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Der große Modernisierer

Zwischen den 50er- und 70er-Jahren unterschied sich Österreich besonders stark von Deutschland. Die Entwicklung Österreichs reichte nicht an das deutsche Wirtschaftswunder heran. Erst Bundeskanzler Bruno Kreisky hat viel dazu beigetragen, Bewegung in das Land zu bringen.

Von Beatrix Novy | 22.01.2011
    Im März 1936 waren am Wiener Landesgericht mehrere junge Leute des Hochverrats angeklagt; sie hatten eine illegale sozialistische Jugendorganisation aufgebaut. Höhepunkt des Verfahrens war die Verteidigungsrede eines der Angeklagten, eines Jurastudenten. Bruno Kreisky hatte die politische Bühne betreten.

    "Als Mittzwanzigjähriger hat er die New York Times geschafft, die ganze Welt hat über diesen Prozess berichtet",

    sagt Werner Perger, österreichischer Publizist und Zeitgenosse der berühmten Kreisky-Ära. Modernisierung war das Ziel, mit dem Bruno Kreisky, geboren am 22. Januar 1911, erstmals sein Amt angetreten hatte – 1970, als Kanzler eines kleinen neutralen Staates zwischen Ost und West, also zwischen den für sein Leben entscheidenden politischen Grundgedanken.

    "Der eine ist der der kommunistischen Diktatur, wenn sie auch diesen Ausdruck nicht gern hören wollen drüben, und der der Demokratie auf der anderen Seite, nur behaupte ich, dass diese Demokratie, sofern sie nur sich im politischen Bereich erschöpft, nicht ausreichend stark ist, sondern sie muss auch sich zu einer höheren Stufe entwickeln zur sozialen Demokratie."

    Der erste sozialistische Bundeskanzler Österreichs war der Spross einer großbürgerlichen Familie, wo sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit unterstützt wurde: Jeden Tag sollte Bruno einen Schulkameraden mitbringen, der sich zu Hause, in den für viele so mageren 20er-Jahren, nicht hätte satt essen können. Bruno Kreisky nahm es sich zu Herzen: Mit 16 trat er der Sozialistischen Arbeiterjugend bei.

    Als 1934 die erste österreichische Republik unterging und das autoritäre Regime der Kanzler Dollfuß und Schuschnigg die sozialdemokratische Partei ausschaltete, warteten auf den jungen Kreisky Illegalität und Gefängnis. Dort saß er Seit an Seit mit anderen Illegalen: waschechten Nationalsozialisten, die für den Anschluss an Deutschland arbeiteten und von denen mindestens einer 1938, als Hitler das Land tatsächlich kassierte, dem jüdischen Zellengenossen Kreisky zur lebensrettenden Flucht nach Schweden verhalf. Diese Erfahrung sollte sich später in Kreiskys mildem Umgang mit ehemaligen Nazis in seiner Partei niederschlagen.

    "Er hatte das Gefühl, mit seiner eigenen Vergangenheit, dem Kampf gegen den Austrofaschismus zuerst, dann dem Kampf gegen den Nazi-Faschismus, ist er legitimiert, zu entscheiden, was ist tragbar und was ist nicht tragbar."

    Dafür lieferte Kreisky als österreichischer Bundeskanzler noch manches Beispiel. Kreisky war Jude. Aber er war vor allem jemand, der sich um Tabus nie scherte. Werner Perger:

    "Und am meisten hat ihn das auf die Palme getrieben, wenn Israel ihn beansprucht hat als Partner. Er wollte nicht Politik für Israel machen, weil er Jude ist."

    "Das erste und Wichtigste scheint mir zu sein, dass man anerkennt, dass die Palästinenser das Recht auf Selbstbestimmung haben."

    So und mit seinem unvergleichlich staatsmännischen Timbre forderte Bruno Kreisky nicht nur realpolitische Einsicht, sondern vor allem Gerechtigkeit für die Palästinenser.

    " ... und ich lehne es ab, diese grausame Rechnung aufzustellen, tote israelische Kinder gegen tote palästinensische Kinder aufzurechnen."

    Befremdlicher für viele war der wütende Konflikt mit dem "Nazijäger" und ÖVP-Mann Simon Wiesenthal, der die NS-Vergangenheit mancher Kreisky-Mitarbeiter unverdrossen zum Politikum machte. Der populäre Kanzler, der im Telefonbuch stand und für Anrufer tatsächlich oft zu sprechen war, konnte eine unangenehme Kehrseite der Rechthaberei und Sturheit zeigen. So stur war er aber auch wieder nicht, dass er nach der Volksabstimmungsniederlage gegen das AKW Zwentendorf, wie angekündigt, zurückgetreten wäre. Er blieb 13 Jahre lang an der Macht, ein sozialdemokratischer Sonnenkönig und Aufklärer, ein Mann, der seine Partei, sein Land - und natürlich alle seine Nachfolger überragte. Wie seine Freunde Willi Brandt und Olof Palme, wie Schmidt, Wilson oder Mitterand.

    "Die haben alle ein ganz anderes Leben gehabt, die haben Kriege, Auseinandersetzung mit Kommunismus, mit Faschismus haben die geprägt. Diese Männer sind in politischen Kämpfen und aufgrund von politischen Entbehrungen das geworden, was sie dann waren."