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Der Kompromiss zwischen Deutschland und Frankreich in der europäischen Agrarpolitik

Gerner: Ich begrüße Jean-Claude Juncker, den Premierminister von Luxemburg, der auf dem EU-Gipfel in Brüssel gestern miterlebt hat, wie Deutsche und Franzosen den Kompromiss in der Agrarfrage ausgehandelt haben. Großes Aufatmen, Herr Juncker?

    Juncker: Guten Morgen. Ja, einigermaßen. Doch, es ist Aufatmen.

    Gerner: Ist das ein Kompromiss, den die 13 Übrigen mit Sicherheit und ohne wenn und aber heute absegnen werden?

    Juncker: Es ist absolut notwendig gewesen, dass Deutsche und Franzosen sich aufeinander zu bewegen. Das haben sie getan. Es wird jetzt Sache der Deutschen und der Franzosen sein, die Partner davon zu überzeugen, dass dies nicht nur ein Kompromiss ist, der Paris und Berlin zufrieden stellen kann, sondern in dem alle anderen auch ihre gebündelten Interessen und das Gemeinschaftsinteresse wiederfinden. Ich gehe davon aus, dass wir uns heute entlang der im deutsch-französischen Kompromiss entwickelten Grundlinien einigen werden. Ganz einfach wird das nicht, da bei dem gestrigen Gespräch zwischen den Regierungschefs doch deutlich wurde, dass es ein Land gibt, dem dieser Kompromiss in seinem Einspareffekt nicht weit genug geht, während andere Länder genaueres Zahlenmaterial brauchen, um sich entgültig festzulegen. Einfach wird das nicht, aber die wesentliche Hürde, das Aufeinanderzugehen von Deutschland und Frankreich, ist genommen.

    Gerner: Läuft es tatsächlich auf eine Senkung der Agrarbeiträge hinaus, wie Schröder das zum Ziel hatte. Er wollte ja Geld einsparen. Es ist eigentlich ein Einfrieren ab 2007 beschlossen worden. Hat Schröder da sein Ziel nicht ein wenig verfehlt?

    Juncker: Also, wenn man einen Kompromiss macht, dann wird sich nicht jeder hundertprozentig mit seinem Erwartungshorizont in Harmonie bewegen können. Tatsache ist, von 2004 bis 2006 inklusive wird es zu Direktzahlungen auch an die Landwirte in den Beitrittsstaaten kommen und Tatsache ist, dass, wenn es diesen Kompromiss nicht gibt, dann würde die Agrarrechnung für die Jahre 2007 bis 2013 um etwa 10 Milliarden Euro höher ausfallen. Insofern hat dieser Kompromiss deutliche Spareffekte im europäischen Haushalt ab 2007.

    Gerner: Herr Juncker, worauf müssen sich die Bauern in Europa denn jetzt einstellen, dass sie, salopp gesagt, bluten, oder sind das nur geringfügige Abstriche?

    Juncker: Wenn ich mir ansehe, dass der Einspareffekt circa 10 Milliarden Euro in der Periode 2007 bis 2013 zur Folge haben wird, dann wird es zu Einsparungseffekten kommen. Die werden aber für die betroffenen Landwirte, sowohl in Ost-, Mittel- als auch in Westeuropa relativ marginal ausfallen. Würde es nicht zu diesem Kompromiss kommen, würden die Agrarausgaben ausufern. Das ist der Punkt.

    Gerner: Das heißt, die Aufregung, etwa des deutschen Bauernpräsidenten, der gestern Abend beziehungsweise heute Morgen schon reagiert hat – Sündenböcke, Bauern als Kostenträger – ist ungerechtfertigt?

    Juncker: Man darf nicht übersehen, dass der Einspareffekt nicht nur im Agrarbereich kommen wird, sondern dass auch in anderen Teilbereichen europäischer Haushalte Einspareffekte erzielt werden müssen. Wir werden heute auch über die von der Kommission vorgeschlagenen Strukturfondshilfen reden müssen. Hier hat die Kommission 25,6 Milliarden vorgeschlagen.

    Gerner: Die Strukturfonds sollen ja wesentlich restriktiver bedacht werden. Heißt das, dass etwa gewisse Gebiete im Osten Deutschlands, die ja Fördergebiete für die Strukturförderung sind, jetzt kürzer treten müssen?

    Juncker: Nein, das heißt das nicht unbedingt. Diese 25,6 Milliarden, die vorgeschlagen worden sind, sind eigentlich Strukturhilfen für die Beitrittskandidaten. Wir gehen davon aus, dass die Abstraktionsmöglichkeiten der 10 neuen Staaten sich nicht auf Verpflichtigungsermächtigungen von über 25 Milliarden werden rechnen lassen, sondern dass der Mittelabschluss wesentlich geringer sein wird, sodass ich mir vorstellen könnte, dass, was die Verpflichtung anbelangt, wir uns heute auf eine Größenordnung von 23 Millionen Euro einigen können.

    Gerner: Herr Juncker, jetzt haben Sie zwar untereinander einen Kompromiss zur Begrenzung ab 2007 der Agrarbudgetierung gefunden, aber die osteuropäischen Länder, konkret die Bauernlobby, ist dort weiterhin unzufrieden mit den 25 Prozent Direktbeihilfen, mit denen es dort für die Bauern starten soll. Kann diese Grundlage noch einmal geändert werden? Werden Sie diesem Prozess in Osteuropa Rechnung tragen?

    Juncker: Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir von dem initialen Kommissionsvorschlag, 25 Prozent Direktbeihilfen, im Jahr 2004 abweichen würden. Das würde alle Rechnungen über den Haufen werfen. Im übrigen ist hier anzufügen, dass man ja nicht nur eine haushaltliche Sicht der in Bewegung geratenen kontinentalen Dinge haben darf. Man muss hier sehen, dass man die einmalige Chance hat, den europäischen Kontinent in sich selbst zu vereinigen, europäische Geographie und europäische Geschichte wieder zusammen zu führen. Wir werden alle politischer Nettogewinn an dieser Erweiterung sein. Insofern ist die haushaltiche Sicht der Dinge immer eine verkürzte gewesen.

    Gerner: Herr Juncker, der Abend gestern war lang. Man merkt es an Ihrer Stimme. Heute wird es wahrscheinlich auch lang. Erlauben Sie mir zum Abschluss kurz eine Frage zur Geiselnahme. In Moskau - das ist ja auch Thema auf dem Gipfel gewesen – hatte die Ratspräsidentschaft, einer von Ihnen, Kontakt mit Präsident Putin. Was hat der Ihnen gesagt, wenn es so war?

    Juncker: Putin hat uns über die bedrohliche Lage informieren lassen und hat mich darum gebeten, Solidaritätsbekundungen aus Brüssel zu kriegen. Er hat sie auch gekriegt, und dies wird ihm sicherlich auch eine moralische Stütze in dieser außergewöhnlich schwierigen Phase für ihn sein.

    Gerner: Was erwarten Sie von Putin, beziehungsweise müssen die Westeuropäer nicht auch zur Tschetschenien-Politik jetzt etwas klarer Wort beziehen als in der Vergangenheit? Das Thema war ja nach dem 11.9. etwas unter den Tisch gekehrt worden.

    Juncker: Ich bin der Meinung, dass wir jetzt hoffen und beten müssen, dass die Geiselnahme in Moskau ein glückliches Ende nimmt. Ich glaube nicht, dass jetzt kurzfristig, dramatische Änderungen in der europäischen Tschetschenien-Politik vorgenommen werden müssten. Es gibt einen dramatischen Prioritätenkalender, und die absolute Priorität heißt, dass man die Geiseln, sowohl russische als auch nicht russische, schnellstmöglich und ungefährdet in Sicherheit und in Freiheit bringt.

    Gerner: Das heißt, ein Appell an Putin, keine Gewalt einzusetzen?

    Juncker: Ich halte wenig davon, aus einem ruhigen, Brüsseler Hotelzimmer derartige Urteile nach Moskau zu schicken. Putin wird wissen, was er machen muss, und jeder weiß, dass er sich in einer sehr ernsthaften Lage befindet und schwierigste Entscheidungen treffen muss. Putin ist ein besonnener Mann.

    Gerner: Jean Claude Juncker war das, Premierminister von Luxemburg zum EU-Gipfel. Ich wünsche Ihnen einen starken Kaffee und alles Gute für die Gespräche heute Abend.

    Link: Interview als RealAudio