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Der Israeli und der Palästinenser

Der 1968 geborene hebräische Schriftsteller Assaf Gavron legt mit "Ein schönes Attentat" ein temporeiches und provokantes Buch vor. Den alltäglichen Wahnsinn im gegenwärtigen Israel und den besetzten Gebieten lässt er abwechselnd aus der Perspektive eines jungen kreativen Israeli und eines palästinensischen Attentäters erzählen.

Von Arnold Thünker | 19.05.2008
    Der junge hebräische Schriftsteller Assaf Gavron hat ein temporeiches und provokantes Buch über den alltäglichen Wahnsinn im gegenwärtigen Israel und den besetzten Gebieten geschrieben. Der 1968 geborene Autor wuchs in Jerusalem auf, studierte in London und Vancouver. Er hat J. D. Salinger ins Hebräische übersetzt, ist Sänger und Songwriter der israelischen Kultband "The Foot and Mouth".

    Gavron war maßgeblich an der Entwicklung des Computerspiels "Peacemaker" beteiligt. Das Spiel simuliert den Nahostkonflikt. Aufgabe eines jeden Spielers ist, Strategien zu entwickeln, die zu einem dauerhaften, friedlichen Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern führen.

    Schon der Titel seines neusten Romans "Ein schönes Attentat" scheint makaber und provoziert, besonders in einem Land, in dem der Terror allgegenwärtig, ein Privatleben ohne politischen Hintergrund unmöglich ist. Assaf Gavron erzählt abwechselnd aus der Perspektive des jungen kreativen Israeli Eitan Einoch und des palästinensischen Attentäters Fahmi Sabih.

    Eitan Einoch, genannt das "Krokodil", ist ein erfolgreicher Yuppie, der für Time`s Arrow arbeitet, ein Unternehmen, das Computerprogramme entwickelt, die Zeit sparen. Egal wo, ob bei dem Start einer Abwehrrakete oder bei der Telefonauskunft in Helsinki, das Geschäft boomt. Im Team analysiert Eitan jeden Bruchteil einer Sekunde mit nur einem Ziel, weltweit Zeit einzusparen.
    Doch als er nur knapp einem Attentat entgeht, ändert sich sein gesamtes, wohlorganisiertes Leben. Im Vorfeld gab es schon Zeichen, die er nicht hat deuten wollen. Seine geplante Hochzeit scheitert.

    "Die Kurzfassung: Dutschy und ich beschlossen zu heiraten, das Datum wurde auf den elften September 2001 gelegt, Dutschys Mutter erlitt einen Herzanfall und verschied einen Tag vor der Hochzeit, Hochzeit abgesagt, und seitdem war dieses Wort 'Heirat' nie mehr in unserer Nähe vernommen worden. Es war, als ob es um uns herum einen sterilen Kreis gäbe, den dieses Wort nicht zu durchdringen vermag, als wäre es mit Schloss und Siegel versehen worden, als hätte man eine ganze Armee nach ihm ausgeschickt, und es hätte sich in Höhlen geflüchtet."

    Frech, raffiniert und ironisch, wie Gavron hier den Zeitpunkt der Hochzeit nutzt, um beim Leser die Assoziation zu wecken, dass Osama Bin Laden durchaus etwas mit den privaten Plänen eines jeden von uns zu tun hat. Der Autor ist keineswegs gewillt, politisch korrekt zu sein, ihm geht es um die schonungslose Darstellung dessen, was politische Gewalt für Auswirkungen auf unsere Lebensentwürfe hat.
    Der erste Anschlag, den Eitan Einoch unverletzt überlebt, passiert auf dem Weg zur Arbeit. Vor dem Einsteigen in den Minibus spricht ihn eine ältere Frau auf einen verdächtigen Mann an. Für den smarten Eitan ein typischer Fall von Paranoia in seinem Land. Bloß weil einer der wartenden Passagiere einen dunklen Teint und einen Bart hat, ist er noch lange kein Terrorist. Doch auch ein junger Mann scheint beunruhigt. Eiton verspricht ihm, dessen Freundin zu benachrichtigen, falls ihm etwa zustoßen sollte.
    Im Büro angekommen, erreicht ihn die Nachricht, dass der Minibus, kurz nachdem er ausgestiegen war, tatsächlich in die Luft geflogen ist. Eitan ist verwirrt und macht sich auf den Weg, sein Versprechen, die Freundin des Unbekannten ausfindig zu machen, einzulösen. Die Suche wird ihn letztlich zu dem Mann führen, der für die Attentate mitverantwortlich ist. Beim zweiten Terrorakt wird Eitons Auto beschossen. Ein Soldat, den er mitgenommen hat, findet den Tod. Er selbst bleibt abermals unverletzt.

    Schließlich kann Eiton die Freundin des bei dem ersten Anschlag umgekommenen jungen Mannes ausfindig machen. Bei einem ihrer Treffen, in einem beliebten Café, geht ein Sprengsatz hoch. Die Frau wird lebensgefährlich verletzt, Eiton überlebt wie durch ein Wunder mit ein paar Kratzern.

    Die Medien stilisieren ihn zum nationalen Helden. In illegalen Kasinos, die Wetten auf zukünftige Zeit und Orte von Anschlägen wetten, wird er als "Experte" gehandelt. War sein Leben bisher eine Frage der Organisation, so gibt es für ihn jetzt nur noch die Frage, warum das alles und ohne absehbares Ende. Auch in der Selbsthilfegruppe für Überlebende von Anschlägen finden sich keine Antworten. Er ist nur noch ein Überlebender und als Symbol ein ideales Ziel für Attentäter.

    Den "Terroristen" Fahmi Sabih schildert Gavron als einen Menschen, der - zerrissen zwischen den Demütigungen durch die Israelis und dem Pathos des Freiheitskämpfers der Palästinenser - zwischen der Würde eines Menschen und der Ehre, für Allah zu sterben, zu entscheiden sucht. Er, der von der Universität träumt, hat sich durch seinen Bruder zu den Anschlägen hinreißen lassen.

    "Seltsame Tage. Ein Gefühl von Stärke, Macht, Sicherheit, Sieg. Und der Demütigung durch die Armee, die im Lager machte, was ihr gefiel, sprengte, zerbrach, prügelte, rausholte, zerstörte. Und auf einmal die Sehnsucht nach Papa, Mama, Lulu, Rana. Sehnsucht nach ihrem Geruch, nach ihrer Haut. Ein realer Schmerz.

    Vor dem Fenster: ein gepanzertes Truppenfahrzeug in Führung, dahinter zwei Reihen Soldaten mit Helmen auf dem Kopf, schusssicherer Westen am Körper, ein Riemen über der Schulter, der ein Gewehr hält, zwei Hände, die ihn halten - die rechte Hand am Griff unter dem Abzug, der Daumen streichelt die Sicherung, der Zeigefinger den Abzug, spannt ihn bis zu dem Punkt, an dem er stoppt, blockiert, die Linke am Gewehrlauf. Ein kurzer Befehl, eine Reihe kleiner Verschiebungen der Fingerkuppen, und sie schießen, töten, zerstören. Als sie die Helme abnahmen, konnte ich Augen, Haare, Nasen, Bärtchen sehen. 'Schau sie dir an. Sie zittern vor Angst', sagte Bilal."


    Fahmi wird die verzweifelte Hoffnung, die unter den Palästinenser herrscht, nicht los. Er wollte den Mythos "Krokodil" erledigen. Nun liegt er im Koma, weil er, von plötzlichen Zweifeln gepackt, die Handgranate nicht rechtzeitig warf. Seine Gedanken schwirren um die vielen Gemeinsamkeiten, die er mit dem "Krokodil" hat.

    Beide sind sie verliebt, schauen die gleichen TV- Shows, haben sogar den gleichen Handy-Klingelton. Aber all das macht ihn nur traurig. Fahmi erkennt, dass es in diesem Konflikt nicht Gut und Böse gibt, sondern dass er in einem Land lebt, in dem man sich für eine Seite entscheiden muss, ob man will er oder nicht.

    Assaf Gravon ist mit seinem neusten Buch der Aufforderung seines älteren Schriftstellerkollegen David Grossmann gefolgt, der der Meinung ist, dass Literatur uns aus der Umklammerung der politischen Lage lösen kann, und wir unser Recht auf Individualität und Einzigartigkeit reklamieren müssen.

    Der spannende Roman "Ein schönes Attentat" liefert den Beweis, dass Literatur mehr Realitätssinn vermitteln kann und nachhaltiger wirkt als die manipulierten Medienberichte im globalen Minutentakt.

    Assaf Gavron: Ein schönes Attentat
    Aus dem Hebräischen von Barbara Linner,
    Luchterhand Literaturverlag, 2008, 352 Seiten, 19,95 Euro.