Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Der Journalist Dagobert Lindlau
"Ich würde nicht wieder Reporter werden"

Er war Chefreporter der ARD und Korrespondent für Südosteuropa. Er moderierte den Weltspiegel und diverse Talkshows und kommentierte im ersten Programm. Er hat Bücher geschrieben, Filmdialoge verfasst und amerikanische Theaterstücke übersetzt. Er bekam drei Mal den Grimme-Preis und noch häufiger Ärger - mit den Rechten und den Linken, mit den politisch Korrekten und den ideologisch Festgelegten. Dagobert Lindlau hat das Fernsehen von seinen Anfängen an begleitet.

Von Brigitte Baetz | 18.10.2014
    Der Journalist Dagobert Lindlau im Jahr 2012
    Der Journalist Dagobert Lindlau im Jahr 2012 (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler )
    Bei der Sendung handelt es sich um eine Wiederholung vom 10.05.2008
    Heute sagt er: "Wenn ich noch einmal auf die Welt käme, würde ich alles werden, bloß nicht Journalist. Schon gar nicht beim Fernsehen."

    "Nein. Das ist mir oft angekreidet worden, dass ich gesagt hab, ich würde nicht wieder Reporter werden, schon gar nicht in einem elektronischen Medium. Aber es bleibt so wenig. Wenn ein Chirurg jemandem hilft, da bleibt was, wenn es ihm gelingt. Wenn ein Rechtsanwalt jemandem zu seinem Recht wirklich verhilft und nicht nur das Recht verdreht, da bleibt etwas. Da hat er irgendwas geleistet. Bei uns bleibt so wenig und mein Wunsch wäre immer beim nächsten Leben, dass ich irgendeinen Beruf finde, wo man etwas machen kann, wo man hinterher sagt: Jetzt hast Du etwas erreicht. Das kann man in meinem Beruf, fürchte ich, nicht. "

    Und doch blickt Dagobert Lindlau, Jahrgang 1930, auf ein Leben zurück, um das ihn viele Journalistenkollegen beneiden können. Er war mit dem Schriftsteller Graham Greene und dem Philosophen Max Horkheimer befreundet, er interviewte Jean-Paul Sartre und Carlo Schmid, recherchierte im Milieu des organisierten Verbrechens in Hamburg und an der Cote d´Azur, mischte sich unter Neonazis in England, probierte Drogen in San Francisco und saß im italienischen Bari im Gefängnis - letzteres natürlich aus beruflichen Gründen. Lindlau ist einer der Journalisten, die sich nie als Publizist bezeichnen würden. Lindlau ist Reporter. Der Weg dorthin verlief nicht steinig, aber auch nicht geradlinig - typisch für die Zeit nach dem Krieg, in der alles möglich schien und auch möglich war.

    "Ich bin nach dem Abitur zu einer winzigen Zeitung gegangen, die hieß auch noch Würmtal-Bote. Das war so schlimm, dass wir immer gesagt haben, wenn wir zu Pressekonferenzen gingen: wir kommen von den Vereinigten Heimatzeitungen, weil wir uns geniert haben. Jeder hat sofort gelacht, wenn ich gesagt hab, ich komm vom Würmtal-Boten. Also, dort musste ich nicht nur den Ofen einheizen und die Redaktion auskehren, sondern auch Leitartikel schreiben. Da muss man einfach alles machen bei so ner Zeitung. Hat mir nicht geschadet, hat mir nicht wirklich geschadet. Und als das Fernsehen losging, war ich inzwischen zum Spielfilm gegangen, war Regieassistent, auf deutsch Kaffeeholer für amerikanische Stars und Textabfrager für irgendwelche Filmstars und da hatte ich das dringende Bedürfnis, mit echten Leuten und echten Ereignissen zu tun zu kriegen. Und da bin ich sofort zum Fernsehen gegangen und das war der Anfang. Und da ich beim Spielfilm gewesen war als Assistent - ich wusste, wie man schneidet, und ich kann mich noch erinnern, wie man gejubelt hat im Sender, weil der erste Film synchron war. Hab ich gesagt: ja, synchrone Filme machen wir seit Jahrzehnten. Aber die habens Fernsehen ja erfunden praktisch zu dieser Zeit und ich wusste halt schon ein bisschen was. Insofern konnte ich da mitmachen."

    Geradezu märchenhaft erscheinen dem Nachgeborenen die frühen Jahre des Fernsehens, in denen vielleicht nicht jeder mitmachen durfte, aber die, die mitmachen durften, Vieles ausprobieren konnten. Und in denen der Nichtstudierte Dagobert Lindlau von seinem Vorgesetzten bei einem Philosophen in die Lehre geschickt wurde.

    "Der damalige Programmdirektor des Bayerischen Fernsehens, das war der Professor Dr. Münster, der war Physiker, weil damals dachten die Leute noch, man muss unbedingt einen Physiker für diese unseriöse Veranstaltung haben, der wenigstens weiß, wie eine Braunsche Röhre funktioniert, sonst geht das überhaupt nicht. Die Politiker waren ja damals, wie heute, immer viel zu spät in der Lage zu erkennen, was so ein Phänomen überhaupt bedeutet. Fernsehen haben die für ne Spielerei gehalten Und deswegen konnte ein Freigeist wie Münster noch Fernsehdirektor werden und er hat mich zu dem Horkheimer geschickt und das war für mich ein wichtiges Bildungserlebnis. Ich konnte den Horkheimer nachts anrufen und sagen: ich hab da Schwierigkeiten etwas zu verstehen und wir haben dann am Telefon darüber diskutieren können. Damals waren Leute wie Adorno oder Mitscherlich oder Horkheimer genauso der Illusion aufgesessen wie wir, dass das ein ganz tolles neues Instrument ist, mit dem man eine informierte Gesellschaft machen kann."

    Ein Gespräch mit einem Philosophen zur besten Sendezeit auszustrahlen, käme in Zeiten der Quote geradezu einem medialen Selbstmordkommando gleich. Die Ansicht eines Fernsehdirektors der frühen Jahre wie Clemens Münster, die Leute sollten ohnehin nicht dauernd vor dem Apparat sitzen, wirkt da geradezu liebenswert anachronistisch, so Dagobert Lindlau.

    "Ich glaube schon, dass unsere Vorstellung von Programm damals eine ganz richtige war, wo wir gesagt haben: es geht nicht darum, jeden Tag möglichst viele Leute vor den Fernsehschirm zu locken, sondern es geht darum, für die verschiedenen Interessen an verschiedenen Tagen etwas zu machen, also zum Beispiel für die, die Theaterstücke sehen wollen, machen wir das dienstags, für die, die politische Kommentare sehen wollen, machen wir das montags oder investigative Stories usw. usf.. Das heißt wir haben gesagt, wen das nicht interessiert, der soll halt was anderes machen. Unter dem Druck der Konkurrenz konnte man das später nicht mehr machen."

    Doch nicht nur die reine Zahl der Fernsehsender hat sich im Laufe von Lindlaus Berufsleben stark verändert, der Journalist musste feststellen, dass die Wahrheiten, die man doch eigentlich als Reporter aufzudecken versuchen sollte, nicht wirklich gefragt sind.

    "Es gibt Trends und Moden in der Berichterstattung, die so übermächtig sind, dass es vollkommen egal ist, was wirklich passiert ist. Das interessiert niemanden mehr. Aber das ist für mich ganz unverständlich, dass solche Trends nicht von den wichtigsten Presseorganen wenigstens durchbrochen werden, dass die nicht sagen: Moment mal, es ist alles ein bisschen komplizierter. Meine Theorie ist ja, dass diese Flut von Informationen nicht dazu geführt hat, dass die Gesellschaft besser informiert ist, weil ganz einfach die Desinformation viel besser gedeiht als die Information, weil sie viel leichter herzustellen ist und billiger herzustellen ist und weil Desinformation sich viel besser und schneller transportieren lässt als die Information. "

    Mehr als einmal musste Dagobert Lindlau erfahren, wie schwierig es ist, seine Rechercheergebnisse gegen eine festgelegte veröffentlichte Meinung zu verteidigen. Beispielsweise als Südosteuropakorrespondent Ende der 80er Jahre.

    "In Rumänien war das wirklich so, dass Ceauşescu, der rumänische Regierungschef und Diktator, muss man sagen, das liebe Kind des Westens war. Der galt als besonders angenehmer und aufgeklärter Herrscher. Der wurde geadelt, wurde empfangen, hat den Elefantenorden, den höchsten aristokratischen Orden, den es in Europa gibt, der wurde ihm später wieder abgenommen. Und über Nacht, als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte, wurde er zum zweiten Hitler, zu einem Dracula. Und zwar von der politischen Linken und von der politischen Rechten. Das war das Interessante. Und das Ungeheuerliche daran war, dass eine Gesetzgebung, die die Dörfer sanieren sollte, die in seiner Verelendungsdiktatur dazu geführt hatten, dass es zu einer Landflucht kam. Dass das also zur Dorfvernichtung stilisiert wurde von den Ungarn, die ein Auge auf Siebenbürgen geworfen hatten. Und das glaubte die ganze westliche Presse, fiel voll darauf herein. Und jeder, der sagte: also Moment mal, der ist ein scheußlicher Diktator, aber mit einem zweiten Hitler, also da fehlt noch Einiges. Der wurde als Knecht Ceauşescus denunziert und so gings mir natürlich auch. Ich konnte aus den Dörfern, die angeblich dem Erdboden gleich gemacht waren, berichten. Ich war dort. Sie standen, sie waren gesund, waren intakt. Hat mir kein Mensch geglaubt. Jeder glaubte, ich verbreite Fälschungen. Mein eigener Sender hat mich an den Pranger gestellt in einer Sendung und später allerdings hat er sich entschuldigt. Aber unsere Recherchen waren eindeutig. Wir waren nicht nur dort gewesen, wir hatten auch mit dem BND geredet, also mit dem Bundesnachrichtendienst, hatten mit dem Botschafter in Bukarest geredet. Die alle waren meiner Meinung oder unserer Meinung und haben aber alle gesagt: schnallen Sie sich ganz fest an, wenn Sie das berichten, weil das wird ihnen um die Ohren fliegen und genau so war es."

    Ein weniger profilierter Journalist wie Dagobert Lindlau wäre wahrscheinlich schon beim Versuch gescheitert, die nicht zerstörten Dörfer überhaupt im Programm zu thematisieren. Lindlau aber war als Mann der ersten Stunde bei Report München, als Präsentator des Weltspiegel und als Autor großer Fernsehreportagen ein Reporter mit einer gewissen Popularität. Dabei kam ihm zugute, dass man ihm eine gewisse Portion Mut zugute hielt, ihm, der für das Fernsehen auch schon mal mit einer amerikanischen Kampfmaschine die Schallmauer durchbrochen hatte.

    Olympische Spiele, München 1972

    "Der olympische Friede scheint gebrochen zu sein ... "

    Palästinensische Terroristen sind in das Olympische Dorf eingedrungen. Die Befreiung der gefangenen israelischen Geiseln endet in einem Blutbad. Lindlau und seine Kollegen vom Bayerischen Rundfunk weisen nach, dass der von der deutschen Polizei verwendete Gewehrtyp untauglich für solche Aktionen war - zum Ärger der einschlägigen Dienststellen. Doch seine Arbeit bringt Lindlau auch in Kontakt mit der bald neu gegründeten Antiterroreinheit GSG 9.

    "Ein Zugriff auf der Straße. Verkehr, Passanten, die gefährdet werden können. Angenommene Lage: ein Heroinschieber, bewaffnet und durch Leibwächter gedeckt, will Ware übergeben. Der Zugriff muss so schnell erfolgen, dass sich nicht einmal Passanten einmischen können, um vermeintliche Hilfe zu leisten."

    Im so genannten Deutschen Herbst wird die GSG 9 in Mogadischu die Landshut stürmen - und Lindlau in seine größte journalistisch-moralische Zwickmühle bringen.

    Spätestens seit der Ermordung von Kapitän Schumann ist klar, dass die palästinensischen Terroristen auch die gefangenen deutschen Urlauber ermorden können. Die ersten Berichte über eine mögliche Erstürmung der Maschine sind schon im Umlauf - und Dagobert Lindlau macht für die ARD einen Brennpunkt, der genau eine solche leugnet, in voller Kenntnis, dass er hier Falsches verbreitet.

    "Die Fälschung um die Erstürmung der Landshut in Mogadishu zu decken, die beinah vorher verraten worden wäre, war eine furchtbare Fälschung und eine Fälschung ist eine Fälschung, für einen Reporter so ungefähr beruflich das Schrecklichste, was er überhaupt machen kann. Nur, das war eine Zwangslage. Es gab die Möglichkeit, nichts zu tun. Die Meldungen, dass die GSG 9 zur Befreiung der Geiseln bereits unterwegs war, waren ja draußen. Das heißt es musste aktiv gefälscht werden, um diesen Eindruck bei den Attentätern oder bei den Entführern, Flugzeugentführern, wieder zunichte zu machen und die glauben zu lassen, man könne weiter verhandeln. Da gings um zig Menschenleben. Das heißt der Reporter, in dem Fall ich, hat ja gar keine Wahl gehabt und das haben die Zuschauer offenbar begriffen, denn Sie kriegen bei nahezu jeder Sendung von irgendwem Beschwerden. Bei dieser Fälschung hab ich nicht eine einzige Beschwerde gekriegt, wie die Zuschauer begriffen haben die Zwangslage, in der ich als Reporter gesteckt bin."

    Das laut Schulakte "schwer erziehbare" Kind Dagobert Lindlau nahm in den Bombennächten des Zweiten Weltkrieges heimlich eine Pistole mit den Luftschutzkeller, weil es weniger Angst vor dem Tod als vor einem qualvollen Sterben durch Ersticken hatte. Auch der erwachsene Reporter pflegte weiterhin das Schießen als Hobby - sehr zum Misstrauen einiger seiner Mitmenschen. Für seine Recherchen im kriminellen Milieu jedoch erwarb er sich dadurch einige nützliche Kenntnisse, wurde beim Einsatz in Krisengebieten vom Militär ernst genommen und verschaffte sich Respekt bei der New Yorker Polizei.

    "Dieser Mann da rechts heißt Cavalcante, alias der Klempner. Nach amerikanischen Angaben ein Mafiaboss. Auf den ersten Blick macht er bestenfalls den Eindruck eines gefährlichen Hanswursten, und dieser Mann ist in dem Film "Der Pate" als Godfather durch Marlon Brando glorifiziert worden. Das ist der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Hollywood. "

    Immer wieder recherchiert Lindlau in den USA. Er testet am eigenen Leib die neu entwickelte Methode des Lügendetektortestes, geht mit Guardian Angels auf Streife. Die journalistische wie moralische Integrität großer Fernsehkollegen wie Ed Murrow, dem es mit einer einzigen Fernsehsendung gelang, den inquisitorischen Wahnsinn der McCarthy-Ära zu beenden, seien ihm bis heute ein Vorbild. Gerade das Offensichtliche, so Lindlaus Erfahrung, sei nicht immer das Wahre. Ein guter Reporter sollte das begriffen haben.

    "Er muss seine Vorurteile überwinden. Das ist ja immer so. Man fängt als Reporter an zu arbeiten, weil man sagt: da ist ja eine ungeheuere Sache passiert, die deck ich auf. Oder dieser Politiker ist ja ein richtiges Schwein, den entlarve ich jetzt. Und dann fängt er an zu recherchieren und entdeckt: der Politiker ist gar kein Schwein, sondern wenn man selber in den selben Zwängen gesteckt hätte, hätte man wahrscheinlich genauso so gehandelt wie er. Das heißt ein Reporter muss pausenlos die eigenen Vorurteile wieder vergessen, die ihn eigentlich dazu gebracht haben, mit der Arbeit und mit den Recherchen zu beginnen. "

    Schon in den USA beginnt Lindlau seine Recherchen zum organisierten Verbrechen. "Die Bedrohung", der Film, den er mit Hans Lechleitner über die Lage in Deutschland 1981 produziert, wird zu einem Einschaltquotenerfolg und sorgt durch seine zugespitzte, provokante Form für kontroverse Diskussionen.

    Lechleitner: "Das sind die Transportwege für Rauschgift, u.a. für Heroin: Afghanistan, Pakistan ... "

    Lindlau: "Im Oktober 1978 hat zum Beispiel der Münchener Polizeipräsident Manfred Schreiber gesagt, dass es keine Anzeichen für organisiertes Verbrechen gibt. "

    Lechleitner: "Aber im April 79, also ein halbes Jahr später, hat er erklärt, dass es natürlich organisiertes Verbrechen gibt. Wir haben ihn gefragt, warum er einmal so und einmal so geantwortet hat, und so ein langes Fernschreiben bekommen"

    Lindlau: a "Aus dem im wesentlichen nur hervorgeht, dass man die Sache so oder auch so sehen kann und vor allen Dingen, dass man sie öffentlich nicht diskutieren sollte. "
    Lechleitner: "Das hört man immer, wenn die Polizei entweder nichts weiß oder nichts wissen will."

    Auch ein Buch Dagobert Lindlaus zum Thema: "Der Mob", wird ein Bestseller - und verschafft ihm, wie so oft, viel Ärger, weil er, wie im Film kaum ein Blatt vor den Mund nimmt.

    "Und hier ganz in der Nähe wohnt ein Handlanger des organisierten Verbrechens, von Beruf Anwalt, leitende Funktion in einer Partei und ständiger Gast bei den Familienfeiern von notorischen Kriminellen. Er hilft ausländischen Gesetzesbrechern durch seine politischen Beziehungen entweder nicht ausgewiesen zu werden oder die Ausweisung möglichst lange hinauszuschieben. Diese Informationen haben wir von der Polizei, aber wir können weder den Namen des Mannes sagen noch die Stadt, in der er wohnt. Einen Prozess würden wir verlieren.

    Na ja, wenn Sie an den "Mob" denken, das Buch über das organisierte Verbrechen, da haben Polizeileute gesagt, der liest zu viele Kriminalromane, das gibt's alles gar nicht. Weil das sprach gegen die herrschende Meinung, dass es so etwas bei uns nicht nur nicht gibt, sondern auch gar nicht geben kann. "

    Doch nicht nur von Teilen der Polizei und der Politik wurde Lindlau Panikmache vorgeworfen, auch von linken Fernsehkollegen, die ihm vorwarfen, die Bedrohung über zu bewerten und damit dem Polizeistaat das Wort zu reden. Doch der Platz zwischen allen Stühlen war Lindlau nicht unbekannt. Auch als Moderator des Weltspiegel nahm er dort Platz, als er einen Beitrag über das Chile Pinochets nicht unkommentiert stehen lassen wollte.

    "Es hätte der Beitrag im "Weltspiegel" damals über Chile hätte die Zuschauer desinformiert, wenn ich nicht durch meine Moderation wenigstens schüchtern nachgetragen hätte, dass Chile ne Diktatur ist. Das kam in dem Beitrag nicht vor. Da wurde das Reich der Freiheit gefeiert in diesem Beitrag. Na, das kann man so nicht senden. Das geht zufällig hier um einen konservativen Sender und um eine gegenteilige Meinung. Andersrum ist das bei einem roten Sender natürlich genau so möglich, wo man manche Dinge nicht stehen lassen kann.
    Nu ja, der Bericht wurde bestellt von einem Redakteur auf dem SPD-Ticket, das war ja der Witz des Ganzen und der Chefredakteur, der auf dem CSU-Ticket war, war dabei den Teppich zu fressen als ich gesagt hab, ich mache nur die Moderation, die das klar stellt, was das für ein System ist und es ging hin und her und hin und her und er wollte mich entlassen auf der Stelle, aber irgend jemand musste den "Weltspiegel" ja moderieren. Auf jeden Fall ging es bis Sekunden vor der Live-Sendung und ich hab mich gleich dreimal versprochen in der ersten Aufnahme. Die Zuschauer werden sich gedacht haben, wieso ist der denn so nervös, aber ich war einfach noch ein bisschen durchgewurzelt, weil ich das gerade hinter mir hatte. Aber jedenfalls ist auch da nix passiert."

    Dagobert Lindlau vermisst im heutigen Fernsehgeschäft die Querdenker und Gegen-den-Strom-Schwimmer, die die Freiräume nutzen, die sie eigentlich haben könnten - auch wenn er zugesteht, dass eine gewisse Stromförmigkeit quasi systemimmanent ist.

    "Ich glaube, wenn Betriebe und es gilt für alle Betriebe, ob das ein Finanzamt ist oder ein Krankenhaus oder ein Fernsehsender: wenn sie größer werden, dann werden sie durchstrukturierter, dann selektieren sie Angepasste sehr viel mehr als Nicht-Angepasste. Infolgedessen werden die Nicht-Angepassten seltener und was selten ist, gilt dann mehr als Spinner oder irgend was. Das war zu unserer Anfangszeit ganz anders. Weil, wir hatten noch ein völlig anderes Verhältnis zum Fernsehdirektor, zum Chefredakteur. Mit denen haben wir Minigolf gespielt und uns abends in Schwabing getroffen und so. Das ist ein Unterschied. Dieser hierarchische Aufbau, den große Institutionen automatisch entwickeln, der verhärtet natürlich auch das Klima und der verhärtet auch Streitereien. Wir konnten Streit haben und hinterher wieder was zusammen machen. Das ist längst vorbei."

    Das System Fernsehen, so meint Lindlau, sei so etwas wie ein riesiger Verhinderungsmechanismus, ein System, das der Vermeidung von Schwierigkeiten größeren Raum einräumt als einem profilierten Programm.

    "Da gibt's ne Rechtsabteilung, die gegen alles was hat, was man senden will. Da gibt's ne Verwaltung, der es am liebsten wäre, man würde überhaupt nichts senden, dann wär der Betrieb in Ordnung und der Betriebsfriede, wie das so schön heißt, wäre gewahrt. Ich glaube, dass die meisten Kollegen einfach die falsche Optik haben, heute. Das ist meine Beobachtung, dass sie gar nicht wissen, wie stark sie sind. Was kann ihnen denn schon passieren? Einem freien Mitarbeiter kann viel passieren, wenn er sich nicht gängeln lässt. Überhaupt nichts kann passieren. Gut, man kann ihm eine Sendung wegnehmen oder irgend was, aber irgendwann wird man ihm beschäftigen müssen. Also, es ist ja kein Risiko dabei, das heißt es verlangt im Grund keinen Mut. "

    In seinem nächsten Leben möchte Dagobert Lindlau nicht mehr Journalist werden, vor allem nicht in einem elektronischen Medium, obwohl er alles gemacht hat, was es in diesem Beruf zu machen gibt - von der Life-Regie beim Eishockey bis zu Reportagen aus dem Nahen Osten. Er hat erreicht, was es zu erreichen gab, hat sich Feinde und Freunde gemacht. Doch die Unzulänglichkeiten des Journalismus machen ihm zu schaffen.

    "Die Zeitfrage - Sie genauso wie wir damals werden ständig gedrängt, kürzere und kürzere und noch kürzere Sendungen zu machen oder in eine Sendung immer mehr hinein zu packen. Um das zustande zu kriegen, müssen Sie natürlich alle Sachverhalte so verkürzen bis sie nicht nur unverständlich sind für einen Zuschauer oder Zuhörer, sondern bis sie falsch sind. Es gibt eine Wirklichkeit, die braucht einen gewissen Platz, eine gewisse Zeit in einem Sender, in einer Sendung, in einer Fernsehsendung oder in einer Zeitung. Und wenn Sie dies nicht haben, dann muss der Leser oder Zuschauer oder Zuhörer das Missverstehen, dann kann er nicht begreifen, worum es geht, wenn Sie ihm nicht die Hintergründe doch ein bisschen mit liefern, warum ist das jetzt so. Nicht nur, dass es so ist, sondern warum ist das jetzt so und die Zeit, die fehlt immer stärker. Was dabei passiert, ist demokratietheoretisch von eminenter Bedeutung, weil sie natürlich Leute heranziehen, die glauben, etwas zu wissen, sozusagen am Stammtisch sagen: na, das haben sie doch gestern im Fernsehen gesagt. Aber er hat gar nicht begriffen den Zusammenhang, weil das Fernsehen keine Zeit hatte, den Zusammenhang zu liefern. Und das ist das große Problem. Wie wir da wieder rauskommen, fragen Sie mich nicht, ich weiß es nicht."