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Der Mann, der Lance Armstrong dopte

Er war das Hirn hinter Lance Armstrong. In einem seiner seltenen Interviews brüstete sich Michele Ferrari damit, Armstrong das Treten in kleinen Kadenzen beigebracht zu haben. Das war das stilistische Markenzeichen des Amerikaners und einer der Gründe seines Erfolgs.

Von Tom Mustroph | 27.10.2012
    Mit Doping kann man reich werden. Als gedopter Sieger, wie Lance Armstrong. Dessen Vermögen schätzte die "New York Times" auf ca. 100 Millionen Dollar. Aber auch als Dopinganbieter kann man in den Kreis der Millionäre vorstoßen. Auf mehr als 30 Millionen Euro bezifferte jüngst die italienische Sportzeitung "Gazzetta dello Sport" das Geschäftsvolumen des Michele Ferrari. Doch jetzt könnte sich dessen Karriere dem Ende zuneigen.

    Ein anderer Grund war das Doping Made by Ferrari. Armstrong selbst hielt Ferrari für den Besten dieses Fachs. Wie abhängig er von ihm war, kann der Journalist Marco Bonarrigo belegen. Er verfolgt seit 17 Jahren Ferraris Aktivitäten hautnah. Er war schon 1995 bei einem Trainingslager Ferraris in Südafrika dabei und interviewte den Dottore vor wenigen Tagen.

    Ferrari weihte ihn auch in seine Anfänge mit Armstrong ein:

    "Im September 1995 begann alles mit einem Telefonat von Eddy Merckx. Merckx fordert ihn auf: Trainiere ihn, trainiere ihn, trainiere ihn! Und dann trainierte er ihn auch. Er war schon der Trainer seines Sohns Axel. Außerdem fuhr Armstrong auf Rädern von Merckx. So ist die Zusammenarbeit entstanden."

    Nach Armstrongs überstandener Krebserkrankung wurde Ferrari zum offiziellen Betreuer von US Postal. Er schrieb Trainings- und Medikationspläne für den Boss und dessen Helfer. Das ergab die Ermittlung der USADA. Armstrong schien sogar bis zum Ende seiner Karriere von Ferrari abhängig. So darf man jedenfalls folgendes Detail werten, auf das Ferrari-Kenner Bonarrigo stieß.

    "Als Armstrong 2010 zurückkam, betreute ihn Ferrari über seinen Sohn Stefano. Armstrong schickte in dieser Zeit acht, neun Mails täglich an Stefano. Stell dir vor, zu dieser Zeit war Armstrong längst eine Berühmtheit, ein Sportler, der wirklich alles wusste. Und es gibt da eine Mail, in der er bat: Stefano, bringe mich sofort in Verbindung mit Schumi"

    Schumi war der Spitzname Ferraris, den Armstrong dem Italiener zu einem Zeitpunkt verpasst hatte, als Michael Schuhmacher beim Rennstall Ferrari seine Runden drehte. "Schumi" ist ein Nummer 1-Spitzname, geprägt von der Nummer 1 der dopenden Sportler für die Nummer 1 der Doping-Gurus.

    500 Radprofis haben nach Schätzung von Bonarrigo die Dienste von Ferrari in Anspruch genommen. Das ist eine Dimension, die die 30 Millionen Euro Geschäftsvolumen wahrscheinlich werden lässt. Belegt sind Zahlungen von Lance Armstrong an eine von Ferrari kontrollierte Gesellschaft im Schweizer Neuchatel, u.a. 100.000 US Dollar am 5. Juni 2003, 75.000 US Dollar am 10. September und 300.000 Dollar am 6. Oktober des gleichen Jahres.

    Zahlreiche Ausgänge, mal 100.000 Schweizer Franken, mal 70.000, wurden hingegen für Michele Ferrari notiert.

    Die Unterlagen wurden von der Guardia di Finanza aus Padua sichergestellt. Seit dem Jahr 2010 ist sie hinter Ferrari her - mit einen innovativen Ansatz. Statt Doper mittels Telefon- und Kameraüberwachungen beim Doping selbst zu erwischen - und immer nur die kleinen Fische zu fangen -, konzentrierten sich die Ermittler auf die Geldströme. Anlass war eine Beobachtung über das Verhältnis von Doping- und Drogenmarkt. Giovanni Pipola, ein Polizeioffizier, der sich zuvor Meriten im Kampf gegen Drogen erwarb und dafür auch von der DEA ausgezeichnet wurde, erzählt:

    "Man kann sagen, dass in vielen Fällen die Welt des Dopings die Welt der Drogen an Gefährlichkeit und an Möglichkeiten, Reichtum zu erwerben, übertrifft. Ein Drogenabhängiger hat häufig ökonomische Probleme. Er ist ein schlechter Kunde. Beim Doping ist da anders. Dopingsubstanzen zu erwerben ist wichtig für den, der gewinnen will. Und der ist bereit, jede Summe auszugeben, um sein Ziel zu erreichen."

    Die Kontoauszüge von Ferraris Firmen sind ein Adressbuch der Gierigen. Armstrong-Helfer Jose Luis Rubiera ist mit einer Jahreszahlung von 15.000 Dollar verzeichnet. Der Kasache Alexander Winokurow hat 2006 in fünf Raten insgesamt 50.000 Euro überwiesen, sein Landsmann Andrej Kascheschkin in drei Raten 10.000 Euro.

    Dies deckt sich mit den Tarifen, die Ferrari selbst Bonarrigo verraten hat.

    "Ein eher unbedeutender Fahrer gab ihm circa 10.000 Euro, ein mittlerer zwischen 15 und 20.000 Euro. Er hat mir gesagt, dass er in den letzten zwei Jahren ungefähr 100 Athleten hatte, davon waren 30 Profisportler und 70 Amateure."
    Das ergibt Umsätze, bei denen WADA-Generalsekretär David Howman die Verzweiflung ankommen kann.

    "Wir bekommen gegenwärtig 29 Millionen Euro im Jahr. Wir müssen mit dieser im internationalen Maßstab unbedeutenden Summe auskommen. Aber wir versuchen unser Bestes."

    Ohne polizeiliche Ermittlungen ist aber selbst das Beste der WADA nicht gut genug. Zumal, wenn die Weltantidopingagentur einen Partner wie die UCI an der Seite hat. Alle Spatzen pfeifen die Doping-Saga des Michele Ferrari schon von den Dächern. Nur der zuständige Sportverband stellt sich taub. UCI-Pressesprecher Enrico Carpani sagt:

    "Wir haben dazu noch nichts erhalten. Deshalb geben wir keine Kommentare dazu ab."

    Ferrari selbst könnte am Ende sein. Marco Bonarrigo hat Ermüdungserscheinungen bei seinem Gesprächspartner ausgemacht. Ein Ende des Dopings im Radsport muss ein Ausstieg Ferraris aber nicht bedeuten.

    "Jetzt wird es sehr schwer für ihn weiterzuarbeiten. Wenn sie dich mit Ferrari finden, bist du am Ende. Aber ich weiß, dass es viele Fahrer gibt, die jetzt verzweifelt sind. Sie wissen einfach nicht, wie sie trainieren sollen."

    Bonarrigo kennt Fahrer, die auf der Suche nach Ärzten sind, um diese Lücke zu füllen. Stimmt seine Beobachtung, dann ist die Dopingmentalität noch stärker ausgeprägt, als man gemeinhin dachte. Fällt einer aus dem Dreieck von dopendem Sportler, zu Doping animierendem Betreuer und Experten, der am Knowhow verdient, aus, sind die verbleibenen zwei offenbar eher geneigt, Ersatz zu suchen, als sich vom Betrug zu verabschieden. Das wären traurige Aussichten.