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"Der gute Garten ist der Garten der Kindheit"

Die Gartenbaubranche boomt, der Deutsche an sich hat sein grünes Idyll wiederentdeckt und will in kürzester Zeit eine vorzeigbare Freizeitlandschaft im nächsten Gartencenter "einkaufen". Gartendesigner Henning Breimann tut das in der grünen Seele weh: Er hat für angehende Gärtner klare Ratschläge parat.

Das Gespräch Tobias Armbrüster | 20.06.2012
    Tobias Armbrüster: Wir wollen noch über ein ganz anderes grünes Wirtschaften sprechen heute Morgen.

    O-Ton "Dialog mit meinem Gärtner":

    Armbrüster: So weit ein Auszug aus dem Film "Dialog mit meinem Gärtner", und viele können die Leidenschaft in diesen Worten, die wir da gerade gehört haben, wahrscheinlich verstehen. Die Gartenbaubranche, die boomt nämlich. Die Deutschen interessieren sich seit einigen Jahren zunehmend für alles, was mit dem Gärtnern zu tun hat: mit der Rosenzucht etwa, oder mit der Frage, wie man am besten ein Gemüsebeet anlegt. Man sieht das auch beim Zeitschriftenverkauf, Gartenblätter erreichen eine Millionenauflage. Über diesen Trend wollen wir sprechen mit einem der bekanntesten deutschen Landschaftsarchitekten und Gartendesigner, mit Henning Breimann. Schönen guten Morgen nach Hamburg.

    Henning Breimann: Schönen guten Morgen nach Köln.

    Armbrüster: Herr Breimann, die Deutschen entdecken ihre Liebe zum Garten, zum Blumenbeet, zur getrimmten Hecke – das muss für die Leute in Ihrer Branche ein Geschenk sein.

    Breimann: Ja, kann man sagen. Wir sind halt eine vielfältige Branche, der Landschaftsplaner kann sich ja das eine oder andere auch aussuchen, während der normale Verbraucher dann wie ein Tsunami über das Gartencenter herfällt. Das ist für den Landschaftsarchitekten vielleicht ein bisschen aus der Distanz zu betrachten. Aber das merken wir sehr, dass hier in Deutschland zunehmend die Gartenbranche bewusster wahrgenommen wird – im politischen Sinne weniger, aber mehr im philosophischen, gesellschaftlichen Sinne merken wir einen ganz deutlichen Trend in Richtung Grün.

    Armbrüster: Wenn Sie an deutschen Wohngebieten mit Gärten vorbeifahren, sind Sie dann glücklich mit dem, was Sie da sehen?

    Breimann: Nein, das bin ich nicht. Da gibt es andere Beispiele, denn Großbritannien ist immer noch das Mekka der Gartenkunst. Das haben viele Deutsche gemerkt, es gibt also eine ganze Menge von Reiseveranstaltern, die immer nach England fahren. Das hat jetzt so die letzten 20, 30 Jahre gedauert, bis die Deutschen es verstanden haben, und es ist eben einfach so: Der Deutsche ist natürlich ein sehr ordentlicher Mensch und ein gradliniger Mensch, und wenn man durch die Agrarsteppen Deutschlands fährt, in dem Nachkriegsdeutschland ist es immer noch sehr, sehr hässlich im Vergleich zu anderen Ländern. Das wird den Deutschen jetzt zunehmend bewusst, etwas zu tun, und dann ist die kleine Zelle, der eigene Garten der erste Beginn, eine eigene Landschaft zu entwickeln.

    Armbrüster: Bevor wir mal darüber sprechen, noch mal ganz kurz die Frage: Welche Trends im deutschen Gartenbau oder in deutschen Privatgärten stören Sie denn am meisten?

    Breimann: Was mich persönlich am meisten stört, sind die Moden als solches, und ein Garten ist ja alles andere als eine kurzlebige Angelegenheit. Das muss man ja langfristig betrachten. Wir sagen ironischerweise immer bei unseren Kunden, richtig perfekt ist der Garten in 200 Jahren. Das können wir natürlich nicht so machen heute.

    Der Trend ist folgender: Heute geht ja alles sehr schnell. Wir arbeiten alle am Rechner, das Internet hat die Welt beschleunigt, entschleunigt kann man nur den Garten betrachten, als Entschleunigungsmoment. Wenn das den Menschen bewusst wird, das eigene Leben zu entschleunigen, dann gehört der Garten natürlich dazu. Das wird gemerkt, obgleich auch der Gegentrend immer wieder sichtbar ist und auch wahrnehmbar, dieses schnelle Zugreifen, dieses Eilige, und dadurch ist es so komplex, einen Garten zu planen, dass die Leute aber dann möglichst große Bäume kaufen wollen, und das ist ein Trend, der in den letzten 20 Jahren sich in ganz Europa breitgemacht hat, möglichst sofort einen großen Baum zu haben. In der Vergangenheit wurden Bäume gepflanzt, wo man über Generationen gedacht hat, und dass in drei Generationen da ein Baum ist, das ist heute unmöglich.

    Armbrüster: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie raten allen Gartenliebhabern, die sich da sozusagen ausbreiten wollen, machen sie vielleicht einen großen Bogen um Gartencenter und um Großeinkäufe dort?

    Breimann: Ja, richtig. Es gibt eine Vielzahl von Fachzeitschriften, wie Sie gerade erwähnt haben, und da machen sich zunehmend Leute auch schlau und beobachten über eine längere Zeit, was man am besten macht, und dann ist vielleicht auch der Schritt in Richtung Landschafts- oder Gartenarchitekt, das einmal richtig durchzudenken, weil wir planen ja Gärten für die Menschen und die Menschen konsumieren ja in der Regel alles. Man kann sofort alles kaufen: einen Fernseher kann man kaufen, ein Haus kann man als Fertighaus kaufen, es gibt auch schon fertige Gärten, die man in relativ schneller Zeit auch bauen kann. Das bedient eher das Gartencenter und der Landschaftsplaner denkt in anderen Dimensionen, bis zum Ende eines Lebens eines jeden Menschen zum Beispiel, oder darüber hinaus. Das ist natürlich ganz schwer, den Leuten heute zu vermitteln. Das ist hier eigentlich die letzte Branche, wo wir sagen können, wir arbeiten für 50 Jahre ein Produkt aus, oder für 100 Jahre, oder darüber hinaus. Das ist für viele Menschen überhaupt nicht wahrnehmbar oder verständlich, weil wir entrücken uns immer mehr der Natur, und da sehe ich auch diesen Trend herkommen, diese Sehnsüchte nach dem Wenigen, was noch bleibt, und das kann eben so ein Garten bieten.

    Armbrüster: Herr Breimann, wir reden ja hier in den "Informationen am Morgen" eigentlich fast nie über so oberflächliche Sachen wie Gartengestaltung. Deshalb würde ich zumindest gerne noch von Ihnen wissen, ob Sie dafür, für diese neue Gartenliebe, auch eine politische oder gesellschaftliche Ursache sehen.

    Breimann: Sicher. Ganz einfach ist es ja – das kann man mathematisch ausrechnen – der Raub der Natur. Wir haben sieben Milliarden Menschen und jedes Jahr kommen 80 Millionen Menschen hinzu, einmal jedes Mal die Bundesrepublik. Und dann macht sich in der westlichen Welt zumindest so eine Panik breit, ob das wenige an Freiraum noch so reicht. Es wird immer mehr Boden versiegelt, die Natur wird eigentlich ausgesperrt aus unserem ganzen Geschehen, wir leben in einer kompletten Kulturlandschaft, pure Natur gibt es gar nicht mehr, zumindest in Deutschland an ganz wenigen Stellen – Bayerischer Wald, das war es dann eigentlich schon. Und diese Sehnsucht im politischen Sinne jetzt mal übertragen ist einfach so: die Leute haben Nöte und Skepsis im Bereich auch Lebensmittelproduktion, und da ist auch ein ganz deutlicher Trend zu merken im Moment, in dem eigenen Garten ist der Küchengarten. Die Bücher über Küchengarten und die ganze Kochkultur, die wir allenthalben überall in Fernsehsendungen sowieso sehen, die kann man schon politisch verknüpfen damit, dass die Menschen denken, es ist was verloren gegangen. In den 80er-Jahren waren die Grünen und in den 90ern, bis vor Kurzem waren ja die Grünen so populär und jetzt sind sie auf einmal eine etablierte Partei, auch eine Partei der jetzt schon älter werdenden Generation, und ich sage mal, das Phänomen der Piraten kann sich ja keiner so genau erklären. Da merken wir so, das ist ja die Partei des Internets. Und das Leben im Internet, was ja zunehmend uns beherrscht in der ganzen Gesellschaft, dieses kurze und schnelle und eilige, da bietet natürlich so ein Garten oder das bisschen Natur einen Gegenentwurf zu dem jetzigen Leben. Ich bin mal gespannt, wie die Parteien jetzt in der Zukunft darauf reagieren werden, weil den Grünen gehen die Wähler flöten. Aber ich denke mal, viele Leute sagen ja, die Piratenpartei wäre eine Eintagsfliege; das weiß man ja nicht, werden wir sehen. Das Internet ist nicht mehr abschaffbar.

    Armbrüster: Herr Breimann, lassen Sie uns noch kurz zurückkommen auf den Garten, etwa eine Minute haben wir noch. Wie würden Sie sagen, wie sieht für Sie ein richtig guter Garten aus?

    Breimann: Der gute Garten ist der Garten der Kindheit. Ein gut gemachter Garten ist der Garten, wo jeder individuell sich als Kind wohlfühlen kann. Das würde jetzt hier den Rahmen dieser Sendung sprengen, Ihnen jetzt hier zu beschreiben, wie ein guter Garten ist. Der Garten, der die Menschen individuell so glücklich macht, dass sie sich wie ein Kind fühlen können. Das kann vom Barockgarten sein, der ja nie lange gehalten hat, bis zur Vollendung des englischen Gartens. Aber wir meinen jetzt damit den Garten, der Freiraum, wo man sich zurückziehen kann und den Menschen entfliehen kann. Das ist ja immer so gewesen. Ein Garten ist ein Ort, wo man der Menschheit, auch so ein bisschen sich zurückziehen kann aus der lauten Gesellschaft, sich aus dem Geschrei des Alltags zurückzuziehen.

    Armbrüster: ... , sagt der Landschaftsarchitekt und Gartendesigner Henning Breimann aus Hamburg. Besten Dank für das Interview heute Morgen.

    Breimann: Vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.