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Der Maler der Deformation

Seine Bilder hängen in allen großen Museen, auf Auktionen erreichen sie Rekordsummen: Francis Bacon gilt als einer der wichtigsten Maler seit 1945 - auch, wenn manche Kritiker in seinen deformierten Darstellungen Monstergestalten erkennen wollen und sie als brutal brandmarken.

Von Anette Schneider | 28.10.2009
    "Rot; drei Leinwände rot. Blutrot die obere Bildhälfte, orangerot die untere.”"

    Drei Studien zu einer Kreuzigung, ein Triptychon, entstanden 1962. Jedes Bild misst knapp zweimal eineinhalb Meter. Auf der linken Tafel:

    ""Zwei schemenhafte Männerfiguren. Im Vordergrund geschlachtete Tierhälften.”"

    Der Mittelteil:

    ""Ein eisernes Bettgestell mit Matratze und verrutschtem Laken. Darauf ein zerschlagener menschlicher Körper.”"

    Die rechte Tafel.

    ""Eine gewaltige ausgeweidete Tierhälfte: Rippen, Fleisch, Fett. Im Vordergrund der bedrohliche Schatten eines Menschen.”"

    Als das Triptychon 1962 in der ersten Bacon-Retrospektive in London gezeigt wurde, reagierten Kritiker und Öffentlichkeit schockiert. So titelte die "Daily Mail”:

    ""Es ist die schrecklichste Ausstellung, die Großbritannien je erlebt hat! Wer zimperlich ist oder angst vor Albträumen hat, sollte nicht hingehen!”"

    Auf die immer wiederkehrenden Vorwürfe, seine Bilder seien so brutal, reagierte Bacon stets mit dem Hinweis, er würde das Leben nicht brutaler zeigen, als es ist. Das, so der Maler in einem BBC-Interview, sei gar nicht möglich.

    ""I don't make life more extraordinary than it is. Just look what life is like. Just think about it for a moment. Would you say that my things have exaggerated what happens all over the world or to you or here? I certainly never been or try to make it more violent than it is. One couldn't.”"

    Anfang der 1970er-Jahre erklärten Kritiker Francis Bacon zum wichtigsten Maler seiner Zeit. Seitdem erreichen seine Bilder Rekordsummen. Doch sein Werk ist nach wie vor umstritten. Geboren am 28. Oktober 1909 in Dublin war Bacon gerade 16 Jahre alt, als sein Vater, ein Pferdezüchter, ihn aus dem Elternhaus warf. Er hatte entdeckt, dass sein Sohn homosexuell war. Bacon ging nach London, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und reiste nach Berlin und Paris, wo er die Malerei entdeckte. Kurz vor seinem Tod, im Jahr 1992, blickte Bacon auf diese Zeit zurück. In einem BBC-Interview erklärte er:

    ""Ich erlebte den Ersten Weltkrieg und all die Dinge, die zwischen ihm, der Russischen Revolution und dem Zweiten Weltkrieg geschahen. Wenn man so will: eine von chaotischen Verhältnissen geprägte Zeit. Und ich denke, das beeinflusst die eigene Wahrnehmung der Dinge.”"

    Der lebenshungrige Künstler, der nie eine Akademie besuchte, und den ein Kritiker bezeichnete als ...

    ""Maler von Homosexualität, Sadismus und Erbrochenem!”"

    ... dieser Künstler rang zeitlebens um Möglichkeiten, von Wirklichkeit zu erzählen, doch nicht abbildhaft oder illustrativ. Das, so betonte Bacon, könnten Fotografie und Film besser.

    ""Was will man da als Künstler anderes machen, als zum anderen Extrem zu gelangen, wo man Wirklichkeit nicht als simple Tatsache aufzeichnet, sondern auf vielen Ebenen. Wo man Empfindungszonen erschließen kann, die zu einem tieferen Gefühl für die Wirklichkeit des Bildes führen, wo man versucht, eine Konstruktion zu finden, durch die das Wesentliche roh und lebendig eingefangen wird und so bleibt und schließlich, man kann sagen, versteinert - da ist es.”"

    ""Auf den glattem ein- und zweifarbigen Hintergründen: einsame schmerzhaft verdrehte und verrenkte Körper. Verzerrte, deformierte Gesichter. Gemalt in heftig-bewegtem Farbauftrag, der das Innerste nach Außen zu heben scheint."

    Auf die blutigen Triptychen der 60er-Jahre, große Gleichnisse eines gewalttätigen 20. Jahrhunderts, folgten in den 70er- und 80er-Jahren Porträts und Triptychen von Freunden. Durch Bacons unverwechselbare Methode der Deformation und Isolation seiner Figuren werden auch diese Bilder zu Chiffren. Exemplarisch erzählen sie von unserem Dasein: von der Zurückgeworfenheit auf uns selbst, von Unsicherheit und Angst, von Verhältnissen, die uns einengen und deformieren. Sie sind Blicke in einen Spiegel, vor denen viele zurückschrecken.

    ""Ich denke manchmal, wenn Leute sagen, mein Werk wirke gewalttätig, könnte es mir vielleicht gelungen sein, ab und zu einen oder zwei der Schleier oder Schutzschirme wegzunehmen. Denn wenn man jemandem etwas ganz unverblümt sagt, ist er manchmal beleidigt, auch wenn es tatsächlich so ist. Leute neigen dazu, sich von Tatsachen beleidigt zu fühlen, von dem, was man gewöhnlich die Wahrheit nennt.”"
    Der britische Maler Francis Bacon in der Tate Gallery in London.
    Der britische Maler Francis Bacon. (AP Archiv)