Mittwoch, 24. April 2024

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Der Journalismus und seine Floskeln
"Weißer Rauch" über dem Bundestag?

"Probleme", "Nachbessern", "Mietpreisbremse" - den Journalismus prägen sprachliche Bilder. Manche seien hilfreich, sagte Udo Stiehl vom Projekt "Floskelwolke" im Dlf, andere dagegen schief. Würden beispielsweise Politiker-Begriffe einfach übernommen, sei das "nicht unbedingt immer gut".

Udo Stiehl im Gespräch mit Christoph Sterz | 05.02.2018
    Diese Begriffe kamen am häufigsten im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Jahr 2013 vor
    Diese Begriffe kamen am häufigsten im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Jahr 2013 vor (picture alliance / dpa / wordle.net)
    Christoph Sterz: Kaliumperchlorat, Laktose und ein spezielles Harz von Nadelbäumen. Das sind die Zutaten, mit denen im Vatikan weißer Rauch erzeugt wird. In einem Ofen, der vor über zehn Jahren zum ersten Mal zum Einsatz kam, bei der Papst-Wahl. In der deutschen Hauptstadt, in Berlin, da gibt es keinen solchen Ofen. Aber den weißen Rauch werden wir in den nächsten Tagen vermutlich trotzdem aufsteigen sehen. Wenn sich SPD und CDU auf einen Koalitionsvertrag einigen. Das ist zumindest meine Vermutung, dass es da die Floskel vom weißen Rauch geben wird - Nachrichtenjournalist und Floskel-Sammler Udo Stiehl: Ihre auch?
    Udo Stiehl: Auf jeden Fall. Es ist ein ganz klassisches Modell von Sprachbild und ist auch schon vorgekommen, gab's gestern auch schon in den Nachrichten. Natürlich wird da keine Päpstin gewählt, aber das Bild wird immer genutzt. Auch wenn's schief ist.
    Sterz: Es ist nicht nur schief, es ist auch ein ausgelutschter Begriff. Was ist denn daran tatsächlich - mal abgesehen von diesem Abgelutschten - was ist daran falsch?
    Stiehl: Naja, weißer Rauch steigt auf, wenn ein Papst gewählt wird. Wir machen jetzt Verhandlungen über eine Große Koalition, der eine Kanzlerin voraussichtlich vorausstehen wird, die wird aber im Bundestag gewählt. Also allenfalls könnte man das noch mit der Wahl in Verbindung bringen, wenn dann weißer Rauch über dem Bundestag aufsteigen würde. Und dann ist aber immer noch keine Päpstin gewählt, sondern eine Bundeskanzlerin.
    "Politiker-Floskeln gehen schnell in die Medienberichterstattung über"
    Sterz: Also raten Sie vom weißen Rauch ab. Was wäre stattdessen eine Möglichkeit?
    Stiehl: Man könnte schlicht von einer Einigung sprechen oder ähnlichen Sachen. Und die Schwierigkeit dann, ist ja, dass solche Sachen dazu verleiten, auch zu pauschalisieren. Wir werden mit Sicherheit in den nächsten Tagen oder heute Abend, wann auch immer die Einigung zustande kommt, hören "Das ist ein guter Tag für Deutschland" oder suchen Sie sich was aus. Das sind so festgefahrene Politiker-Floskeln, die dann auch sehr schnell in die Medienberichterstattung übergehen, wo einfach Begriffe übernommen werden. Und das ist nicht unbedingt immer gut.
    Sterz: Wobei "Ein guter Tag für", das ist ja noch relativ harmlos. Das tut ja noch richtig jemandem weg. Aber so Begriffe können durchaus schädlich sein?
    Stiehl: Wenn es dann um inhaltliche Dinge geht, die wirklich auch ganz bewusst von politischer Seite falsch betitelt werden, nehmen wir mal an in der Flüchtlingspolitik, wenn wieder mal von "freiwilliger" Ausreise die Rede ist – das war übrigens das "Unwort des Jahres" 2006 –, da ist überhaupt nichts freiwillig dran. Das klingt zwar ganz toll, aber unter Zwang wird man das Land verlassen müssen, und das als "freiwillige Ausreise" zu bezeichnen und das auch in Medienberichten wörtlich so zu benennen, ist schlicht falsch. Da wird jemand hinters Licht geführt.
    "Es wird sehr verallgemeinert, weil es eben kurz sein muss"
    Sterz: Dann haben Sie gestern Abend Anne Will geschaut, und der Zettel, den Sie jetzt vor sich liegen haben, den hatten Sie da auch für Anne Will geschrieben, und Sie sind auf einen Begriff gestoßen, auf "die Probleme".
    Stiehl: Genau, das ist im Moment ein ziemliches Modewort, dass alles mit "Problemen" umschrieben wird, um es nicht konkret benennen zu müssen. Das hören wir auch in Nachrichtensendungen häufiger: "Es gibt Probleme bei der Bahn", "Es gibt Probleme auf der Autobahn 40" und es gab eben gestern die "Probleme der Menschen". Es wurde also relativ wenig konkret benannt, sondern es wurde immer verallgemeinert über hier und da und dort gesprochen, ohne sie wirklich zu benennen.
    Sterz: Und es bedeutet eben, eine Lösung wäre da, die genauen Probleme, die genauen Themen mal richtig zu benennen?
    Stiehl: Das schon, das ist natürlich auch eine Frage der Zeit. Natürlich: wenn die Berichterstattungszeiten auch immer kürzer werden, dann wird es wirklich schwierig, mehr noch zu formulieren außer "Es wurde in der Rentenpolitik eine Einigung erzielt" und dann ist auch schon die Zeit vorbei und man hat keine Möglichkeit mehr, das zu konkretisieren. Aber es ist grundsätzlich so: Es wird sehr verallgemeinert dann, weil es eben kurz sein muss.
    "Es wird immer alles nachgebessert"
    Sterz: Jetzt untersuchen Sie seit ungefähr vier Jahren Hunderte deutschsprachige Medienseiten auf Floskeln für Ihr Projekt "floskelwolke.de" und haben da ja – rund um verschiedenste Wahlen – die eine oder andere Floskel, wie eben auch den weißen Rauch, gefunden. Ist das nicht auch ein journalistisches Stilmittel manchmal, was einem so einfällt, und dann ist auch ein Bild manchmal nett und lockert auf?
    Floskelwolke wurde 2014 von den Journalisten Sebastian Pertsch und Udo Stiehl gegründet. Das Onlineprojekt setzt sich mit Floskeln, Phrasen und Formulierungen in deutschsprachigen Nachrichtentexten auseinander und analysiert ihre Häufigkeit in Medien.
    Stiehl: Ja sicher. Es ist nicht so, dass wir die Strafpolizei sind und ein Regelwerk aufstellen, sondern wir wollen nur darauf aufmerksam machen dadurch eben, dass wir das analysieren und auch mal auswerten statistisch, was denn ein schiefes Bild bewirken kann. Es ist überhaupt nichts gegen Sprachbilder zu sagen, das kann sogar manchmal ganz hilfreich sein in der Berichterstattung, oder etwas als Sprachbild visualisieren bei den Hörern – solange es ein richtiges Bild ist und nicht schief hängt. Wenn Sie eine "Mietpreisbremse" nehmen – das ist ja alleine schon ein konstruiertes Wort von der Politik: Die "Mietpreisbremse" bremst angeblich was, nun soll sie verändert werden, weil sie gar nicht so wirklich bremst. Und dann heißt es, die "Mietpreisbremse wird verschärft". Mit einer scharfen Bremse haben Sie gar nichts davon, weil dann quietscht die allenfalls. Das meinen wir damit, dass die Bilder schief sind und dadurch einfach missverständlich werden oder manchmal auch einfach lustig.
    Sterz: Und was Wahlberichterstattung angeht, was ist da Ihre Lieblings-"Hassfloskel"?
    Stiehl: Nachbessern. Weil: Es wird immer alles nachgebessert, weil das unterschwellig und ganz unbemerkt impliziert, dass es vorher schon gut war. Man sagt nicht ändern, dann könnte man ja vermuten, dass es vorher irgendwas Schlechtes war. Aber wenn man nachbessert, dann ist es ja auf jeden Fall vorher schon gut gewesen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.