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Der Intelligenz auf der Spur
Macht ein großes Gehirn tatsächlich schlauer?

Allgemein gilt als intelligent, wer sich leicht in neue Situationen hineinversetzen und Probleme schnell lösen kann. Was so ein Verhalten bei Mensch und Tier bedingt, ist umstritten. Ein Forscherteam aus den USA hat sich jetzt dieser Frage erneut angenommen und gleich Dutzende Tierarten in Zoos einem Intelligenztest unterzogen.

Von Lennart Pyritz | 22.02.2016
    Erdmännchen in einem Zoo
    Die Biologen bereisten neun US-Zoos und testeten 39 Arten, darunter Tiger, Bären, Hyänen, Füchse, Schneeleoparden und Erdmännchen. (picture alliance / dpa / Thomas Frey)
    "Lange dachte man: Je größer das Gehirn desto schlauer. Aber es fehlt einfach an experimentellen Nachweisen für diese Sichtweise."
    Sarah Benson-Amram forscht an der Abteilung für Zoologie und Physiologie der Universität von Wyoming in Laramie. Gemeinsam mit ihrem Team entwickelte sie ein umfangreiches Verhaltensexperiment, um den Grundlagen von Intelligenz auf die Spur zu kommen. Als Studienobjekte wählten die Forscher dabei fleischfressende Säugetiere.
    "Intelligenzforschung hat sich bislang auf Primaten und Vögel konzentriert. Um ein umfassendes Bild zu bekommen, sollten wir aber eine große Bandbreite von Arten untersuchen. Außerdem sind Raubsäuger eine sehr variantenreiche Gruppe."
    Die Biologen bereisten neun US-Zoos und testeten 39 Arten, darunter Tiger, Bären, Hyänen, Füchse, Schneeleoparden und Erdmännchen. Insgesamt 140 Tieren stellten die Wissenschaftler eine ungewohnte Aufgabe: Sie legten ihnen eine kleine vergitterte Metallbox ins Gehege, die sich mit einem Bolzenriegel öffnen ließ. Die Größe der Box war der der jeweiligen Art angepasst. Dann bekamen die Tiere eine halbe Stunde Zeit, um einen Leckerbissen aus der Box zu holen.
    "Es war großartig, die Tiere dabei zu beobachten. Die Dachse haben gar nicht mehr aufgehört, unter der Box zu graben. Die Flussotter haben die Kiste immer wieder mit der Nase umgedreht. Und wieder andere Arten haben sich direkt am Verschlussriegel zu schaffen gemacht."
    Aus bereits veröffentlichten Studien sammelten die Forscher Daten zum Volumen der Gehirne aller Arten. Dann berechneten sie, wie sich die Gehirngröße relativ zur jeweiligen Körpermasse der Tiere verhielt. Außerdem untersuchten die Biologen bei einem Teil der Arten, ob die Größe einzelner Hirnbereiche für sich genommen einen Einfluss darauf hatte, ob die Tiere die Box öffnen konnten oder nicht. Sarah Benson-Amram:
    "Unsere Ergebnisse zeigen: Arten, die größere Gehirne haben – relativ zu ihrer Körpermasse – lösten die unvertraute Aufgabe besser. Das Ausmaß einzelner Hirnregionen sagte dagegen für sich genommen nichts über den Erfolg aus."
    Insgesamt schafften es Tiere aus 23 Arten, das Futter aus der Metallbox zu holen. Und die meisten wurden in aufeinander folgenden Versuchen immer schneller. "Fingerfertigkeit" war dabei nicht entscheidend. Die Forscher stellten vielmehr einen anderen allgemeinen Zusammenhang unabhängig von der Gehirngröße fest: Kleine Tiere stellten sich insgesamt geschickter an. Eine verbreitete Theorie zur Evolution von Intelligenz besagt, dass sie durch ein vielfältiges Sozialleben entsteht. Auch das testeten die Forscher um Benson-Amram. Es zeigte sich aber: Zumindest die Größe der sozialen Gruppen, in denen die Tiere leben, sagte nichts aus über den Erfolg beim Öffnen der Box.
    "Ob diese Ergebnisse auch auf Primaten oder Vögel zutreffen, kann ich nicht sagen. Aber für die fleischfressenden Säugetiere scheinen sie zu gelten – und das sollten wir auch bei anderen Tiergruppen in Betracht ziehen."
    Sue Healy erforscht an der Universität Saint Andrews in Schottland die geistigen Fähigkeiten von Kolibris. Sie stellt die grundlegende Frage, ob das Öffnen einer Futterbox tatsächlich ein Hinweis auf Intelligenz ist.
    "Wir tun uns immer noch schwer damit, Intelligenz beim Mensch zu beurteilen – geschweige denn bei Tieren – und dann eine Rangfolge aufzustellen. Denn die Ergebnisse können davon abhängen, was für einen Test man der jeweiligen Art vorsetzt. Und selbst, wenn man eine Sache gut kann, heißt das nicht, dass man auch andere gut beherrscht. Das gilt für uns Menschen ja leider auch."
    Beim Öffnen der Metallbox spielte eventuell nicht die Intelligenz der Säugetiere die entscheidende Rolle. Vielleicht muss nur ein Teil der Arten vergleichbare Situationen lösen, um in der Natur an Nahrung zu gelangen. In anderen Situationen, die andere Eigenschaften erfordern, könnten wiederum Arten erfolgreich sein, die vor der Box einen eher hilflosen Eindruck vermittelt haben.