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Der Künstler der Tafelrunde

Eat-Art ist sein Markenzeichen. Daniel Spoerri, der zur Künstlergruppe der Nouveaux Realistes gehörte, provozierte in den 60er- und 70er-Jahren mit Tischen, auf denen die Reste einer Mahlzeit fixiert waren, und dann als Bild in die Vertikale gekippt wurden.

Von Carmela Thiele | 27.03.2010
    "Brotteig, Hefeteig, Pizzateig, Brotteig, ganz frischer Teig, schon abgestandener Teig und so weiter, den beherrsche ich jetzt ein bisschen."

    Der Schweizer Künstler Daniel Spoerri war Ende der 1960er-Jahre mit "Eat-Art" bekannt geworden, einer Spielart des Nouveau Réalisme. Dazu gehörten groteske Objekte wie etwa hochhackige Damenschuhe, aus denen der darin gebackene Teig herausquoll, aber auch fantasievolle Diners, bei denen er die Speisen färbte. 1968 hatte Spoerri in Düsseldorf ein Restaurant eröffnet und wenig später darüber eine Galerie, in der Joseph Beuys Heringsgräten und Dieter Roth eine Büste aus Schokolade ausstellten. Was noch heute exzentrisch wirkt, war Teil einer Revision des damaligen Realismusbegriffs.

    "Die neuen Realisten betrachten die Welt als Gemälde, das große grundlegende Werk, dessen Fragmente, voll von umfassender Bedeutung, sie sich aneignen. Sie zeigen uns das Reale in den verschiedenen Aspekten seiner ausdrucksgeladenen Gesamtheit."

    Hieß es im 2. Manifest des Nouveau Réalisme von 1961. In Paris war Daniel Spoerri mit Arman, César und Yves Klein zusammengetroffen, Jean Tinguely war bereits ein alter Freund aus Züricher Zeiten. Was sie einte, war das "Abenteuer des wirklichen Sehens". Spoerris markantester Beitrag damals waren die "Fallenbilder", für die er nach einer Mahlzeit das Geschirr und die Speisereste auf eine Tischplatte klebte und in die Vertikale kippte.

    "Es geht um eine fixierte Situation, die so fixiert wird, wie sie gefunden wird, deswegen Falle, eine Falle einem Territorium stellen, das eben ein Tisch sein kann."

    Diese objekthaften Reliefs, die heute in den Museen der Kunst des 20. Jahrhunderts hängen, machen jedoch nur einen Teil eines ungeheuer variantenreichen Werks aus. Dazu gehört auch Spoerris Tätigkeit als Verleger, so gab er 1957 bis 1959 in Paris eine Zeitschrift mit dem lapidaren Titel "material" heraus und wenig später die Edition MAT, mit der er multiplizierbare Kunst zu erschwinglichen Preisen anbot. Auch sein Sprachwitz ist Teil seines Werks. Die erste Retrospektive 1971 im Stedelijk Museum nannte er "Hommage an Isaak Feinstein – Daniel, du Apfel, falle weit vom Stamm". Hinter diesem Wortspiel verbirgt sich ein Hinweis auf den Vater und auf die Biografie des Künstlers, der am 27. März 1930 in Rumänien als Daniel Isaac Feinstein geboren wurde:

    "Ich hatte ein sehr kompliziertes und schwieriges Verhältnis zu meinem Vater. Er selber war ein Konvertit, also ein Jude, der sich zum lutheranischen Protestantismus bekehrte in einem orthodoxen Land, nämlich in Rumänien und eine Schweizerin heiratete, die selber auch Methodistin war."

    Der Vater fiel 1942 einem Pogrom zum Opfer, die Mutter kehrte mit ihren sechs Kindern in ihr Heimatland zurück, so dass aus Daniel Spoerri ein "braver Schweizer" wurde, wie er selbst sagte. So brav dann aber doch wieder nicht. 1956 brachte er die erste deutschsprachige Fassung der "Kahlen Sängerin" von Eugène Ionesco in Bern auf die Bühne, wo er eigentlich am Stadttheater als Tänzer engagiert war. Das Absurde Theater mit seinem Sinn für die Inszenierung des Grotesken gehört zum Fundament des späteren Künstlers Daniel Spoerri. Noch in seinen großen "Sammlungen" der späten 70er- und 80er- Jahre wirkt diese Prägung fort. Im "Musée Sentimental de Cologne" etwa, eine Ausstellung, die er mit seinen Studenten der Kölner Fachhochschule 1979 im dortigen Kunstverein inszenierte, stellte er Stadtgeschichte anhand von skurrilen Fundstücken dar. Spoerri damals:

    "Das bedeutendste Objekt darin, scheinen mir diese Schuhe, an denen zwei Zentimeter Kamellendreck klebt. Der Mensch wächst mit der Kamelle in den Karneval."

    Heute lebt Daniel Spoerri in Wien, nach wie vor den Kopf voller neuer Ideen. In der Nähe von Krems richtete er im vergangenen Jahr eine Art Schaulager seiner Werke ein, und in der Toskana ist weiterhin sein Skulpturenpark mit Werken berühmter Freunde zu sehen.

    Weitere Informationen:

    www.spoerri.at

    www.danielspoerri.org