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Der Maler und der Reichsführer-SS

Es gebe Indizien dafür, dass die Beziehung des Malers Emil Nolde zu den Führungskräften der NSDAP deutlich aktiver gewesen sei, als bislang bekannt, sagt James van Dyke. Der US-Kunsthistoriker weist Kontakte zwischen Nolde und Heinrich Himmler nach.

James van Dyke im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 23.05.2012
    Stefan Koldehoff: Über Emil Nolde und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus ist in den vergangenen Jahren viel geforscht und publiziert worden. Über die Mitgliedschaft des Malers in der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig, die 1935 Teil der NSDAP wurde. Über seine Meinung, die "germanische Kunst" sei allen überlegen, seine antisemitische Einstellung – vor allem auch gegenüber jüdischen Kunsthändlern. Über seine Hoffnung, der Expressionismus könne unter den Nazis deutsche Staatskunst werden. Und über seine Ernüchterung, als 1937 auch mehr als tausend seiner Werke als "entartet" aus deutschen Museen entfernt wurden und er nicht mehr als Maler arbeiten durfte.
    Nach dem Krieg setzte sich die Ansicht durch, Nolde sei vor allem Opfer gewesen – und wegen seiner heimlich gemalten Aquarelle vielleicht sogar so etwas wie ein Gegner des Regimes. Nun veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Kunstchronik" der amerikanische Kunsthistoriker James van Dyke von der University of Missouri-Columbia Dokumente, die andere Schlüsse zulassen. Für uns ist er früh aufgestanden, und ich habe ihn gefragt, was das für Dokumente sind.

    James van Dyke: Das Dokument ist ein Brief von Nolde an seinen Freund und Sammler Hans Fehr, der Rechtsanwalt oder Jurist, der im November 1933 geschrieben worden ist. Der Brief ist ein Teil oder gehört zu einer breiten Korrespondenz zwischen Nolde und Fehr, die heute im Getty-Institut gelagert ist.

    Koldehoff: Und was konkret sagt er nun in diesem Brief aus, vor allen Dingen im Hinblick auf sein Verhältnis zum Nationalsozialismus und zu führenden Nationalsozialisten?

    van Dyke: In dem Brief berichtet Nolde von einem Besuch in München im November ´33. Nolde ist dort hingefahren worden mit seiner Frau Ada, um an der Gedenkfeier für die Gefallenen der Bewegung teilzunehmen, auf Einladung von Heinrich Himmler. Er berichtet über die bewegende Stimmung dieser Feier und über seine Begeisterung für Hitler. Er berichtet über einen Umtrunk mit führenden Vertretern der SA und der rechtsgerichteten Kulturellen wie Heinz Jost. Dieser Bericht über diese Tatsache, diese Episode, deutet darauf hin, dass Noldes Beziehung zu Führungskräften der NSDAP Ende ´33 noch deutlicher, noch stärker, noch aktiver gewesen ist, als bislang schon in der Wissenschaft bekannt.

    Koldehoff: Also dass er einen großen Hang zum Nationalsozialismus hatte, dass er in einer Unterabteilung der NSDAP Mitglied gewesen ist, dass er sich antisemitisch geäußert hat, vor allem auch über jüdische Kunsthändler, das ist alles bekannt. Würden Sie sagen, dass die Dokumente im Getty Center eine neue Qualität haben?

    van Dyke: Die Dokumente im Getty Center werfen ein neues Licht, insofern als eine Beziehung zwischen Nolde und Himmler, wenn auch kurzfristig, bislang von niemand erwähnt worden ist, und ich finde, diese Beziehung, diese Tatsache, dass Himmler sich für Nolde interessiert hat, wenn auch nur kurzfristig, das ist schon bezeichnend und spannend. Das wirft ein noch intensiveres Licht, ein noch bezeichnenderes Licht auf Noldes Engagement für den Nationalsozialismus und auf seine Rezeption innerhalb des Nationalsozialismus.

    Koldehoff: Zu dem Zeitpunkt gab es noch Kräfte innerhalb der NSDAP, die Studentenbewegung beispielsweise, Goebbels auch, die versucht haben, den deutschen Expressionismus als "nordische Kunst", als eine Art Staatskunst zu etablieren. War das die Hoffnung, die Nolde auch hatte zu dem Zeitpunkt?

    van Dyke: Es sieht sicherlich so aus, allerdings, und das sieht man auch bestätigt in seinem Buch "Jahre der Kämpfe" von 1934, in dem er sich so beschreibt: als Anführer schon vor dem Ersten Weltkrieg von einer Kameradschaft von deutschen Künstlern, die sich gegen die Berliner Kunstszene gewehrt haben oder sich gebildet haben.

    Koldehoff: In den Ausgaben der dreibändigen Autobiografie von Nolde, die nach dem Krieg erschienen sind, da sind viele Stellen, die in diese Richtung deuten, zensiert worden – offenbar von Nolde selbst. Würden Sie sagen, dass in großen Teilen nach dem Krieg ein falsches Nolde-Bild entstanden ist, also die Rolle des Opfers, des Malers mit Arbeitsverbot? Hat man da vieles ausgeblendet, was auch zur Person Nolde gehört?

    van Dyke: Ja, das müsste man so sehen. Es ist auf jeden Fall nach dem Krieg ein mythisches, sehr selektives Bild von Nolde konstruiert worden, das Nolde vor allem als Opfer hingestellt hat. Dieses Bild ist natürlich nicht ganz falsch, Nolde ist zunehmend marginalisiert worden von den radikalen Anführern der NSDAP und seiner Kunstpolitik, also von daher muss man sagen, dass Nolde nie so einfach reingepasst hat in das kunstpolitische Gefüge. Aber das volle Bild ist auf jeden Fall verzerrt gewesen.

    Koldehoff: Also neue Erkenntnisse über Nolde und die Nazis – der US-Kunsthistoriker James van Dyke war das.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.