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Der Mann mit der Samtstimme

Eine geheimnisvolle, melancholische Aura wurde dem britischen Schauspieler James Neville Mason gern attestiert. Sein außergewöhnliches Talent, seine Stimme und Leinwandpräsenz prädestinierten ihn für große Charakterrollen, wie den Humbert Humbert aus Vladimir Nabokovs "Lolita" oder den irischen Partisanen Carol Reeds in dem Film "Odd Man Out". Vor 100 Jahren wurde Mason geboren.

Von Marli Feldvoß | 15.05.2009
    James Mason gehört zu den wenigen Leinwandstars, deren Stimme unvergessen ist. Eine weiche, oft nur geflüsterte Samtstimme, die ihm selbst zu flach und zu nasal erschien, im Publikum jedoch Anmut und Eleganz verströmte und im größten Widerspruch zu seinem Rollenimage stand.

    Der Star mit den weiblichen Zügen hatte sich nämlich schon früh einen Ruf als "Ladykiller" und "Ladybasher" gemacht. Das galt bereits für seinen ersten großen Erfolg "The Man in Grey" 1943. In der Rolle des Marquis de Rohan schlug er seine Marquise am liebsten mit der Pferdepeitsche. In "A Star is Born" elf Jahre später - Masons größter Leinwanderfolg überhaupt - war sein abgetakelter Star Norman Mayne gänzlich unerträglich, wenn Alkohol im Spiel war. Mayne ist der Entdecker der Sängerin Vicky Lester alias Judy Garland. Er sagt ihr, dass sie eine große Künstlerin sei, aber sie glaubt das nicht:

    "Sie haben das gewisse Etwas, von dem die große Eleonora Duse gesprochen hat. Das gewisse Etwas. Ja, Sie haben es."

    Der am 15. Mai 1909 in Huddersfield, Yorkshire geborene James Neville Mason, dritter Sohn eines begüterten Wollhändlers, ging nach seinem Architekturstudium in Cambridge sofort zum Theater, kam bereits 1935 zum Film und gründete 1938 seine eigene Produktionsfirma.

    Sein erster wichtiger und zugleich sein Lieblingsfilm war Carol Reeds "Odd Man Out" 1947. Als irischer Partisan Johnny McQueen, der durch die Straßen Belfasts gejagt wird, bewies er seine Qualitäten als Charakterschauspieler, die ihm die Tür nach Hollywood öffneten.

    Er war das Gegenbild zu den gut rasierten bubenhaften Hollywoodgesichtern. Mason war stets ein vielbeschäftigter Star, aber seine Karriere verlief ziellos, sein außergewöhnliches Talent und seine Leinwandpräsenz prädestinierten ihn für große Männer wie Feldmarschall Rommel, den er zweimal gab, Brutus - neben Marlon Brando -, Cicero, Captain Nemo und Humbert Humbert aus Vladimir Nabokovs "Lolita".

    "Ich war begeistert, als ich hörte, dass James Harris und Stanley Kubrick die Filmrechte von 'Lolita' gekauft hatten. Ich bewunderte sie und dachte - nicht weil ich eine Rolle bekam -, dass sie den erforderlichen guten Geschmack und die Sensibilität für dieses Thema besaßen. Es hätte mich beunruhigt, wenn ein Hollywood Studio das Buch gekauft hätte. Man weiß ja nie, was dann daraus wird."

    Der Engländer James Mason galt als die kultivierte Ausgabe von Humphrey Bogart. Die stets spürbare sadomasochistische Dynamik zwischen seiner Leinwandpersona, den weiblichen Stars und dem Publikum schwächte sich in den späteren Rollen ab. Seine widersprüchlichen Männlichkeitsbilder, dann von Melancholie und Zweifel geprägt, wurden als Infragestellung gängiger Männlichkeitsmuster, aber auch als Ausdruck einer Kulturkrise interpretiert. Über die enge Beziehung zwischen Rolle und Person sagte Regisseur Joseph L. Mankiewicz:

    "Er wollte immer woanders sein, aber er wusste nicht, wo, und er wusste nicht, warum. Er war mit nichts zufrieden, da wütete ein anderer in ihm, wie bei uns allen, aber er kam nicht heraus. Für mich war James Mason der ideale Brutus - komplex, unglücklich, ein Grübler. Ein Mann, der aussah, als kämpfte er auf verlorenem Posten."

    James Mason erhielt zahlreiche Auszeichnungen, wurde jedoch nie von seiner Königin zum Ritter geschlagen. Der Grund? Wahrscheinlich, weil er im Zweiten Weltkrieg den Kriegsdienst verweigerte. James Mason, der 1982 für seinen Auftritt in Sidney Lumets "The Verdict" seine dritte Oscar-Nominierung erhielt, starb am 27. Juli 1984 in Lausanne an einem Herzanfall.