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"Der Militärrat ist nicht an Demokratie interessiert"

Die neuerliche Gewalt in Ägypten zeige, dass der Militärrat sich an der Macht halten will, sagt der Politologe Hamed Abdel-Samad. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Armee in der Bevölkerung an Einfluss verliere. Ägypten könne am Beispiel Tunesiens lernen, das sich von einer Militärregierung distanziert hat.

Hamed Abdel-Samad im Gespräch mit Martin Zagatta | 21.11.2011
    Martin Zagatta: Wir erinnern uns noch gut an die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo, die Anfang des Jahres zum Sturz von Präsident Mubarak geführt haben. Nächste Woche soll in Ägypten gewählt werden, aber der Platz im Zentrum von Kairo ist schon wieder Schauplatz von Gewalttätigkeiten und es soll wieder Tote gegeben haben, viele sogar, von 20 Toten ist in jüngsten Meldungen die Rede und von rund 2000 Verletzten am Wochenende.
    Wir sind jetzt mit Hamed Abdel-Samad verbunden, ägyptischer Politikwissenschaftler, Buchautor und auch politischer Aktivist in seiner Heimat, gerade aus Kairo zurückgekehrt. Herr Abdel-Samad, wie beurteilen Sie die Gewalt da jetzt in Kairo? Steht die mit so vielen Hoffnungen begleitete Revolution jetzt vor dem Scheitern?

    Hamed Abdel-Samad: Nein, sie steht nicht vor dem Scheitern, aber es wird immer klarer: Der Militärrat ist nicht an Demokratie interessiert. Der Militärrat hat zu viele Leichen im Keller versteckt. Der Militärrat besteht aus 19 Männern, die von Mubarak selbst ausgesucht worden waren, die ihm immer treu geblieben waren, und jetzt wollen sie eine Machtkonstellation zustande bringen, die ihnen wohlgesinnt sind. Sie wollen mehr Macht im Staat bekommen, sie wollen das Parlament kontrollieren, obwohl sie selber keine Legitimation dafür hätten, und deshalb kommt es zu diesem Clash. Das war vorhersehbar und diese Demonstrationen gibt es auch seit Wochen schon in Ägypten.

    Zagatta: Wie sind da die Erfolgsaussichten dieser Demonstranten? Lässt sich das, was Sie uns jetzt gerade geschildert haben, überhaupt verhindern, dass der Militärrat dort weiter die Fäden zieht?

    Abdel-Samad: Der Militärrat pokert zu hoch, will zu viel Macht bekommen. Am Ende wird man schon einen Konsens finden, sodass man die Militärs nicht vollkommen entmachtet, aber dass sie auch gleichzeitig nicht zu viel Macht im Staat bekommen. Jetzt gibt es diesen inneren Kampf der Kulturen, das ist ein Ergebnis von dieser Revolution. Alles wird neu verhandelt, alle Autoritäten geraten jetzt ins Wanken, es gibt keine absolute Autorität mehr in Ägypten. Langfristig ist das gut so.

    Zagatta: Worum geht es den Demonstranten jetzt konkret? In der nächsten Woche soll ja gewählt werden. Was wollen die jetzt noch erreichen?

    Abdel-Samad: Sie wollen erreichen, dass der Militärrat keine Sonderrechte bekommt, dass der Militärrat nicht über dem Gesetz steht und dass auch das Parlament das Sagen im Lande hat und eine gewählte Regierung - der Militärrat will das nicht, will eine Machtkonstellation zustande bringen, mit der er sehr gut zusammenarbeiten könnte -, und sie wollen, dass die Wahlen frei abgehalten werden und dass die Anhänger des alten Regimes nicht in neuen Gewändern wieder zur Wahl stehen sollten.

    Zagatta: Lässt sich das noch verhindern, weil die Regeln für die Wahl in der nächsten Woche, die stehen ja fest?

    Abdel-Samad: Die Regeln stehen fest. Ich finde, die Wahlen an sich sind nicht so relevant, sondern der Prozess jetzt, dass jetzt keine absolute Macht mehr da stehen darf, dass alle Autoritäten infrage gestellt werden, das Kopten, Kommunisten, Muslimbrüder und Liberale zusammen demonstrieren gegen den Militärrat. Diese Zeiten sind vorbei, als ein Herrscher über Ägypten das Sagen hatte und dass niemand sich traute, sich dagegen zu wehren. Es ist sehr traurig für die Opfer, es ist ein Verbrechen, aber diese Verbrechen zeigen, dass der Militärrat nicht imstande ist, die Geschicke des Landes zu lenken, dass dieser Militärrat auch keine Legitimation mehr hat, und es ist für mich nur eine Frage der Zeit, bis auch in der breiten Bevölkerung der Militärrat an Einfluss verliert.

    Zagatta: Kann sich denn das mit den Wahlen in der nächsten Woche ändern? Die Demonstranten befürchten ja "Nein" und wollen, dass diese Wahlen verschoben werden.

    Abdel-Samad: Eigentlich sollten die Wahlen verschoben werden, weil die Basis dafür noch nicht bereit ist. Aber es gibt natürlich Kräfte im Lande, die die Wahlen jetzt schon haben, damit man nicht wieder den Militärrat an der Macht lässt. Es wird uns beschäftigen. Ich hoffe, dass die vernünftigen Menschen auch im Lande einen Konsens finden. Wir sollten von den Tunesiern vielleicht lernen, sie haben sofort sich von einer Militärregierung distanziert, sie haben einen zivilen Rat ausgesucht, sie haben auch freie Wahlen durchgehalten und auch friedlich gehalten, und jetzt leben alle mit dem Ergebnis und man blickt nach vorne.

    Zagatta: Das sieht aber in Ägypten im Moment schwieriger aus. Die Verantwortlichen haben gesagt, es bleibt bei dem Wahltermin, der wird nicht verschoben. Was wird dann, wenn es so bleibt, Ihrer Meinung nach bei diesen Wahlen herauskommen?

    Abdel-Samad: Parlamentswahlen sind nicht unbedingt jetzt die entscheidendsten, weil, es wird eine Machtkonstellation kommen, so oder so, wo keine Partei alleine die Macht übernimmt. Eine große Koalition, nationale Einheitsregierung, wahrscheinlich von Muslimbrüdern, aber auch einigen liberalen und linken Parteien werden dazugehören. Der Militärrat will aber einen Präsidenten haben, der genauso die gleichen Machtbefugnisse von Mubarak hat, und das ist natürlich gefährlich, weil, man darf nicht eine Form der Bevormundung durch eine neue Form der Bevormundung austauschen oder ersetzen. Man muss, wenn man tatsächlich Demokratie haben will, auch die Grundregeln, die Spielregeln der Demokratie durchsetzen, nämlich Gewaltenteilung und Gleichberechtigung von allen politischen Beteiligten.

    Zagatta: Hamed Abdel-Samad, ägyptischer Politikwissenschaftler, Buchautor und politischer Aktivist. Herr Abdel-Samad, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Abdel-Samad: Danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.