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Der Lyriker Georg Trakl
Schwarz schwankt Gottes Himmel

Das Werk des österreichischen Lyrikers Georg Trakl ist durchzogen von christlichen Motiven. Doch diese stehen "auf schwankendem Boden", sagt der Theologe Karl-Josef Kuschel. Trakls Leben war geprägt von Krisen - seinen eigenen und auch der Krise des Christentums.

Von Burkhard Reinartz | 20.11.2019
Französische Soldaten klettern während der Schlacht um die ostfranzösische Stadt Verdun zu einem Angriff aus ihren Schützengräben (Archivfoto von 1916). Bei der Schlacht um Verdun sind von Februar bis Dezember 1916 rund 700.000 Menschen umgekommen. Ausgelöst durch die tödlichen Schüsse auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand durch serbische Nationalisten am 28. Juni 1914 in Sarajevo brach im August 1914 der große Krieg (später als 1. Weltkrieg bezeichnet) aus. Es kämpften die Mittelmächte, bestehend aus Deutschland, Österreich-Ungarn sowie später auch das Osmanische Reich (Türkei) und Bulgarien gegen die Tripelentente, bestehend aus Großbritannien, Frankreich und Russland sowie zahlreichen Bündnispartnern. Die traurige Bilanz des mit der Niederlage der Mittelmächte 1918 beendeten Weltkriegs: rund 8,5 Millionen Gefallene, über 21 Millionen Verwundete und fast 8 Millionen Kriegsgefangene und Vermisste.
"O mein Gott, welch ein Gericht ist über mich hereingebrochen", schrieb Georg Trakl im Angesicht des Ersten Weltkriegs (picture alliance / AFP)
Musik summt im Gehölz am Nachmittag.
Im Korn sich ernste Vogelscheuchen drehn.
Hollunderbüsche sacht am Weg verwehn;
Ein Haus zerflimmert wunderlich und vag,
Und manchmal schwebst du leicht und wunderbar.
"Und manchmal schwebst du leicht und wunderbar." Zeilen wie diese sind selten im Werk des österreichischen Dichters Georg Trakl. Wenig später, noch vor Beginn des Ersten Weltkrieges, wird er diese visionären Verse schreiben:
Menschheit vor Feuerschlünden aufgestellt,
Ein Trommelwirbel, dunkler Krieger Stirnen,
Schritte durch Blutnebel; schwarzes Eisen schellt,
Verzweiflung, Nacht in traurigen Gehirnen:
Hier Evas Schatten, Jagd und rotes Geld.
Gewölk, das Licht durchbricht, das Abendmahl.
Es wohnt in Brot und Wein ein sanftes Schweigen
Und jene sind versammelt zwölf an Zahl.
Nachts schrein im Schlaf sie unter Ölbaumzweigen;
Sankt Thomas taucht die Hand ins Wundenmal.
Karl-Josef Kuschel: "'Es wohnt in Brot und Wein ein sanftes Schweigen'. Das wunderbare Bild wird noch ergänzt durch das Bild der zwölf Apostel. Dann nimmt er es wieder zurück und beschwört die Gethsemane-Szene, in der die Jünger Nachtwache halten: 'Sankt Thomas taucht die Hand ins Wundenmal'. Das ist ja der Zweifler-Apostel, der nicht daran glaubt, dass Jesus auferstanden ist. Und das scheint mir so eine Art Identifikation mit ihm selbst zu sein: Er ist Sankt Thomas, der Dichter dieses Gedichtes, der die Hand ins Wundenmal legt, weil er nicht an die Auferstehung, an die Präsenz des Auferstandenen glauben kann", sagt der Tübinger Theologe und Literaturkenner Karl-Josef Kuschel:
"Bei Trakl haben wir immer die Beschwörung christlicher Symbolik auf der einen Seite und gleichzeitig die Zurücknahme. Immer wenn man bei ihm zugreifen will, entzieht er sich uns. Immer, wenn man glaubt: Ach ja, das ist ja ein Hoffnungsbild, dann konterkariert er noch einmal alles, nimmt es wieder zurück. Und insofern sind wir bei Trakl immer auf schwankendem Boden, aber die Welt, in der er lebte, war eine Welt des schwankenden Bodens."
"Meine Nerven sind zum Zerreißen"
Georg Trakl wird am dritten Februar 1887 in Salzburg geboren, als fünftes von sieben Kindern des Eisenhändlers Tobias Trakl und seiner Frau Maria Catharina. Die Mutter ist drogenabhängig und kann den Kindern keine emotionale Wärme bieten. Trakl nennt sie später "nervenkrank" und "Opiumesserin". Die Hauslehrerin Marie Boring macht ihn mit französischer Literatur bekannt. Arthur Rimbaud und Charles Baudelaire werden sein Werk später prägen.
Paul Herwig als Georg Trakl in "Der Abschied", Schauspieler mit Glatze, hellem aufgerissenen Hemd und grauer Hose auf einer dunklen Bühne
Paul Herwig als Georg Trakl in "Der Abschied" im Jahr 2014 bei den Salzburger Festspielen (dpa/picture alliance/Barbara Gindl)
Nachdem er zweimal sitzen geblieben ist, muss der Junge das Gymnasium verlassen und beginnt eine Lehre in der Apotheke "Zum weißen Engel". Er schreibt zwei erfolglose Einakter. Der junge Mann versucht, die daraus folgende Krise mit Drogen zu betäuben, die er sich durch die Arbeit in der Apotheke leicht besorgen kann:
"Seit acht Tagen bin ich krank - in verzweifelter Stimmung. Um über die nachträgliche Spannung hinwegzukommen, habe ich leider wieder meine Zuflucht zum Chloroform genommen. Die Wirkung war furchtbar - meine Nerven sind zum Zerreißen."
Getrost ihr dunklen Gifte
Erzeugend weißen Schlaf!
Einen höchst seltsamen Garten
Dämmernder Bäume
Erfüllt von Schlangen, Nachtfaltern,
Fledermäusen;
Fremdling dein verlorener Schatten
Schwankt, bittere Trübsal
Im Abendrot!
Uralt einsame Wasser
versanken im Sand.
Weiße Hirsche am Nachtsaum
Sterne vielleicht ?!
"Ein permanentes Schuldgefühl"
Die schwierige familiäre Konstellation wird verstärkt durch Trakls inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester Grete, die wie ihr Bruder drogenabhängig ist. Die geheime Beziehung der beiden durchzieht in sechzig Gedichten das gesamte lyrische Werk. Die daraus resultierende Qual vergleicht Trakl mit der Passion Christi.
Kuschel: "Wir wissen das, weil es ergreifende Gedichte gibt, zum Beispiel ein Gedicht 'Blutschuld', in denen er einerseits die Abhängigkeit beschreibt, also das nicht voneinander loskommen, das gleichzeitig abgründige Schuldgefühle erzeugt. Das Wissen um die Sündhaftigkeit dieser Beziehung - verbiss sich sozusagen in ein permanentes, sich immer wieder erneuerndes Schuldgefühl, weil die sexuelle Triebhaftigkeit ja nicht einfach eingestellt werden konnte. Da gibt es eben Gedichte, wo er flehentliche Rufe, sozusagen Anrufe an Maria sogar verwendet: Vergib uns unsere Schuld!"
Es dräut die Nacht am Lager unsrer Küsse.
Es flüstert wo: Wer nimmt von euch die Schuld?
Noch bebend von verruchter Wollust Süße
Wir beten: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!
"Eine Spottgestalt aus Kot und Fäulnis"
Trakl nennt sich schuldbewusst "eine Spottgestalt aus Kot und Fäulnis". Begriffe, die ähnlich wie "Zerfall" und "Verwesung" sein Werk durchziehen. Alles scheint er extrem intensiv zu erleben: das Schöne, das Hässliche, den Überdruss, die Langeweile. Karl-Josef Kuschel, ehemals Professor für Theologie des interreligiösen Dialogs an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, hat sich intensiv mit Leben und Werk Trakls auseinander gesetzt. Er betont, wie wichtig es sei, den Dichter angesichts seiner Extreme nicht zu pathologisieren:
"Zweifellos ist dies ein Charakteristikum für ihn, dass sich in seinen Verstörungen, in seinen Krankheitsausbrüchen, auch in seinen Depressionen ja nicht nur ein individuelles Schicksal abbildet, sondern eben auch der Wahnsinn der Zeit. … Es gibt ja die Gefahr, dass man seine schwer greifbaren Texte gewissermaßen als krankhafte Störung interpretiert. Das wäre ganz falsch. Denn das, was in diesen Texten zum Ausdruck kommt, gerade auch in ihrer Widerständigkeit, ist Reaktion auf eine Zeit, die aus den Fugen geraten ist und die eben nicht mehr abbildbar ist in schönen Versen, in glatten Reimen et cetera."
Trakl gehört zu einer Generation von Künstlern, die in der Wendezeit gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zur Welt kamen.
Kuschel: "Es regierte noch der Kaiser, und die gewaltigen industriellen Umbrüche etwa einer Massengroßstadt wie Wien führten auch zu einem Massenelend, zu einer Ausbeutung der in die Städte eingewanderten landwirtschaftlichen Bevölkerung. Er bekam hautnah mit, was eben auch an Schattenseiten von Industrialisierung und Modernisierung, Technisierung des Lebens zu registrieren war. 2.12 Ja, er hatte wohl beides: eine ungeheure Dünnhäutigkeit für die Bedrohungssituation der Zeit und gleichzeitig die Sprachpotenz, die Sprachkraft, das alles in ein unverwechselbares lyrisches Werk zu bringen."
Ich sah viel Städte als Flammenraub
Und Greuel auf Greuel häufen die Zeiten,
Und sah viel Völker verwesen zu Staub,
Und alles in Vergessenheit gleiten.
Ich sah die Götter stürzen zur Nacht,
Die heiligsten Harfen ohnmächtig zerschellen,
Und aus Verwesung neu entfacht,
Ein neues Leben zum Tage schwellen.
"Es wird alles im Dunklen enden"
In manchen Lebensphasen versinkt Trakl in Agonie, in anderen schreibt er wie im Rausch Gedichte. Nie gelingt es ihm, seinen Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten. Er bettelt bei Freunden um Geld. Geld, das er sofort wieder in Drogen umsetzt. Ohne die finanzielle Unterstützung seines Förderers Ludwig von Ficker hätte er nicht überleben können:
"Ich habe jetzt zwei Tage und zwei Nächte geschlafen und heute noch eine recht arge Veronalvergiftung. In meiner Wirrnis und all der Verzweiflung der letzten Zeit weiß ich nun gar nicht mehr, wie ich noch leben soll. Es wird alles im Dunklen enden."
Ab 1909 finden die Gedichte des jungen Mannes zur literarischen Reife. Trakl publiziert in der "Wienerischen Tageszeitung". Er lebt in materielle Not, doch seine Gedichte werden regelmäßig in der renommierten Kulturzeitschrift "Der Brenner" veröffentlicht. Der Schreibrausch jenseits chemischer Drogen wird zu seinem wichtigsten Lebenselixier:
"Welch eine Entzückung einen dahin rafft, wenn alles, was sich einem jahrlang zugedrängt hatte, und was qualvoll nach einer Erlösung verlangte, so plötzlich und einem unerwartet ans Licht stürmt, frei geworden, frei machend."
"Der Schatten Nietzsches"
Trakls Werk ist geprägt von einer fast franziskanischen Demut gegenüber den Dingen und der Natur. Im Laufe seines kurzen Lebens rücken andere Themen in den Vordergrund: Schwermut, Tod, der apokalyptische Zerfall der Welt - und ab 1912 sein Ringen mit Gott und der christlichen Religion.
Vom Schatten eines Hauchs geboren
Wir wandeln in Verlassenheit
Und sind im Ewigen verloren,
Gleich Opfern unwissend, wozu sie geweiht.
Wir sind die Wandrer ohne Ziele,
Die Wolken, die der Wind verweht,
Die Blumen, zitternd in Todeskühle,
Die warten, bis man sie niedermäht.
Laß treten mich in deinen Dom
Wie einst, ein Tor, einfältig, fromm,
Und stumm anbetend vor dir stehn.
Du bist in tiefer Mitternacht
Der Himmel, in dem du als Stern geglüht,
Ein Himmel, aus dem kein Gott mehr blüht.
Du bist in tiefer Mitternacht.
Kuschel: "Man stand ja noch in einem Dom und betete noch an. Und gleichzeitig wird der Himmel beschworen, in dem kein Gott mehr blüht. Das ist der Schatten Nietzsches, der auf dieser Zeit liegt, der Schatten des Philosophen, der die Parabel vom Tode Gottes erfunden hat....In dieser Atmosphäre schreibt auch Georg Trakl."
"Der Platz vor der Kirche ist finster und schweigsam"
Die religiöse Grunderfahrung Trakls liegt in der Abwesenheit Gottes - was keineswegs bedeutet, dass Gott für ihn nicht existiert. Gott sei da, nur wäre der Kontakt zwischen ihm und den Menschen abgebrochen. Das alte Band sei zerschnitten. Gott hätte sich ins Schweigen zurückgezogen.
Ein Schatten bin ich fernen finsteren Dörfern.
Gottes Schweigen
Trank ich aus dem Brunnen des Hains.
Auf meine Stirne tritt kaltes Metall.
Spinnen suchen mein Herz.
Es ist ein Licht, das meinen Mund erlöscht.
Nachts fand ich mich auf einer Heide,
Starrend von Unrat und Staub der Sterne.
Im Haselgebüsch
Klangen wieder kristallne Engel.
Im Werk Trakls, des Salzburger Bürgersohns, protestantisch getauft, ist oft von Christus die Rede, von Gott und seinen Boten, den Engeln, aber von einem stummen Gott, der den gepeinigten Menschen keine Erlösung mehr bringen kann:
"Für mich ist die Bibel als göttliche Offenbarung heilig."
Nordfriedhof in Wiesbaden: Eine Engelsfigur zeigt mit einem Finger Richtung Himmel.
"Aus grauen Zimmern treten Engel mit kotgefleckten Flügeln", dichtete Georg Trakl (imago/Michael Schick)
Kuschel: "Das ist wohl so, dass er die Bibel als Offenbarungsbuch gelten lässt. Das ist das eine. Nur die Übernahme der biblischen Botschaft in sein Werk ist etwas völlig anderes. Das geschieht eben nur in der Gebrochenheit, in der Beschwörung und gleichzeitig im Entzug, weil er an diese Art von Erlösungsfähigkeit, an Lösungskraft nicht mehr glauben konnte angesichts des Lebens, das er gelebt hat und angesichts der Zeit, in der er gelebt hat."
Aus grauen Zimmern treten Engel mit kotgefleckten Flügeln.
Würmer tropfen von ihren vergilbten Lidern.
Der Platz vor der Kirche ist finster und schweigsam, wie in
den Tagen der Kindheit.
Kuschel: "Nein, das ist nicht Blasphemie ...Nein, hier ist das Bild von den Kot befleckten Engeln wiederum Ausdruck dafür, dass es eine heile Welt der Religionen nicht mehr geben kann...Die Kot gefleckten Flügel der Engel bedeuten: Diese Engel können nicht mehr fliegen, weil sie gewissermaßen zu sehr vom Dreck beeinflusst sind, vom Dreck der Welt, einem Dreck, den wir ja sozusagen durch die Zeitumstände auf sie werfen."
"Die tote Kirche"
Es gibt wohl kaum ein Gedicht, das mit solcher Schärfe leere Rituale geißelt wie "Die tote Kirche". Das Gedicht entstand 1909, wurde aber erst posthum veröffentlicht.
Auf dunklen Bänken sitzen sie gedrängt
Und heben die erloschnen Blicke auf
Zum Kreuz. Die Lichter schimmern wie verhängt,
Und trüb und wie verhängt das Wundenhaupt.
Der Weihrauch steigt aus güldenem Gefäß
Zur Höhe auf, hinsterbender Gesang
Verhaucht, und ungewiß und süß verdämmert
Wie heimgesucht der Raum. Der Priester schreitet
Vor den Altar; doch übt mit müdem Geist er
Die frommen Bräuche - ein jämmerlicher Spieler,
Vor schlechten Betern mit erstarrten Herzen,
In seelenlosem Spiel mit Brot und Wein.
Die Glocke klingt! Die Lichter flackern trüber -
Und bleicher, wie verhängt das Wundenhaupt!
Die Orgel rauscht! In toten Herzen schauert
Erinnerung auf! Ein blutend Schmerzensantlitz
Hüllt sich in Dunkelheit und die Verzweiflung
Starrt ihm aus vielen Augen nach ins Leere.
Und eine, die wie aller Stimmen klang,
Schluchzt auf - indes das Grauen wuchs im Raum,
Das Todesgrauen wuchs: Erbarme dich unser -
Herr!
Kuschel: "Kirchen gibt es noch, aber dieses Gedicht schreibt gewissermaßen eine Vision einer Kirche, die leer geworden ist, in der sich Menschen wie Gespenster bewegen, in der die Rituale zwar noch funktionieren, aber ins Leere laufen buchstäblich. 22.22 Gleichzeitig aber der letzte Vers: "Das Todesgrauen wuchs" und dann: "Erbarme dich unser - Herr!" 23.00 Das finde ich bei Trakl immer so ergreifend geradezu, weil man ja spürt, dass er die Negativität, die Düsterheit, das Dunkel nicht um ihrer selbst willen beschreibt, sondern als existenzielle Erfahrung und gleichzeitig eine Sehnsucht nach Befreiung artikuliert, an die er selber gar nicht mehr glauben kann."
"Ich weiß nicht mehr ein noch aus"
Der Dichter lebt im Ausklang der zerbrechenden christlichen Weltordnung. Religion versteht er nicht mehr als festes Glaubenssystem - eher als ein ins Dunkel geworfenes geistiges Licht, das den Menschen im besten Fall durch quälende Lebenstage führen kann. Ein Licht, das für ihn 1914 mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges ganz erlischt. Georg Trakl wird als Sanitäter der Innsbrucker Sanitätskolonne zugeteilt. Das Elend im Feldspital zehrt an seinen Nerven. Am Ende der Schlacht von Grodek muss er neunzig Schwerstverwundete betreuen.
Er versucht, sich zu erschießen. Trakl wird zur psychiatrischen Beobachtung nach Krakau abkommandiert. Dort entsteht sein letztes Gedicht "Grodek", in dem er versucht, die traumatischen Kriegserlebnisse zu verarbeiten.
An seinen Förderer Ludwig von Ficker schreibt er:
"Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Es ist ein so namenloses Unglück, wenn einem die Welt entzwei bricht. O mein Gott, welch ein Gericht ist über mich hereingebrochen. Sagen Sie mir, dass ich die Kraft haben muss, noch zu leben und das Wahre zu tun. Sagen Sie mir, dass ich nicht irre bin. Es ist steinernes Dunkel hereingebrochen. O mein Freund, wie klein und unglücklich bin ich geworden."
"Oft ist ein guter Tod der beste Lebenslauf"
Im Gutachten der Krakauer Psychatrie heißt es: "Getrunken hat er nicht, aber sehr viel Cocain zu sich genommen. Außerdem hört er sehr viel Glockengeläute."
Am 3. November 1914 stirbt Georg Trakl um 21.00 Uhr im Alter von siebenundzwanzig Jahren. Ob der Tod als Folge einer Überdosis eintritt oder durch Suizid, bleibt unklar. Trakls letzte Lektüre waren Verse des schlesischen Barockdichters Johann Christian Günther. Dessen Gedicht "Bußgedanken" endet mit einer Zeile, die auch auf Georg Trakl zutreffen könnte: "Oft ist ein guter Tod der beste Lebenslauf".
Kuschel: "Merkwürdig, ich denke oft darüber nach: Hat er nicht zuvor in vielen Jahren als junger Mann schon den kleinen Tod erlebt durch die Drogen-Experimente, durch die Depressionen, also eine Kette sozusagen fast von Todessehnsüchtigkeit, die dann auf eine unfreiwillige Weise in den Grauen des Ersten Weltkrieges an der Ostfront in Galizien beendet wurde?"
Zu wenig Liebe, zu wenig Gerechtigkeit und Erbarmen, und immer zu wenig Liebe.
Allzu viel Härte, Hochmut und allerlei Verbrechertum. Das bin ich.
Gott, nur einen kleinen Funken reiner Freude - und man wäre gerettet.
Liebe, und man wäre erlöst.