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Der lange Schatten von Agent Orange
Mit Bakterien gegen Dioxin

Tonnenweise versprühten die Amerikaner während des Vietnamkriegs das sogenannte Entlaubungsmittel Agent Orange. Es enthielt eine besonders giftige Variante von Dioxin, die bis heute die Böden und das Wasser belastet. Mit Bakterien versuchen vietnamesische Forscher nun, das Dioxin loszuwerden.

Von Gabi Schlag | 28.12.2016
    US-Flugzeuge versprühen während des Vietnamkriegs das "Entlaubungsmittel" Agent Orange. Es enthält Dioxin und ist verseucht bis heute die Böden in Vietnam.
    US-Flugzeuge versprühen während des Vietnamkriegs das "Entlaubungsmittel" Agent Orange. (imago/United Archives International)
    Zentralvietnam. Der ehemalige US-Militärflughafen A Luoi, 60 km westlich der Stadt Hue. Die Geografin Hoang Thi Binh Minh und der Mikrobiologe Huu Dat Ton nehmen Bodenproben auf der Suche nach Dioxinen.
    A Luoi ist einer von 30 Luftwaffenstützpunkten, von denen aus mehr als 35 Tonnen des "Entlaubungsmittels" Agent Orange über Vietnam versprüht wurde. Was die Amerikaner jedoch nicht bedachten: Agent Orange war herstellungsbedingt mit TCDD - dem giftigsten Vertreter der Dioxine - verunreinigt. Besonders betroffen: die ehemaligen US Luftwaffenstützpunkte. Hier wurde Agent Orange gelagert, Hubschrauber und Sprühflugzeuge befüllt, Reste entsorgt. Die Schätzungen der insgesamt in Vietnam freigesetzten Dioxinmengen reichen von 100 Kilogramm bis zu circa 400 Kilogramm. Heute gelten diese Flughäfen als Hotspots.
    "Hier am ehemaligen US-Stützpunkt ist eine besonders starke Belastung zu erwarten. Und das Gift wird nicht abgebaut. Durch Agent Orange wurden die Dioxin-Grenzwerte bis zum rund 360-fachen überschritten. Und jetzt wollen wir genau wissen, wie stark dieses Areal noch vergiftet ist."
    Immer noch erkranken Menschen
    Hier versickerte besonders viel Gift im Boden, verseuchte Fischteiche, gelangte ins Grundwasser und in Nahrungsketten. Auch heute noch – 40 Jahre nach dem Ende des Vietnamkrieges – erkranken Menschen an den Folgen der Dioxinbelastungen des Bodens, vor allem an schwerwiegenden Veränderungen des Erbguts.
    Im modern ausgestatteten Dioxinlabor von Hanoi werden die Bodenproben dann analysiert. Das Ergebnis aus A Luoi beweist es: Die Belastung mit Dioxin ist noch ebenso hoch wie zu Zeiten des Vietnamkriegs.
    40 Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs soll das endlich aufhören. Deshalb nehmen die Vietnamesischen Wissenschaftler das Problem nun selbst in die Hand. Ihre Lösung: Mit Bakterien gegen Dioxine! Seit geraumer Zeit beschäftigt sich eine Forschungsgruppe an der Vietnam Academy of Science and Technology in Hanoi mit biologischer Sanierung, das heißt, mit der Idee, Mikroorganismen in die verseuchten Böden einzubringen, die in der Lage sind, die Chlorkomponenten des hochgiftigen Dioxins abzubauen. Leiterin Professorin Dang Thi Cam Ha:
    "Diese Mikroben sind an den Hotspots bereits vorhanden. Zunächst sind das ganz normale Bodenbakterien. Wenn man sie dem Dioxin aussetzt, mutieren einige und können das Gift dann aufnehmen. Am Anfang gibt es nur sehr wenige dieser spezifischen Mikroben, aber dann vermehren sie sich in großer Vielfalt."
    Bakterien, die Dioxine abbauen
    Dass einige Mikroben in der Lage sind, umweltschädliche Substanzen abzubauen, ist bekannt. Dass sie im großen Maßstab gegen Dioxine einsetzbar sind, ist neu. Mikrobiologin Dr. Ute Lechner von der Universität Halle:
    "Dioxine sind eine ganz besondere Stoffgruppe. Die bestehen aus bis zu 210 Einzelverbindungen, haben ein bis acht Chloratome an ihrem Ringsystem und sie sind toxisch, sie sind schlecht wasserlöslich, also auch schlecht bioverfügbar, und deshalb hat man lange nicht geglaubt, dass da biologisch was passiert. Bis dann Anfang der 90er-Jahre das erste aerobe Bakterium isoliert wurde, was Dioxine, einzelne Verbindungen vollständig abbauen konnte. Das war schon ein Durchbruch."
    Professorin Dang Thi Cam Ha und ihr Team haben in langjährigen Labor- und Feldversuchen eine Methode entwickelt, das bakterielle Wachstum im Boden durch Zugabe bestimmter Nährsubstanzen so zu stimulieren, dass der Anteil jener Mikroben, die Dioxine abbauen können, beständig zunimmt. Die Dioxine werden vollständig gespalten und in Wasser, CO2 und ungiftige Chloride umgewandelt.
    Auch anaerobe Bakterien sollen helfen
    In Vietnam befinden sich allerdings große Mengen des Dioxins bereits so tief in der Erde, dass die aeroben Mikroben, also Mikroben, die in sauerstoffhaltiger Umgebung existieren, dort gar nicht mehr tätig werden können. Dr. Tran Hoa Duan vom Industrial College in Hue:
    "Das Problem ist, dass das Dioxin im Boden absinkt bis ins Grundwasser oder bis zur ersten Lehmschicht, wo es keinen Sauerstoff mehr gibt. Dort können aerobe Organismen nichts ausrichten, weil sie Sauerstoff brauchen. Das ist der Grund, warum ich mich auf die anaeroben Bakterien konzentriere."
    Denn anaerobe Bakterien kommen ohne Sauerstoff aus und sind in der Lage, Dioxin auch in diesen Tiefen im Erdboden zu vernichten. Solche Bakterien hat Dr. Tran in Zusammenarbeit mit Deutschen Wissenschaftlern vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Vietnam gezüchtet. Die Forscher konnten im Labor nachweisen, dass das Bakterium Dehalococcoides gerade die giftigste Dioxinvariante, das TCDD, besonders gut abbauen kann.
    Überlegungen zu anderen Einsatzmöglichkeiten
    "Die Behandlung von Dioxinen in Vietnam ist eigentlich einzigartig in der Welt, weil es noch nicht gezeigt wurde, dass man Dioxine durch Bakterien in situ am Standort eliminieren kann. Das Beispiel in Vietnam zeigt eines: Die Bakterien sind schon da, sie sind vor Ort, man kann sie also dann, in einem gesonderten Areal besonders behandeln, sodass die vorhandenen Bakterien zum Zuge kommen können."
    Nach Schätzung der Wissenschaftler dauert es ungefähr drei Jahre, bis der Boden dioxinfrei sein wird. Ob das Verfahren jedoch an anderen Orten auf der Welt zum Einsatz kommen kann, ist noch nicht geklärt, besonders bei Dioxinschadensfällen in der chemischen Industrie.
    "Ganz besonders schwierig ist es dann, wenn die Dioxine gebunden sind: an Ruß, an Mineralöle, und es kann noch hinzukommen, dass wir giftige Substanzen in diesem Milieu finden, wie Schwermetalle. Das ist nun wirklich bei jeder Situation unterschiedlich, und entsprechend muss man sich das Abbaupotenzial dieser verschiedenen kontaminierten Bereiche genau angucken, bevor man mit einer Sanierung anfängt."