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Der Mensch hinter dem Morden

"Wer war Andreas Baader?", fragen Klaus Stern und Jörg Herrmann, die eine Biografie über den RAF-Terroristen vorgelegt haben. Trotz aller Mühen ist der Ertrag ihrer Recherchen dürftig. Thomas Moser stellt das Buch vor.

22.01.2007
    "Sicher, was theoretisch richtig scheint, kann politisch falsch sein. Theorie ist Verständnis unserer Aussicht, Kenntnis also, und sei sie noch so einseitig, der objektiven Tendenz des Prozesses. Politik ist dagegen Wille, diesen Prozess umzuwälzen, umfassende Ablehnung seiner Objektivität, subjektive Aktionen, damit diese Objektivität sich nicht durchsetzt und siegt."

    Die Stimme von Andreas Baader, aufgenommen im Januar 1976 während des Prozesses in Stuttgart-Stammheim, als er zusammen mit den anderen Angeklagten eine Erklärung der RAF verlas. Es ist der einzige Originalton von Baader. In den deutschen Archiven gibt es keine Tonaufnahmen von dem Mann, der immerhin als Staatsfeind Nummer eins galt, auch ein Zeichen für die Schwierigkeiten bei der Spurensicherung zu dieser Person.

    Als Andreas Baader starb im Oktober 1977 war er 34 Jahre alt. Zehn Jahre sind für seine politische Biografie, in der er zum Anführer der Rote-Armee-Fraktion wurde, von Bedeutung: von 1967, als er bei der Studentenbewegung mitzumachen begann, bis 1977. Sieben dieser zehn Jahre saß Baader im Gefängnis, die letzten fünf am Stück. Nur drei Jahre verbrachte er im Zeitraum seit 1967 also außerhalb von Gefängnismauern. Soweit die Eckdaten eines Lebens, die auch die Biografieschreibung nicht unbedingt erleichtern. Was ist in diesen wenigen Jahren überhaupt zu finden? Der Dokumentarfilmer Klaus Stern und der Theologe Jörg Herrmann haben es versucht. Ihre Baader-Biografie will sich von den anderen Büchern über die RAF unterscheiden, wie Jörg Herrmann erklärt:

    "Zum einen gibt es selbstverständlich viele Überschneidungen, denn Andreas Baader war ja eine Führungsfigur der RAF. Auf der anderen Seite hat uns eben stärker interessiert der Mensch hinter den Mythen: Wer war Andreas Baader? Wie hat sich seine Lebensgeschichte entwickelt? Was für Faktoren haben dazu beigetragen, dass er diesen Weg dann am Ende gegangen ist?"

    Die Suche der Autoren beginnt in der Kindheit und Jugend Baaders in München. Anhaltspunkte auf den späteren Topterroristen liefern die aber nicht. Mit 20 zog Baader nach Berlin, 1963, wo er dann in die Studentenbewegung und Außerparlamentarische Opposition geriet, dabei aber eher am Rande stand. Den politischen, nämlich öffentlichen Weg eines Dutschke beschritt Baader nie. Er schlug vielmehr die entgegengesetzte Richtung ein: Im April 1968 beging er mit drei anderen Brandstiftung in zwei Frankfurter Kaufhäusern, eine Tat, die ihn sowie Gudrun Ensslin schlagartig bundesweit bekannt machte, auch weil so manchen in der Bundesrepublik kriminelle Studentenbewegte gut ins Konzept passten. Entsprechenden Raum bekamen sie in der medialen Darstellung. So gesehen vielleicht ein Schlüsselereignis für die Figur-Werdung der Person Baader.

    Nach wiederholter Haft, Flucht und erneuter Festnahme wurde er zusammen mit anderen führenden RAF-Kadern in Stuttgart-Stammheim zu lebenslanger Haft verurteilt. Schließlich die Ereignisse vom Herbst 1977 mit der Entführung des Chefs des deutschen Industrieverbandes, Hanns-Martin Schleyer; der Entführung und Befreiung einer Lufthansa-Maschine; Tod von Baader, Ensslin und Jan Carl Raspe in Stammheim und der Ermordung von Schleyer. Soweit die allseits bekannte Geschichte im Schnelldurchlauf, in die sich mit dem Buch nun die Lebensgeschichte und die Persönlichkeit eines der führenden RAF-Leute einfügen soll. Doch die Frage: "Wer war Andreas Baader?" stellen die Autoren 300 Seiten später immer noch. Wirklich weitergekommen sind sie nicht. Die Person Baader bleibt verschwommen und unklar.

    Herrmann: "Ich glaube schon, dass wir wichtige Facetten seiner Persönlichkeit treffend darstellen. Wie es wirklich gewesen ist, kann letztlich niemand sagen. Andreas Baader war eben eine sehr schillernde Persönlichkeit. Jemand, der sich in seinen Kommunikationen auch sehr strategisch verhalten hat. Also, der konnte zu einer Anwältin sehr, sehr freundlich und nett sein, auch sehr diplomatisch sein. Er konnte dann wiederum seine Richter als faschistische Arschlöcher beschimpfen und konnte mit seinen Mithäftlingen auch sehr brutal umspringen. Ja, man würde wohl sagen, ein schwieriger Mensch."

    Herrmann schließt im Buch dann aber noch folgende Frage an: Wie war es möglich, dass Baader innerhalb von vier Jahren von einer Randexistenz der Studentenbewegung zum Staatsfeind Nummer eins werden konnte? Gute Frage, wenn auch die Charakterisierung als Staatsfeind Nummer eins bereits Teil des öffentlichen Bildes von Baader ist. Entspricht dieses Bild aber tatsächlich seiner Persönlichkeit? Und ist die Antwort überhaupt bei Baader allein und seinem Umfeld zu finden? Oder wirkte an diesem Bild nicht vielleicht auch die Gegenseite mit, der Staat, dadurch dass er den RAF-Anführer in einer bestimmten Weise bewertete? Denn, wenn das Bild vom tatendrängenden und unumstrittenen Anführer der Stadtguerilla Ergebnis der Selbstinszenierung Baaders ist, wie die Autoren befinden, dann muss auch von Seiten des Staates, wo nahezu das gleiche Bild gepflegt wurde, eine Inszenierung dazukommen, eine Fremdinszenierung sozusagen.

    Beide Seiten hatten Interesse an Figuren wie Baader, Ensslin und Ulrike Meinhof. Das RAF-Umfeld brauchte sie als Ikonen gegen die eigene Unsicherheit des richtigen Weges, wie einer von Baaders Anwälten gegenüber den Autoren erklärte. Und der Staat, weil ihm der Kampf gegen die Terroristen den gegen die Studentenbewegung erleichterte. Nicht "Wer war Andreas Baader?" müsste also die Frage sein, sondern: "Was war Andreas Baader?" Und die Antwort vielleicht: Baader war eine Figur, deren Rolle Andreas Baader bekam, und die der, kann man hinzufügen, bereitwillig spielte. Der Filmemacher Klaus Lemke, der Baader kannte, drückte das gegenüber den Autoren mit dem klugen Satz aus: "Wer hätte gedacht, dass der Baader mal der Baader wird."

    Das Buch liefert nämlich auch Informationen über Baader, die nicht zum Bild vom selbstbewussten Macher und kompromisslosen Kämpfer passen. Ein Vertreter des Bundeskriminalamtes, der ihn während der Schleyer-Entführung aufsuchte, beschrieb Baader als "blass, gealtert, nervös". Mehr noch: Er habe erklärt, sie würden im Falle ihrer Freilassung nicht mehr nach Deutschland zurückkehren, keine Anschläge mehr verüben und auch das Potenzial der RAF nicht mehr auffüllen. Von der Flugzeugentführung habe er sich distanziert, und die Schleyer-Entführer würden sie gar nicht persönlich kennen. Treffen die Vermerke des BKA-Beamten zu, die heute auch im Hamburger Institut für Sozialforschung archiviert sind, dann liegt hier nichts anderes vor als eine Kapitulation und Unterwerfung Baaders, ja Verrat an den eigenen RAF-Genossen. Das war nicht mehr der Staatsfeind Nummer eins, das war ein gebrochener Mann. Doch das Bild von Baader ist bis heute offensichtlich stärker als die Person.

    Herrmann: "Ich denke aber auch, dass auch dies eine strategische Kommunikation war. Also, Baader war da zum Ende hin der Schleyer-Entführung fertig mit den Nerven. Das geht aus allen Beobachtungen hervor, und sein Hauptinteresse war an diesem Punkt, ausgetauscht zu werden. Er wollte freigelassen werden, und die anderen Ziele, die traten dann auf einmal ziemlich in den Hintergrund. Da ist ein gewisser Bruch, ja, das würde ich auch so sagen."

    Jörg Herrmann und Klaus Stern haben sich große Mühe gemacht, die Person Baader aufzuspüren. Sie haben mit dem Abstand von 30 Jahren viele Zeitzeugen von damals aufgesucht und befragt, aus der Studentenbewegung, der RAF, Anwälte, die Stammheimer Richter, den BKA-Präsidenten Horst Herold. Das zu erzählen mag die Lektüre kurzweiliger machen, sorgt aber nicht in jedem Fall für neue Erkenntnisse. Manchmal ist es Wasser, das die Sache nur verdünnt. Vielleicht war es der Mangel an Handfestem, der sie auch dazu brachte, viele Geschichten und Episoden zu Baader, die, wie sie schreiben, "absurd, abgedreht und weit von der Realität entfernt klingen", selber weiter zu kolportieren. So: Baader habe mal für die Springerzeitung B.Z. gearbeitet; bei einem Banküberfall lange vor der RAF-Zeit einen Schuss in die Wade bekommen; jemanden an den Füßen über den Balkon des 19. Stocks gehalten; oder im Stammheimer Knast mit einer Anwältin ein Kind gezeugt. Alles unbewiesene oder gar widerlegte Gerüchte. Im Falle des Kindes hat die Mutter auch gegenüber den Autoren verneint, dass es von Baader sei. Die vermelden das zwar, doch schließen gleich ein neues Gerücht an und schreiben das Kind jetzt dem verstorbenen Ex-RAF-Anwalt Klaus Croissant zu.

    Kapitaler ist allerdings der Fall Ingeborg Barz, ein RAF-Mitglied, das seit 1972 verschwunden ist. Baader soll Barz, so der RAF-Aussteiger Gerhard Müller, erschossen haben, weil sie aussteigen wollte. Im Prozess gegen Baader verweigerte Müller aber die Aussage zu Ingeborg Barz, und Baader wurde nicht wegen ihr verurteilt. Der Fall ist nicht geklärt. Die Unterlagen zu Müller sind bis heute durch die Bundesregierung gesperrt. Warum? Hat Gerhard Müller zusammen mit Irmgard Möller 1971 in Hamburg einen Polizisten erschossen und sollte das nicht weiterverfolgt werden, weil man mit Müller einen Kronzeugen gegen die RAF hatte?

    Herrmann: "Also, dieser Sperrvermerk, der existiert seit der Zeit des Stammheimer Prozesses, und da muss man heute auch noch den Finger drauflegen. Was ist damals mit Müller besprochen worden? Ist er zum Preis der Nichtverfolgung dieser Mordanklage geschont worden und hat er deshalb dann wegen dieser Schonung ausgesagt? Das ist eine ganz schwierige Geschichte. Es ist ja merkwürdig, dass Ingeborg Barz bis heute nicht mehr aufgetaucht ist und, das haben wir ja auch geschrieben, nach wie vor zur Personenfahndung ausgeschrieben ist."

    Jörg Herrmann und Klaus Stern zeigen damit nebenbei die Grenzen der Enthüllung auf, die bis heute bestehen. Die RAF ist inzwischen zwar Geschichte, ihre Geschichte ist es aber noch nicht.


    Klaus Stern, Jörg Herrmann: Andreas Baader. Das Leben eines Staatsfeindes
    dtv München 2007
    380 Seiten, 15 Euro