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Der "Löwe" des deutschen Widerstandes

Zunächst galt Clemens August Graf von Galen den Nationalsozialisten als staatstreuer Kirchendiener. Doch er wandelte sich und wurde als lautstarker Streiter gegen das Regime weltberühmt. Am 22. März 1946 starb der Kardinal. Er zeigte, dass Widerstand möglich war, doch sein Beispiel wirft die unbequeme Frage auf, warum die meisten deutschen Bischöfe und Papst Pius XII. nicht auch ebenso lautstarken Protest wagten.

Von Anna Gann | 22.03.2006
    16. März 1946. In der fast völlig zerstörten Innenstadt von Münster hat sich eine riesige Menschenmenge versammelt. Sie bejubelt Bischof Clemens August Graf von Galen. Es ist soeben aus Rom zurückgekehrt, wo er von Papst Pius XII. den Kardinalspurpur erhalten hat.

    Zwischen 1936 und 1945 hatte sich Galen mehrfach öffentlich gegen die Nazis gewandt. Nun tritt der "Löwe von Münster", wie er genannt wird, vor die Menge. Spürbar bewegt richtet der Oldenburger von hühnenhafter Gestalt seine Worte an die Katholiken des Bistums Münster.

    "Eure Liebe und eure Treue haben auch das von mir fern gehalten, was vielleicht mein Verhängnis, aber vielleicht auch mein schönster Lohn gewesen wäre, dass ich die Marterkrone erhalten hätte. Eure Treue hat es verhindert… Dass ihr hinter mir standet, und dass die damaligen Machthaber wussten, dass Volk und Bischof in der Diözese Münster eine unzertrennliche Einheit waren."

    Von Galen, 1878 im katholisch geprägten Oldenburger Münsterland geboren, hatte sich erstmals 1936 im "Oldenburger Kreuzkampf" gegen die braunen Machthaber positioniert. Seither galt er als Landesverräter und Staatsfeind. In drei weltberühmten Predigten in Münster hatte er dann im Sommer 1941 die Nationalsozialisten angeklagt und dabei die Gestapo namentlich genannt. Die schärfste und schockierendste Ansprache war die dritte.

    Von der Kanzel herab gab er bekannt, dass er von der Ermordung und Einäscherung geistig Behinderter an einem abgelegenen Ort des Reiches erfahren und bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die Verbrechen erstattet hatte.

    "Es gibt heilige Gewissensverpflichtungen, die wir erfüllen müssen, koste es uns selbst das Leben: Nie, unter keinen Umständen, darf der Mensch, außerhalb des Krieges und der gerechten Notwehr, einen Unschuldigen töten. Hier handelt es sich um Menschen, unsere Mitmenschen, unsere Brüder und Schwestern."

    Die Predigten verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in ganz Deutschland bis an die Front und wurden überall in der Welt bekannt. Das deutsche Programm des britischen Senders BBC zum Beispiel meldete:

    "In der Anklage, die der Bischof von Münster, Graf Galen, gegen die Gestapo erhoben hat, ist gerade diese Politik besonders gebrandmarkt worden. Dieser Massenmord an hilflosen Geschöpfen ist eines der grauenvollsten Kapitel in den Annalen der Gestapo-Verbrechen."

    Nicht zuletzt wegen von Galens öffentlichem Protest ließ Hitler noch 1941 die so genannten Euthanasie-Programme abbrechen, in denen mehr als 80.000 Menschen ermordet worden sind. Seit dieser Zeit rechnete der Bischof mit seiner Verhaftung. Aber aus Angst vor einem Aufruhr im Bistum schreckte die Gestapo davor zurück.

    In der Bischofskonferenz dagegen sah sich von Galen weitgehend isoliert. Der damalige Vorsitzende, Kardinal Adolf Bertram, befand über sein Vorgehen:

    "Der Bischof von Münster ist ein Elefant im Porzellanladen."

    Vermutlich liegt hier auch ein Grund dafür, dass der Vatikan einige Jahrzehnte brauchte, von Galen selig zu sprechen. Denn kirchenpolitisch gesehen ist sein Beispiel von großer Brisanz. Der Spross einer katholischen Adelsfamilie hatte die Nazis zunächst als Retter des Vaterlandes begrüßt; gegen die Judenverfolgung trat er nicht öffentlich auf.

    Kritiker meinen deswegen, er eigne sich nicht als leuchtendes Vorbild. Jedoch: Der "Löwe von Münster" bezog dort Position, wo er den verbrecherischen Geist des Nazi-Regimes erkannte.

    Er zeigte, dass Widerstand – auch an einzelnen Stellen - möglich war und erfolgreich sein konnte. Umso mehr wirft sein Beispiel die unbequeme Frage auf, warum sich die meisten deutschen Bischöfe und Papst Pius XII. in vorsichtiger Leisetreterei übten, statt ebenso lautstarken Protest zu wagen.

    Kardinal von Galen starb am 22. März 1946 überraschend an einer schweren Erkrankung, nur sechs Tage nach seiner Rückkehr aus Rom. Auf seinem Grab im Dom zu Münster ist sein Wahlspruch zu lesen.

    "Weder durch Lob noch durch Furcht will ich mich von meinem Weg abbringen lassen."