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Der Kampf der Generationen

Die Alten beklagen sich, die Rentenerhöhung um 1,1 Prozent sei nicht ausreichend, die Jungen hingegen halten jede Erhöhung für zu viel. Doch die Politik darf es sich bei kritischen Entscheidungen mit den Rentnern nicht verscherzen, diese Zielgruppe ist jetzt schon groß und wird in Zukunft weiter wachsen. Innerhalb der beiden großen Parteien selbst ist schon knapp die Hälfte der Mitglieder über 60.

Von Wolfram Stahl | 11.05.2008
    Geplant war eine Wohltat. Wirklich begeistert davon sind inzwischen aber nur noch die Politiker der großen Koalition. Die Bundesregierung wollte den Rentnern etwas Gutes tun und schenkte Ihnen deshalb eine doppelt so hohe Rentenerhöhung wie nach dem Gesetz eigentlich möglich gewesen wäre. Ab 1. Juli dieses Jahres steigen die Renten um 1,1 Prozent. Anfang April verkündete Bundesarbeitsminister Olaf Scholz die Entscheidung des Bundeskabinetts, am Donnerstag wurde die Anhebung der Altersbezüge von der schwarz-roten Regierungsmehrheit des Deutschen Bundestags beschlossen.

    "Die oberste Maxime von mir und auch von meinen Gesprächspartnern in der Bundesregierung und den Fraktionen und der Partei war, dass wir die langfristigen Stabilisierungserfolge der Rentenversicherung nicht gefährden."

    Die Rente scheint sicher, und die Erhöhung ist überhaupt erst möglich, weil die Rentenkasse gut gefüllt ist. Trotzdem ist die Entscheidung folgenreich. Um die Kosten für die Anhebung zu finanzieren, muss die bereits längerfristig geplante Senkung der Rentenbeiträge noch etwas weiter in die Zukunft verschoben werden. Mehr Geld für die Alten auf Kosten der Jungen - und natürlich aller Beitragszahler. Doch dahinter verbirgt sich auch noch eine andere Rechnung: ein Wahlgeschenk der Bundesregierung für die besonders zahlreiche Bevölkerungsschicht von über 20 Millionen Menschen, die bereits Rentner sind beziehungsweise bald in den Ruhestand gehen werden.

    Angela Merkel:
    "Ich glaube, dass das etwas ist, was wir richtigerweise getan haben. Ich halte es politisch für richtig, weil wir gezeigt haben, wir verlieren auch diese Generation nicht aus dem Blick."

    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Arbeitsminister Scholz fanden allerlei Gründe, die Entscheidung für den höheren Rentenanstieg zu rechtfertigen. Wer als älterer Mensch genauso gestiegene Preise für Strom, Butter und Milch zahlen müsse und auch noch die Mehrwertsteuererhöhung zu verkraften hatte, der solle durch etwas mehr Geld auf dem Rentenkonto wenigstens auch einen kleinen Anteil vom Aufschwung abbekommen. Der Ärger bei den Jungen ist verständlich, schließlich bezahlen sie die kommenden Jahre dieses Rentengeschenk. Manche Rentner halten die ziemlich geringe Steigerung für einen schlechten Witz.

    Junge Frau:
    "Auf Grund der Reformen passiert ja gerade schon viel für die Alten. Was mal für die Studenten zumindest getan wird, ist, dass mal die BAföG-Sätze, nach, keine Ahnung, über zehn Jahren erhöht werden, aber ansonsten läuft nicht so viel für uns."

    Rentner:
    "Die Erhöhung, die ich kriege, ist gerade mal eine große Schachtel Zigaretten, also lächerlich in dem Sinne und macht mich nicht reicher, auch nicht ärmer und man hat ja nun den Vertrag dadurch gebrochen. Bloß mit sechs Euro macht man keinen Rentner glücklich, manch einer wird 15 kriegen, nützt keinem was, nur Ärger und eine Unentschlossenheit der Regierung, wankelmütig, an was soll man sich halten."

    Die neue Vorliebe der großen Koalition ist keineswegs die selbstlose und reine Sozialpolitik. Die Zielgruppe der Alten stellt ein beträchtliches Wählerpotenzial dar. Die über 60-Jährigen bilden etwa ein Drittel aller Wahlberechtigten, die im Vergleich zu den Jungen zudem auch noch stetig und treu ihre Stimmen an den Wahlurnen abgeben. Die Alten und die Rentner würden in Zukunft die Wahlen ganz entscheidend beeinflussen, sagt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin.

    "Die Altersgruppe war schon immer relevant für die Politik, sie wird aber durch den demografischen Wandel, den wir in den letzten zehn, 20 Jahren erleben, immer relevanter. Das heißt: Die Gesellschaft an sich altert. Es gibt immer mehr ältere Menschen, und das bedeutet natürlich auch, dass sie im Wahlkörper einen immer größeren Anteil einnehmen und man deswegen auf ihre Interessen auch immer mehr Rücksicht nehmen muss."

    Ein Wahlkampfpapier der CDU spricht über die Alten als die so genannte S-Klasse, eine etwas saloppe Bezeichnung für die Senioren-Klasse. Dem entspricht, dass immer mehr alte Abgeordnete für immer mehr alte Menschen Politik machen. Wer sich gegen eine Politik der Alten für die Alten stellt, muss unter Umständen mit beträchtlichen Schwierigkeiten in den eigenen Reihen rechnen. Der CDU-Abgeordnete Jens Spahn, kritisierte zum Beispiel die Rentenerhöhung der großen Koalition. Leonhard Kuckart, der Vorsitzende der Senioren-Union Nordrhein- Westfalens, droht deshalb dem jungen Bundestagsabgeordneten damit, seine erneute Kandidatennominierung verhindern zu wollen.

    Wer die Gesellschaft spalte, passe nicht in die CDU und könne die Partei auch nicht vertreten, meint Kuckart. Der 27-jährige Spahn hatte nichts anderes getan als bloß darauf hingewiesen, dass er es für falsch halte, dass die Regierung die Rentenformel eigenmächtig verändere und damit nach einiger Zeit der Ruhe wieder für Unsicherheit bei der Rente sorge. Der junge Bundestagsabgeordnete lehnte keineswegs generell die Rentenerhöhung ab, sondern allein die Tatsache, wie sie zustande gekommen war. Aber in der Bundestagsfraktion der Union stand er mit seiner Haltung weitgehend allein da.

    "Wenn diese Formel im Rahmen der Lohnentwicklung Erhöhungen zulässt, stelle ich das überhaupt nicht in Frage, da wäre ich der Allerletzte, zumal ich weiß, wie schwierig, die Situation von Rentnerinnen und Rentnern angesichts der Steigerung der Energiepreise, Lebensmittel, Eier, Milch, die ganzen Dinge des Alltages, ist, nicht in Frage, ganz im Gegenteil. Aber, wenn es um eine außerplanmäßige Rentenerhöhung geht, muss es zumindest erlaubt sein zu fragen, von wem denn diese zusätzlichen 12 Milliarden Euro bis 2012 finanziert werden."

    Die Regierung habe mit ihrer Rentenpolitik den Rentenkompromiss zwischen jung und alt verlassen, lautet Spahns schlichte Feststellung. Fünf weitere Unions-Abgeordnete sahen dies genauso und stimmten ebenfalls gegen die Rentenerhöhung. Die anderen jungen Abgeordneten hielten sich offenbar aus persönlichen und strategischen Gründen zurück. Seniorenthemen sind gegenwärtig in der CDU durchaus heikle Themen. Das musste auch Philipp Mißfelder mal erfahren, als er sich vor fünf Jahren in dieses Minenfeld wagte. Der Vorsitzende der Jungen Union plädierte damals dafür, dass 85-Jährige auf Kosten der Solidargemeinschaft keine Hüftgelenke mehr erhalten sollten.

    "Also die Hüfte ist noch für die nächsten Jahrzehnte gesichert, auch in unserem jetzigen System, nur für die junge Generation gilt das natürlich nicht mehr. Wer heute nach 1960 geboren ist, weiß, dass auf ihn wesentlich größere Belastungen zukommen, als das bei der älteren Generation der Fall ist. Und deshalb ist das richtig, früh auf den Kapitalstock zu setzen und darauf, das Eigenvorsorge eine weitere Säule wird. Sowohl in der Rentenversicherung als auch bei der Gesundheitsversicherung."

    Mißfelder hat in den Jahren gelernt, dass auch ein Vorsitzender der Jungen Union nicht immer lautstark die Stimme erheben sollte. Vor allen Dingen weiß er inzwischen um die sensiblen Themen und die Punkte, die für die gesamte Partei von Relevanz sind, um sich ins richtige Licht rücken zu können. Nicht gegen die Alten, sondern mit den Alten Politik zu machen ist mittlerweile sein Konzept. In seinem neu gegründeten Initiativkreis "Zusammenhalt der Generationen" sollen Konzepte entwickelt werden, um die Interessen aller Generationen zusammenzuführen. Die mächtige Senioren-Union sitzt dann bei den Überlegungen mit am Tisch. Gegen sie beziehungsweise gegen die gesamte Partei kann man sich als Junger bei bestimmten Inhalten sowieso nicht stellen, ohne sich und die weitere Karriere womöglich nachhaltig zu beschädigen, sagt der 32-jährige Marco Wanderwitz.

    "Es ist nicht populär zu sagen, es gibt keine Rentenerhöhungen in den nächsten Jahren und das ist natürlich eine Sache, die es der Politik nicht einfach macht, das, was notwendig ist zu tun. Wenn da jemand, der populistisch durchs Land zieht eben auf diese Weise relativ schnell an relativ gute Wahlergebnisse kommen kann. Insofern ist das ein stetiger Kampf auf der einen Seite, dass zu tun, was wirklich notwendig ist, auf der anderen Seite das zu vermitteln, warum das notwendig ist und drittens es noch zu schaffen, mehrheitsfähig zu bleiben."

    Es ist eher das Wohlverhalten, das innerhalb der schwarz-roten Regierungsparteien honoriert wird, und nicht unbedingt die Ehrlichkeit. Die Parteistrategen haben bei ihrer langfristigen Wahlkampfinszenierung natürlich die Bevölkerungspyramide im Blick. Wo die meisten Stimmen geholt werden können, müssen Zugeständnisse gemacht werden – gegenwärtig sind das vor allen Dingen die Rentner. Der Kampf der Generationen habe begonnen, Jung gegen Alt, Beitragszahler gegen Rentner. Manche behaupteten, dass die Alten den Jungen gezeigt hätten, wer das Sagen habe. Gegen solche Darstellungen setzt sich auch der Sozialverband Deutschland zur Wehr, sagt SVD-Präsident Adolf Bauer.

    "Hier werden Diskussionen geführt auf einer Ebene mit Folgen, die man eigentlich gar nicht beabsichtigt. Hier fühlen sich irgendwelche Menschen berechtigt, zu solch extremen Aussagen oder gar zu Drohungen. Das hat in der Vergangenheit Beispiele gegeben, in der jüngeren, dass man auch Diskussionen angezettelt hat mit einem Vokabular, dass sie Menschen gemüßigt fühlten, dann Dinge zu tun, die man in der Diskussion so nicht beabsichtigt hat. Ob das Übergriffe gegen Behinderte waren, Übergriffe gegen Ausländer, Übergriffe gegen Ältere, die sind immer angefangen worden mit unsachlichen, polemischen, nicht der Sache angemessenen Diskussionen."

    Bauer plädiert für einen sachgerechten Umgang miteinander. Zu beobachten ist aber eben genau, dass die Politik der Generationengerechtigkeit gegenwärtig etwas aus dem Lot gekommen ist, und eben jetzt durchaus von einem Generationenkonflikt gesprochen werden kann.

    Rentner:
    "Man kann die Jungen verstehen, dass sie ihre Interessen vertreten. Auf der anderen Seite müssen sie sich das erst mal erarbeiten. Die Jungen sollten vor allen Dingen auch bedenken, dass man nicht so mit der Tür ins Haus eintritt, sondern das Ganze etwas vorsichtiger angehen."

    Die Rentenerhöhung hat das Land gespalten. Es geht dabei um einen Verteilungskampf und um das riesige Wählerpotential der Alten. In den Reihen der Sozialdemokraten wird bei dieser Thematik zwar kritisch gedacht, mit Äußerungen operiert man jedoch eher zurückhaltend. Nicht durch ausufernde Debatten, sondern durch einvernehmliches Stillschweigen kann die SPD gegenüber der Union wieder Boden gut machen und vielleicht auch wieder Wähler von der Linken zurück gewinnen. In der SPD herrscht deshalb ein strenges Regiment, in dem die erfahrenen Parteimitglieder dominieren. Für den 35-jährigen Abgeordneten Peter Friedrich repräsentiert das Parlament eben auch genau die Gruppe, die auch gesellschaftlich das Sagen hat.

    "Die Gesellschaft wird älter, wir haben ein demografisches Problem. Das spiegelt sich in der Partei, das spiegelt sich in den Verbänden und spiegelt sich auch im Parlament letzten Endes wider."

    Die Älteren sind selbstbewusster geworden und lassen die Jüngeren auch gern ihre starke Stellung in den Parteien und der Gesamtgesellschaft spüren. Gegen die Alten kann keine der beiden Volksparteien Wahlen gewinnen. Die Rentner sind ein Machtfaktor geworden, der bei unentwegt sinkender Wahlbeteiligung vor allem noch dadurch Bedeutung bekommt, dass bei der nächsten Bundestagswahl vielleicht schon die Hälfte aller Wähler älter als 50 Jahre sein könnte.

    "Das Problem ist grundsätzlich, wenn man sich anschaut, wie die Wählerschaft ist, haben natürlich zukünftige Generationen, die heute noch gar nicht wählen können, im Zweifel ein Problem, hier gar nicht repräsentiert zu werden. Der Bundestag ist von seinen Wählern beauftragt, insofern ist er auch den Wählern verantwortlich und wir werden direkt zur Verantwortung gezogen von denen, die heute da sind. Für die tagespolitische Entscheidung spielt das natürlich eine größere Rolle, mit wem darf ich das dann abends im Wahlkreis in der Wahlveranstaltung diskutieren oder mit wem muss ich in 30 Jahren diskutieren."

    Sind die Jungen also die Dummen? Das Wahlgeschenk an die Rentner kostet viel Geld. Ihre Altersgenossen im Bundestag haben sich ganz sicher zu wenig gegen die geballte Macht der Alten im Parlament gewehrt. Aber es ist ja auch nicht so, dass die jungen Leute, den Rentnern nicht die Erhöhung gönnen würden. Eine Politik, die sich jedoch als reine Klientelpolitik gestalten würde, wäre für die meisten auf der Straße ganz bestimmt nicht mehr akzeptabel.

    Zwei junge Frauen:
    "Dann müssten die Jungen, wenn es ihnen zu viel wird, auch selber mal sagen, wir sind auch noch da und sollten auch viel mehr mit einer Stimme eintreten, meiner Meinung nach."

    "Das ist glaube ich, auch das Problem unserer Generation, dass unsere Generation einfach viel zu wenig für sich eintritt, wie man es auch bei den Studiengebühren gesehen hat. Ich fand, die Proteste wurden da viel zu klein gefahren."

    Ohne Zweifel liegt die gegenwärtige Macht überwiegend in den Händen der Älteren. Den Parteien fehlt einerseits der politische Nachwuchs, andererseits bilden die Alten, die irgendwann auch vergreisen, einen immer größeren Teil der Basis. Bei der CDU beträgt der Anteil der über 60-Jährigen rund 48 Prozent, in der SPD liegt die Quote bei nahezu gleichen 47 Prozent, aber auch in allen anderen Parteien steigt die Zahl der Alten. Die Senioren und Seniorinnen verfügten bereits über eine beträchtliche Machtstellung, erklärt der Politikwissenschaftler Niedermayer.

    "Also in den Parteimitgliedschaften selbst sind die älteren Bürger alle überrepräsentiert in allen Parteien. Das ist sogar ein bisschen für die Grünen der Fall, obwohl die Grünen die Jüngste - in Anführungszeichen – der Parteien sind. Aber man kann schon sagen, es gibt Parteien, wie zum Beispiel die Linke, wo die ältere Generation extrem überrepräsentiert sind."

    Die Gruppe der Ü-60 beläuft sich in den Reihen der Linkspartei auf fast 70 Prozent. Ohne Scheu können sich die führenden Köpfe der Partei für eine Altenpolitik einsetzen, die der Mehrheitsauffassung der Mitglieder entspricht. Selbstverständlich kam von der Linken auch Widerstand gegen die Erhöhung der Renten. Aber anders als die Grünen und die FDP beklagt die Linke, dass die Erhöhung der Rente mit 1,1 Prozent noch viel zu niedrig ausfalle.

    Oskar Lafontaine:
    "Ein Skandal ist es, dass sich hier eine Regierung hin stellt und sagt, wir wollen die Rentner am Aufschwung beteiligen. Und ihnen praktisch einen Brosamen gibt in einer Zeit, in der eben für eine Minderheit in unserem Volk die Einkommen ins Unermessliche wachsen und die Vermögen."

    Oskar Lafontaine gilt inzwischen als ausgewiesener Anwalt der Senioren, wegen der großen Zahl eigener alter Parteimitglieder. Er agiert ganz offenbar nach dem Motto, wer Politik für die Rentner, die Arbeitslosen und die sozial Schwachen macht, bekommt irgendwann auch die Mehrheit auf seine Seite. Seine unverhohlene Absicht besteht darin, so viele Stimmen wie irgend möglich in diesen sozialen Milieus zu sammeln oder von der SPD abfischen zu können. Und so laufen die Sozialdemokraten seit einiger Zeit den Inhalten der Linken hinterher, sagt Politikwissenschaftler Niedermayer.

    "Herr Lafontaine versucht ja mit verschiedenen Gruppen Politik zu machen, indem er doch relativ populistische Forderungen jeweils stellt, unter anderem eben auch für die Alten Rentenerhöhungen fordert. Das heißt noch nicht, dass er sein Herz nur für die Alten entdeckt hat. Aber natürlich sind die älteren Menschen ein Wählerpotential, das nicht zu unterschätzen ist. Allerdings nur dann, und das ist das große Problem, wenn sie sich tatsächlich nur ihrem Alter gemäß verhalten bei den Wahlen, was sie ja bisher noch nicht tun."

    Die Alten seien aber keine homogene Masse, die sich durch ein gezieltes Programm manipulieren lasse. Neben der Sozialpolitik und der Gesundheitspolitik, interessieren sie sich auch für Steuer-, Umwelt- und Bildungspolitik. Und weil die politischen Programme der Parteien und die Orientierung der Alten dann doch gänzlich verschieden sind, dürfte eine spezielle Rentnerpartei relativ chancenlos sein. Den besten Beweis dafür hätten die Grauen Panther geliefert, sagt Wahlforscher Niedermayer.
    "Man darf eben nicht aus der Tatsache, dass es immer mehr ältere Menschen gibt schließen, dass die älteren Menschen ein homogener Wählerblock wären, der nur nach seinem Alter wählt, der die Parteien danach aussucht, was sie für ältere Menschen tun. Das ist schlicht und einfach nicht der Fall. Auch ältere Menschen haben andere Rollen, auch ältere Menschen haben ganz andere Interessen vor allen Dingen sehen sie sich auch in der Verantwortung gegenüber ihren eigenen Kindern und Enkeln."

    Zukunftsfähige Politik sollte sich keineswegs nur an einzelnen Gruppen ausrichten, so der überparteiliche Konsens, denn: Die Gesellschaft als Ganzes sollte immer im Auge behalten werden. Insofern stellen natürlich die Alten auch einen Teil der Vergangenheit dar. Damit ihre Interessen als größte gesellschaftliche Gruppe nicht zu dominant werden, sollte der Bundestag über ein neues Wahlrecht nachdenken, meint FDP-Generalsekretär Dirk Niebel.

    "Verantwortliche Politik kann man niemals für einzelne Teile der Gesellschaft machen, sondern es muss immer gesellschaftlich ausgewogen sein. Deswegen bin ich ausdrücklich gegen eine echte klassische Rentnerpolitik. Aber ich bin dafür, dass die Altersentwicklung berücksichtigt wird bei politischen Entscheidungen. Das hat bei Infrastrukturmaßnahmen eine Menge Auswirkungen. Und persönlich, nicht als FDP-Abgeordneter, sondern als Abgeordneter, habe ich den Gruppenantrag, der fraktionsübergreifend gestellt worden ist zu einem Wahlrecht ab Geburt mit unterschrieben. Weil ich der Ansicht bin, dass auch die Kinder eine Stimme bekommen müssen, die sich in Wählerstimmen niederschlägt, in erster Linie dann durch die Stimmabgabe der Eltern und erst dann, wenn sie ins Wahlalter kommen, durch die eigene Stimmabgabe. Aber es ist wichtig, dass auch nachkommende Generationen eine politische Stimme haben, das ist wie gesagt ein Gruppenantrag und keine Parteiposition."

    Aber die große Koalition hat gerade erst die Alten als neue Zielgruppe entdeckt und wird sich in dieser Legislaturperiode ganz bestimmt nicht um eine solche Reform des Wahlrechts bemühen, so Kenner der Berliner Verhältnisse. Die nächste Wahl ist im Herbst 2009, bis dahin wird Politik gemacht. Sozialpolitik für Rentner und der Kampf gegen Altersarmut verfolgen ja auch ehrenwerte Inhalte, zumindest so lange das Gesamtwohl nicht aus den Augen verloren wird.