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Der Mann, der Hitler den Humor erklärte

Mit "Die Teilacher" gelang Michel Bergmann 2010 der literarische Durchbruch. Teilacher, das ist jüdisch für "Hausierer". Und auch im zweiten Teil des Erfolgsromans mit dem Titel "Machloikes" spielen die wieder eine wichtige Rolle. Unter anderem der Mann, der Hitler angeblich den Humor erklärte.

Von Hajo Steinert | 09.02.2012
    Michel Bergmanns neuer Roman spielt in den Jahren 1953/54. In "Machloikes" (jiddisch für "Zoff", "Zwist") setzt Bergmann unmittelbar an die erzählte Zeit des Vorgängerbuchs an. Wieder ist es ein Zeit- und Schelmenroman, reich an jüdischem Humor, filmisch erzählt, witzig, stark in den Dialogen, ein bis in die hintersten Ecken hinein effektvoll ausgeleuchtetes Alltags- und Sittengemälde über eine Zeit, da Cafés und Kinos wieder florierten, Trümmergrundstücke noch existierten, neue Mopeds über die Straßen knatterten, harte Kämme in Gesäßtaschen halbstarker Nietenhosen steckten und Herbert Zimmermanns Reportage aus Bern über die Weltmeisterschaft eines Landes, das gerade noch an allen Fronten besiegt wurde, aus dem Lautsprecher jubelte.

    Es ist ein vergnüglich zu lesender Roman über eine Zeit, in der man anfing, wieder jemand zu sein, auch wenn den agierenden Figuren bewusst ist, dass sie nach wie vor in diesem Land nicht wirklich willkommen sind.

    Aus den Teilachern sind inzwischen Teppichhändler geworden. Die halb- und vollseidenen Tricks beim Verkauf der Waren in einer windigen Gegend sind noch besser geworden. Der Roman spielt dort, wo heute Bordelle und Sexshops den Ton angeben, im Frankfurter Bahnhofsviertel. Michel Bergmanns Alter Ego, ein 15-jähriger Knabe namens Alfred, jobbt im Laden, um sich, der Traum aller Träume, ein Rennrad zu kaufen, um die angebetete Juliette auf die Stange zu heben. Und auch sie sind alle wieder da: David Bermann, der König der Teilacher, von Algerien zurück nach Frankfurt gekommen, sein Chef, der polnische Jude Max Holzmann, mit einer blonden Deutschen seit 1949 verheiratet, Emil Verständig, aus seinem Exil in Shanghai wieder zurück, und Jossel Faijnbrot, der von Oskar Schindler gerettet wurde.

    Und vor allem Robert Fränkel, die Berliner Stimmungskanone, ein begnadeter Witzerzähler, dessen Talent sich selbst in Zeiten totaler Großmaulerei entfaltet. Im Frühjahr 1944 wird Fränkel aus dem KZ Sachsenhausen geholt und in Heinz Frentzel umbenannt. Er soll, darf und muss dem in Sachen Humor eher unterbelichteten Führer Nachhilfeunterricht geben, damit er dem bekanntermaßen starken italienischen Witzerzähler Mussolini bei Gelegenheit Paroli bieten kann. Ein Jude soll Hitler das Witze erzählen beibringen – wenn das kein Einfall ist! Einen solchen erlauben kann sich nur ein Autor, dem jüdischer Humor eigen ist.

    Wie Fränkel, alias Frentzel, in ein Zimmer im Hotel Adlon zur weiteren Planung der Fortbildungsveranstaltung mit dem Führer bestellt wird, im geheimen Zimmer statt seiner einer schönen Schauspielerin aus Surinam, die wohl eine Geliebte des im Nebenzimmer mit Hitler telefonierenden Josef Goebbels sein muss, wie er dieser dunkeln Schönen ansichtig wird und in eine Plauderei mit ihr verwickelt wird, ist vielleicht die köstlichste Episode in einem mit köstlichen Szenen schier revueartig auftrumpfenden Roman. Dass Fränkel oder Frentzel, der sogar zum Obersalzberg hoch darf, am Ende den Führer nur knapp verpasst, oder besser: der ihn, den Witzeerzähler, ist eines der letzten gelüfteten Geheimnisse der deutschen Geschichte, die Michel Bergmann mit gehöriger Chuzpe in Szene setzt.

    Oder war dieser in den Akten der SS auftauchende Witzeerzähler Frentzel, der seine unglaubliche Geschichte 1953/54 einmal die Woche am Morgen einem CIA-Beamten beim Verhör näher erklären muss, doch ein Kollaborateur? Hat er, jetzt wieder Fränkel, die unerhörte Begebenheit im Adlon nur erfunden?

    Fränkels Freunde, die Teppichhändler, sind sich nicht sicher. Ein tolldreister, turbulenter, virtuos erzählter Schelmenroman über die abenteuerlichen Anfänge jüdischen Lebens in Deutschland nach dem Krieg. Sollte in den nächsten Tagen der Autor dieses Romans wie ein Teilacher an Ihrer Haustüre klingeln – lassen Sie ihn rein und erwerben Sie seine herrliche Ware ohne mit der Wimper zu zucken!

    Besprochen von Hajo Steiner.

    Bergmann, Michel: "Machloikes"
    Arche Verlag, 287 Seiten, 19,90 Euro.