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Der Klimawandel in Alaska
Wenn die Braunbären durchdrehen

Die Auswirkungen des Klimawandels seien in Alaska besonders deutlich zu erkennen, sagen Wissenschaftler. Weil es immer wärmer wird ist etwa der Lebensrhythmus der Braunbären massiv gestört. Sie erwachen viel früher aus dem Winterschlaf, haben Probleme, etwas Essbares zu finden und werden immer aggressiver. Eine Gefahr, die gerade Touristen immer noch unterschätzen.

Von Thilo Kößler | 08.11.2017
    Ein Braunbär läuft durch die herbstlichen Tundra im Denali Nationalpark in Alaska.
    Ein Braunbär läuft durch die herbstlichen Tundra im Denali Nationalpark in Alaska. (imago / blickwinkel / S. Meyers)
    Aufstieg zum Exit-Gletscher im Kenai-Nationalpark in Alaska: Alex geht voran. Er ist Bergführer, 21 Jahre alt, durchtrainiert und vernarrt in diese Landschaft aus Bergen und Gletschern, Eis und Schnee. Alex hat alles im Rucksack dabei, was man hier oben braucht: Steigeisen für das Eis, Helm für den Fels. Das Wichtigste aber, sagt er, trägt er an einem Karabinerhaken in der Gürtelschlaufe – immer griffbereit und sofort einsetzbar. Ein große Dose Pfefferspray.
    Wenn es im Unterholz knackt, bleibt Alex sofort stehen und hat seine rechte Hand schon an der Spraydose: Hier, in dieser Gegend, wurde unlängst ein Wanderer von einem Braunbären hinterrücks angefallen und im Handumdrehen getötet, erzählt Alex. Die Braunbären sind verdammt gefährlich geworden hier, sagt er.
    "So we saw a brown bear, it was about half a mile from where we´re looking right now, into that avalanche chut."
    Touristen unterschätzen das Risiko immer noch
    Alex deutet hinüber auf die Steinrinne, die Lawinen in einen Hang auf der anderen Seite der Schlucht gerissen haben. Ein richtig ausgewachsenes Tier sei da entlanggelaufen, über zwei Meter groß und sehr, sehr kräftig, wie die meisten Braunbären hier. Längst sind die Ranger und Führer in diesem Nationalpark darauf vorbereitet, jederzeit auf Bären zu treffen. Die Touristen unterschätzen das Risiko immer noch. Deshalb warnen mittlerweile große Hinweisschilder vor den Tieren - sie sind hier draußen zu einer echten Gefahr geworden.
    "Bei einer Begegnung mit einem Schwarzbären sollte man sich einen festen Stand suchen und klarstellen, dass man ihn gesehen hat. Das Tier unter keinen Umständen erschrecken! Nur deutlich machen: Ich habe Dich gesehen. Sprich ihn an - langsam, nicht hektisch! Wenn er aggressiv wird, hilft nichts anderes mehr, als zu versuchen, ihm mit den Trekking-Stöcken fernzuhalten. Und am Ende bleibt nur noch der Einsatz von Pfefferspray."
    Am besten tot stellen
    Das sind die Verhaltensregeln für die Begegnung mit einem Schwarzbären. Sie sind sehr viel kleiner als die Braunbären – und bei Weitem nicht so gefährlich. Deshalb heißt es auf den Warnschildern: "Wenn sie von einem Braunbären aufgebracht werden, stellen sie sich am besten tot". "Wenn er sie fressen möchte, wird es Zeit, um ihr Leben zu kämpfen". Alex sagt: Das sollte sich wirklich jeder einprägen, der hier draußen unterwegs ist.
    "If they do start to eat you then that's the right point to fight back."
    Wie gefährlich Braunbären sind, weiß auch Rick Brown. Er gilt als der erfahrenste Führer in der Wildnis von Alaska und beobachtet als Chef eines Outdoor-Unternehmens die Folgen des Klimawandels. Und zwar nicht nur auf den rapide schmelzenden Gletschern, sondern auch in der Wildnis. Die Zahl der Braunbär-Attacken auf Menschen sei deutlich gestiegen, sagt Rick Brown auf der Terrasse eines Lokals zu Füßen des Exit-Gletschers.
    "Wir hatten Leute, die regelrecht von Braunbären verfolgt wurden, beim Joggen, beim Laufen, beim Fahrradfahren. Die Bären haben sie buchstäblich von den Rädern gerissen, sie gejagt, ihnen aufgelauert."
    Verhaltensstörungen durch Klimawandel?
    Rick Brown spricht von einer ernsten Verhaltensstörung der Tiere, für die es nur einen Grund geben kann: den Klimawandel.
    "The bears normally hibernate."
    Die Bären überwintern normalerweise – aber ihr Winterschlaf wird jetzt durch die immer höheren Temperaturen gestört. Sie wachen viel früher auf als üblich und finden dann nichts zu essen, weil die Natur noch nicht so weit ist.
    "We see that they are coming out of their dens earlier. But the plant life is not on the same cycle."
    Das macht die Tiere immer aggressiver, sagt Rick Brown. Der gefährlichste Bär ist ein Bär im Frühling, der Hunger hat.
    "That´s the worst bear to run into – a malnutrition spring bear."
    Unter keinen Umständen auf Bären schießen
    Natürlich fragen sich auch Rick Brown und seine Führer, wie man in solchen Situationen am besten reagiert und sich vor den Bären schützen kann. Er hat mit Biologen gesprochen, Fallstudien gelesen, sich von Überlebenden berichten lassen und Statistiken verglichen: Wie die Leitung des Nationalparks ist er zu der Überzeugung gekommen, dass man unter keinen Umständen auf Bären schießen sollte. Das sei viel zu gefährlich!
    "Jemand, der auf einen Bären schießt und nicht gleich richtig trifft, wird sofort von dem Tier angegriffen: Der Bär ist verletzt, er rastet in seinem Schmerz aus, kann seinen Feind sehen, riechen und schmecken und geht auf ihn los. Und die Zeit reicht niemals aus, um das Gewehr noch einmal nachzuladen. Das geht meistens tödlich aus."
    Deshalb geben Rick und die Leute vom Nationalpark nur Pfefferspray an ihre Mitarbeiter aus – und schulen sie darin, damit richtig umzugehen.
    Das Bärenspray muss den Bären im Gesicht treffen
    "Mit dem Bärenspray haben wir es nicht mit einem Schuss zu tun, der tödlich sitzen muss. Wir müssen den Bären aber ins Gesicht treffen – mit einer oder mehreren Spray-Wolken, die zwar dem Bären gelten, aber auch uns selbst treffen können. Aber er sieht, riecht und schmeckt nichts mehr und kann nicht mehr richtig gefährlich werden."
    Rick hat das mit seinen Mitarbeitern, den Bergführern in seinem Outdoor-Unternehmen, immer und immer wieder geübt. Und trotzdem sei er stets in Sorge, wenn sie losziehen. Und wenn sie zurückkommen, fragt er immer zuerst: Habt ihr Bären gesehen?
    "Ich habe jetzt schon so lange damit zu tun. Und ich weiß, irgendwann passiert es einfach. Und dann kann ich nur hoffen, dass ich meine Mitarbeiter gut genug für diesen Fall trainiert habe. Ich möchte wirklich nicht, dass irgendjemand etwas zustößt."