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Der japanische Röntgensatellit "Hitomi"
Perseus sehen und sterben

Die massereichsten Objekte im Universum sind Galaxienhaufen, also Ansammlungen von Tausenden von Galaxien ähnlich unserer Milchstraße. Sie sind äußerst wichtig, um etwas über die Wirkung der Schwerkraft im Universum zu lernen. Der japanische Röntgensatellit "Hitomi" beobachtete im Frühjahr den Perseus-Haufen. Es waren leider die einzigen Messungen, die "Hitomi" machen konnte.

Von Dirk Lorenzen | 08.07.2016
    Künstlerische Darstellung des japanischen Röntgensatelliten "Astro-H" (Hitomi), herausgegeben von der japanischen Raumfahrtbehörde JAXA. Der Satellit wurde am 17. Februar 2016 gestartet, am 26. März ging der Kontakt zu ihm verloren.
    Der japanische Röntgensatellit "Astro-H" (Hitomi). (picture alliance / dpa / JAXA)
    Nach dem Start eines Satelliten vergehen üblicherweise einige Monate, bis die wissenschaftlichen Beobachtungen beginnen. Denn es dauert, bis das Flugteam mit dem Satelliten vertraut ist und die Instrumente eingeschaltet und getestet sind. Doch beim japanischen Röntgensatelliten Hitomi ging man im Frühjahr anders vor. "Das Flugteam hat versucht, den Satelliten möglichst schnell in Betrieb zu nehmen – denn frühere Missionen waren kurz nach dem Start ausgefallen. Daher sind die ersten Beobachtungen nur zwei bis drei Wochen nach dem Start erfolgt, schneller als üblich."
    Tim Kallman ist Astrophysiker am Goddard Space Flight Center der NASA – und die Vorahnung der Forscher erwies sich leider als richtig. Denn keine sechs Wochen nach dem Start unterlief der Betreibermannschaft eine Kette von Fehlern – der Satellit drehte sich immer schneller und brach schließlich auseinander. Doch zuvor hatte er für zweieinhalb Tage eines der wichtigsten Röntgenobjekte beobachtet: "Der Perseus-Haufen ist einer der uns nächst gelegenen Galaxienhaufen. Er enthält Tausende von Galaxien und riesige Mengen an heißem Gas. Das ist etwa 50 Millionen Grad Celsius heiß und leuchtet intensiv im Röntgenlicht. Mithilfe dieses Gases lässt sich viel besser als mit den Galaxien abschätzen, wie stark die Anziehungskraft im Haufen ist. Daher wollten wir mit Hitomi die Bewegung, die Temperatur und die Zusammensetzung des Gases beobachten."
    Im Zentrum des Haufens befinden sich einige Galaxien mit sehr massereichen Schwarzen Löchern, aus deren Umgebung viel Materie und Strahlung in den Haufen schießt. Diese energiereichen Prozesse sollten das heiße Gas zusätzlich aufkochen und dabei regelrecht umrühren. Hitomi hat nun das Gas im Haufen so genau beobachtet wie nie zuvor – mit überraschendem Ergebnis. "Im Haufen sollte es sehr recht turbulent zugehen, das Gas sollte sich stark bewegen. Tatsächlich aber haben wir gemessen, dass das Gas erstaunlich ruhig ist. Es gibt ein wenig Turbulenz, aber die ist geringer als die meisten Modelle vorhergesagt haben."
    Im Perseus-Haufen geht es ruhiger zu als erwartet
    Hitomi zeigt, dass es im Perseus-Haufen ruhiger zugeht als erwartet – und das hat womöglich weitreichende Folgen. Denn Galaxienhaufen sind die massereichsten bekannten Objekte im All – mit ihrer Hilfe untersuchen die Kosmologen, wie im Universum die Schwerkraft wirkt und wie sich nach dem Urknall die großräumigen Strukturen gebildet haben. Dafür muss die Masse der Haufen bekannt sein – und die wird aus der Temperatur des Gases abgeleitet. Nach den "Hitomi"-Messungen könnten einige Korrekturen fällig werden. Könnten – denn natürlich ist eine Messung allein nicht sehr aussagekräftig.
    "Wir hatten gehofft, den Perseus-Galaxienhaufen und zahlreiche weitere Objekte viel länger beobachten zu können, aber immerhin haben wir diese Daten. Wir haben zudem durch die geschlossene Objektivklappe beobachtet, denn unser Messinstrument war so kurz nach dem Start noch gar nicht geöffnet. Aber die Klappe lässt einen Teil der energiereichen Röntgenstrahlung hindurch. Es war ein wenig so, als wenn man ein Sinfoniekonzert durch eine Wand erlebt – man hört irgendetwas, aber es wäre natürlich viel schöner, wenn die Klappe offen gewesen wäre."
    Für die Astronomen ist dies besonders bitter: Sie wissen jetzt, dass Hitomi wunderbare Daten geliefert hätte. Japans Raumfahrtagentur JAXA erwägt den Nachbau der Mission. In etwa fünf Jahren könnte "Hitomi-2" an den flüchtigen Erfolg des Vorgängers anknüpfen.