Donnerstag, 25. April 2024


Der Kanzler und die Freiheit der Medien

Die Einfügung der Notstandsregelungen 1969 war der bis dahin umfangreichste und am heftigsten umstrittene Eingriff in das Grundgesetz. In einer von Großdemonstrationen und einer Flut politischer Publizistik begleiteten Debatte zeigte sich, daß aus der ursprünglich als Provisorium gedachten Verfassung längst ein Definitivum geworden war.

14.05.1999
    Willy Reichert: "Erinnern Sie sich noch: vor ein paar Jahren, wie wir abends am Leisesprecher saßen, erinnern Sie sich noch? Und hörten die Schwarzsender ab - ach, das war naja, es kommt alles wieder..."

    Der Kabarettist Willy Reichert im Jahre 1954. Sein Publikum verstand sehr wohl die Anspielung vom Schwarzfunk, denn der Kanzler, Konrad Adenauer, machte schon seit einiger Zeit mobil gegen den angeblich kommunistisch unterwanderten Rundfunk, für Adenauer eine Propagandamühle der Opposition. Adenauer, der als alter Weimarer Politiker den Rundfunk wie noch in den 20er Jahren als ein politisches Führungsmittel der jeweiligen Regierung ansah, er verfolgte unbeirrt den Plan einen Bundesrundfunk mit möglichst direktem Zugriff der Regierung zu schaffen. Am 25. Juli 1960 unterzeichneten Adenauer und sein Minister Fritz Scheffer den Gesellschaftsvertrag einer Deutschland Fernsehen GmbH. Sie sollte die Keimzelle für eine Art Regierungsfernsehen werden.

    Die Sozialdemokratischen Länderchefs durchaus beifällig von ihren CDU-Kollegen in den anderen Bundesländern begleitet, klagten vor dem Bundesverfassungsgericht wegen Übergriffs in ihre Kulturhoheit. Mit Erfolg.

    Am 28. Februar 1961 gab Adenauer vor dem Parlament folgende Erklärung ab.

    Adenauer: "Das Kabinett war sich darin einig, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts falsch ist, meine Damen und Herren. (Zuruf, Unruhe) Meine Herren Sie können doch wirklich nicht erwarten, daß ich hier mich hinstelle und sage, das ist ein gutes Urteil."

    Adenauers Niederlage im Fernsehstreit bedeutete eine empfindliche politische Schlappe. Die Verfassungsrichter hatten nämlich mit ihrem Urteil klargestellt, daß alle zentralistischen Bestrebungen des Bundes im Rundfunkwesen zum Scheitern verurteilt sind, daß Rundfunk Ländersache bleibt.

    Auch wenn die heutigen technischen Möglichkeiten ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Rundfunkanstalten ermöglicht haben - bis heute gilt, daß nur der gemeinnützige öffentlich-rechtliche Rundfunk die Grundversorgung der Bevölkerung mit Informations-, Unterhaltungs- und Kultursendungen sicherstellt.

    Zurück zu Adenauer. Nicht nur die Rundfunkfreiheit hat er unfreiwillig befördert, auch die Pressefreiheit in Deutschland ist unter anderem mit seinem Namen und dem seines einstigen Verteidigungsministers Franz-Josef Strauss verknüpft.

    Am 27. Oktober 1962 trat der Spiegel-Verlagsdirektor Hans-Detlef Becker vor die Mikrofone, gab eine Erklärung zur Durchsuchung des Verlagsgebäudes durch eine Hundertschaft von Kriminalpolizisten ab.

    Becker: "In Bonn sind Aktenunterlagen beschlagnahmt worden, in Hamburg steht die Durchsuchung noch bevor, die Räume sind nur zunächst gesichert worden, ferner sind die Privatwohnungen des Herausgebers Herrn Augstein und der drei genannten Redakteure durchsucht und auch dort Unterlagen mitgenommen worden ..."

    Ein kritischer Artikel über das NATO-Mannöver Fallex 62 unter der Überschrift "Bedingt abwehrbereit" hatte Verteidigungsminister Strauß und den Kanzler zu einer Nacht- und Nebel- Aktion veranlaßt, in die sich auch die Justiz namentlich die Bundesanwaltschaft hatte einspannen lassen.

    Den Autor der Spiegel-Geschichte, Konrad Ahlers, sowie den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein ließ man da wegen des Verdachts des Landesverrats zeitweilig in Untersuchungshaft setzen. Verteidigungsminister Strauß, der sich schon jahrelang über Spiegel-Enthüllungen zu seinem Geschäftsgebaren geärgert hatte, hat gar, wie sich später herausstellte, höchstpersönlich und unter Umgehung der Justiz für die Verhaftung von Konrad Ahlers in Spanien gesorgt. Der Kanzler kam in schweres Wasser in der historischen Fragestunde zur "Spiegel-Affäre" im Bundestag am 9. November 1962.

    Adenauer: "Nun meine Damen und Herren, wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande (Zuruf: Wer sagt das?) Ich sage das!"

    Auf Druck der empörten Öffentlichkeit und des Koalitionspartners FDP mußte Franz-Josef Strauss schließlich zurücktreten. Die Vorwürfe gegen Die Spiegel-Redakteure erwiesen sich als haltlos, der Bundesgerichtshof hat die Erhebung einer Anklage schließlich abgelehnt.

    Das Bundesverfassungsgericht, das diesen Anschlag auf die Pressefreiheit am Ende bewirken mußte, wies zwar mit Stimmenpatt die Verfassungsbeschwerde des Spiegel-Verlags zurück, doch sein Urteil kann als ein Manifest der Pressefreiheit gelesen werden.
    Der Verleger Rudolf Augstein, spätestens seit dieser Zeit eine legendäre Figur im deutschen Journalismus, zog damals folgende Bilanz:

    Rudolf Augstein: "Daß durch diese Entscheidung an das Gewissen der Ermittlungsorgane künftig andere Anforderungen gestellt werden."