung und Versorgung von Priestern finanziert werden. Auch in diesem sechsseitigen Gesetzentwurf wird ausführlich aus der Rede des Papstes zitiert. Die Linke will nicht religionsfeindlich wirken. Vielmehr beruft sich Raju Sharma immer wieder auf Vorbilder wie die USA:

    "... wo eigentlich jeder Präsident der vergangenen Jahrzehnte sich auch in der Öffentlichkeit sehr stark auch als ein Gläubiger präsentiert hat – und da haben wir eine sehr klare Trennung von Staat und Kirche und von Staat und Religion. Und wenn das in den USA funktioniert, warum soll's bei uns nicht auch gehen?"

    Noch sympathischer ist Sharma allerdings das französische Modell:

    "Da haben wir den Laizismus in der Verfassung auch fest verankert. Das ist in anderer Weise sehr freiheitsliebend. Da erlebt man den Gottesbezug nicht überall im öffentlichen Leben. Das wäre für mich auch ein positives Beispiel."

    Aktuell attackiert die Linke vor allem das kirchliche Arbeitsrecht. Für die Kirchen als Arbeitgeber gilt in Deutschland ein Sonderrecht, der sogenannte Dritte Weg. Beschäftigte bei Kirchen und kirchlichen Einrichtungen dürfen nicht streiken, sie verdienen oftmals weniger und können aus Gründen, die ihr Privatleben betreffen, gekündigt werden. Die Linke will gleiche Arbeitnehmerrechte für alle. Die Kirchen setzen auf den Dritten Weg, weil partnerschaftliche Verständigung ohne Arbeitskämpfe und -konflikte ihren theologischen Prämissen entspricht. Die Linke übernimmt an dieser Stelle Positionen, die seit langem von kirchenkritischen Verbänden proklamiert werden. Aber auch bei den Linken gibt es einen Flügel engagierter Christen – eine Minderheit verkörpert etwa von Bodo Ramelow. Es dominieren aber kirchenkritische Kreise.

    Bei den Grünen sieht es ähnlich aus. Josef Winkler, Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Kirchenpolitik und interreligiösen Dialog, hält das Spektrum an Meinungen bei den Grünen für besonders breit:

    "Die gehen von Kirchenkritik beziehungsweise Kirchenfeindlichkeit bis hin zur festen Verankerung in Kirchen und auch Verantwortungsübernahme in kirchlichen Gremien. Und das zeichnet die Grünen aus. Das Grundsatzprogramm wie auch in der Regel die Wahlprogramme der Bundesebene legen aber ein Bekenntnis ab zu der Trennung von Staat und Kirche, wie sie im Grundgesetz geregelt ist mit der eben hinkenden Trennung, die bedeutet, dass die Kirchen und der Staat eben doch eine ganze Menge miteinander zu tun haben."

    Die Mehrheit der Bundestagsfraktion von "Bündnis 90 / Die Grünen" geht nicht auf Konfrontationskurs mit den Kirchen. Sonst hätten sie nicht Josef Winkler zum kirchenpolitischen Sprecher gewählt. Er ist Mitglied ist im "Zentralkomitee der deutschen Katholiken" (ZdK). Die grüne Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckardt ist Präses der EKD-Synode. Und doch fordern einige Grüne massive Veränderungen im Verhältnis Staat-Kirche. Die "Grüne Jugend" etwa hat einen stramm laizistischen Beschluss gefasst – unter dem Titel: "Säkularismus neu denken!" Ginge es danach, würde vieles abgeschafft: vom Gottesbezug im Amtseid des Bundespräsidenten über die Repräsentanz von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Rundfunkräten bis zum gesetzlichen religiösen Feiertag. Winkler kritisiert diesen Beschluss scharf. Deutschland würde einiges verlieren, bewegte es sich in eine konsequent säkulare Richtung.

    "Der respektvolle Umgang, den die Kirchen und die Religionsgemeinschaften und die Staatsorgane pflegen, seit sechs Jahrzehnten in Deutschland – das ist was Besonderes. Das sollte man nicht gefährden, indem man die Kirchen aus dem staatlichen und öffentlichen Diskurs heraus drängt, indem man die Gläubigen dazu zwingt, sich mehr ins Private zurückzuziehen."

    Die deutschen Parteien spiegeln letztlich nur jene Strömungen wider, die auch in der Gesellschaft zu finden sind. Auch in der FDP gibt es beide Tendenzen: Lange galt die FDP geradezu als das Synonym für Kirchendistanz. Mitte der 1970er-Jahre forderte die Partei in einem Parteitagsbeschluss die strikte Trennung von Religion und Staat. Heute ist eine regelrechte Christianisierung der FDP zu beobachten. Parteichef Philipp Rösler ist engagierter Katholik. Es gibt eine Gruppe "Christen in der FDP-Bundestagsfraktion". Junge Hoffnungsträger wie Christian Lindner dagegen halten wenig davon, mit der jüdisch-christlichen Tradition eine Art Leitkultur begründen zu wollen. Dennoch erteilt er laizistischen Tendenzen eine Absage:

    "Nein, kein Laizismus. Der verdrängt das religiöse Bekenntnis an den Rand – und dann glüht erst Extremismus. Dann gibt's Spannungen. Das sollten wir nicht verdrängen."

    Der Spitzenkandidat der Liberalen in Nordrhein-Westfalen, erregt die Gemüter, wenn er sich zu Grundsatzfragen rund um Religion und Gesellschaft äußert:

    "Mir geht es nicht darum, Kirchenprivilegien zu nehmen, weil der Staat soll schon das religiöse Bekenntnis fördern, weil das zu uns allen gehört. Ich bin nicht Anhänger eines Laizismus, sondern eines republikanischen Säkularismus, also ein Staat, der weltanschaulich neutral ist, der ist nicht blind dafür, dass individuell religiöse Überzeugungen eine ganz große Bedeutung hat und das auch nichts ist, was privat versteckt werden soll, es soll offen gelebt werden. Aber der Staat muss eben jedes religiöse Bekenntnis fördern, das nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung steht."

    Für Lindner heißt das in der Konsequenz, dass Muslime alle Rechte bekommen sollten, die auch die christlichen Kirchen haben: vom Religionsunterricht bis hin zur Vertretung in Gremien bei öffentlich-rechtlichen Sendern.

    "Ich sehe, dass es überall Versuche gibt, religiöse Argumente in der Politik wieder stärker hervorzuheben. Dann gibt es eine große Gruppe, die laizistisch – in allen Parteien gibt es das – laizistisch hart argumentieren. Und die dritte ist für das Zusammenleben auch der beiden anderen die wichtigste, nämlich diejenige, zu denen ich mich zähle: Lasst uns das Grundgesetz ernst nehmen. Das ist im Prinzip der richtige Zugang: säkular, neutral, nicht laizistisch. Das führt zu einer Entspannung automatisch. Da sollte jetzt kein Kulturkampf werden."

    Anders als für Christian Lindner ist der Laizismus für die "Laizistischen Sozis" durchaus eine Alternative. Sie wollen sich zur Stimme jener Minderheit in Deutschland machen, die keiner christlichen Konfession angehören, also gut ein Drittel der Bevölkerung. Doch die SPD-Parteispitze versucht seit geraumer Zeit die Laizistischen Sozis auszubremsen.

    Säkularisierungstendenzen finden sich unterdessen auch bei CDU und CSU. Die CDU sei inzwischen, so der Politikwissenschaftler Gerd Langguth, fast so säkular wie alle anderen Parteien. Dennoch erwachse aus dem "C" noch immer die Orientierung politischen Handelns am christlichen Menschenbild.
    Um das Grundgesetz im Sinne der Laizisten zu verändern, bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Doch die ist weit und breit nicht vorhanden. Wer eine klarere Trennung von Staat und Kirchen fordere, sagt Josef Winkler von den Grünen, agiere somit apolitisch.

    "Insofern ist das eine relativ virtuelle Debatte, und ich rate vielen, die sich damit tagtäglich beschäftigen wollen, sich doch besser um Dinge zu kümmern, die wirklich wichtiger sind umzusetzen - und da gehöret jetzt neue Konflikte mit den Kirchen zu produzieren aus meiner Sicht nicht zu den Prioritäten."

    Das dürfte sich ändern, sollten die Schätzung Realität werden, wonach in zehn Jahren die Hälfte der Deutschen konfessionslos sein könnte.