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"Der Minister hätte ja sich nicht versteigen müssen"

Erst nach einer Sitzung des Verteidigungsausschusses will der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels entscheiden, ob man einen Rücktritt von Minister Franz Josef Jung fordern werde. Momentan sehe es so aus, als ab der Minister eine Position eingenommen habe, die der Erkenntnislage des Ministeriums über den Luftschlag in Kundus nicht entsprochen habe.

Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Bettina Klein | 26.11.2009
    O-Ton Karl-Theodor zu Guttenberg: Der Generalinspekteur hat mich gebeten, ihn von seinen Dienstpflichten zu entbinden, und ebenso hat Staatssekretär Wichert Verantwortung übernommen.

    Bettina Klein: Zwei Personalentscheidungen, vorgetragen durch Verteidigungsminister zu Guttenberg heute Morgen im Bundestag. Zwei äußerst rasch gezogene Konsequenzen aus den jüngsten Meldungen, wonach das Ministerium Informationen zum Bundeswehr-Luftangriff in Afghanistan Anfang September zurückgehalten habe.

    Zufall oder nicht? Am Tag der Afghanistan-Debatte im Deutschen Bundestag wartete die "Bild"-Zeitung" mit der Meldung auf, das Verteidigungsministerium habe der Öffentlichkeit und der Staatsanwaltschaft Informationen über den Luftangriff der Bundeswehr in Afghanistan Anfang September vorenthalten. Der Paukenschlag folgte noch am selben, nämlich am heutigen Morgen. Der Verteidigungsminister trennt sich von Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert. Genau genommen hätten beide um ihr vorzeitiges Ausscheiden in diesem Zusammenhang gebeten.

    Die ohnehin anberaumte Bundestagsdebatte, in der ursprünglich vor allen Dingen über die Verlängerung des Bundeswehrmandates in erster Lesung gesprochen werden sollte, bot also Regierung und Opposition die Möglichkeit, sofort auf das Thema einzusteigen. Und den Beginn machte der Minister persönlich, wir haben es gerade kurz gehört.

    Hans-Peter Bartels war Anfang September zu Zeiten der Großen Koalition für die SPD im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages und er ist es auch heute, und ihn habe ich kurz vor der Sendung gefragt, ob eigentlich all die Informationen, die wir heute diskutieren, dem Ausschuss niemals vorgelegt worden sind.

    Hans-Peter Bartels: Nein. Der Verteidigungsausschuss hat im Wahlkampf, in der Wahlkampfzeit dann ja nicht mehr regelmäßig getagt. Insofern: Wenn es Informationschaos im Ministerium gab, hat sich uns das nicht vermittelt, sondern wir haben die schneidigen Auftritte des Verteidigungsministers zur Kenntnis genommen über die Medien.

    Klein: Nun sind ja nicht wirklich alle Fakten, die wir jetzt diskutieren, wirklich neu. Was hat Sie denn eigentlich noch überrascht an den Dingen, die die "Bild"-Zeitung jetzt geschrieben hat?

    Bartels: Schon, dass es Berichte gegeben hat, die etwas anderes nahelegen als das, was der Verteidigungsminister als seinen unumstößlichen Erkenntnisstand dargestellt hat. Wenn es im Ministerium unterschiedliche Bewertungen, unterschiedliche Informationen gab, dann muss man davon ausgehen, dass bei einem so gravierenden Vorgang – und Deutschland hat ja über den Vorfall in Kundus plus die Bombardierung der Tanklaster tagelang diskutiert – der Verteidigungsminister sich umfassend informieren lässt.

    Klein: Nennen Sie uns doch mal Details, die Sie heute erst gelernt haben? Es war ja bisher auch schon von zivilen Opfern die Rede, es war von Kindern die Rede, die zu Tode gekommen waren, und auch davon, dass möglicherweise eben nicht alles getan wurde in Sachen Aufklärung vor diesem Angriff. Was sind denn für Sie neue Fakten?

    Bartels: Es gibt offenbar neue Quellen, es gibt offenbar Quellen der Erkenntnis für die Bundeswehr in der Situation in Kundus und Quellen, die dann auch dem Verteidigungsminister später zugänglich gemacht wurden. Es gibt offenbar unterschiedliche Bewertungen im Verteidigungsministerium und der Minister hätte ja sich nicht versteigen müssen zu der Behauptung, nach seinen Informationen gäbe es keine zivilen Opfer.

    Klein: Er stellt es etwas anders dar.

    Bartels: Er hätte einfach offener bleiben können. Man konnte es zu dem Zeitpunkt noch nicht definitiv sagen, man konnte es nicht wirklich wissen, schon gar nicht aus der Entfernung Berlin, sondern man musste sich ja auf Berichte verlassen und da muss man alles ranziehen, was vor Ort erhoben wird. Insofern sind wir schon überrascht und waren damals überrascht, dass der Verteidigungsminister sich so deutlich geäußert hatte.

    Klein: Das ist nach wie vor Ihr zentraler und eigentlich auch einziger Kritikpunkt?

    Bartels: Ja! Er hat eine Position bezogen, die A nach der Erkenntnislage des Ministeriums, nicht des Ministers, sondern des Ministeriums offenbar nicht korrekt war, und B hat er es offenbar ohne Not getan, vielleicht auch, weil er im Wahlkampf einen bestimmten Eindruck erwecken wollte.

    Klein: Herr Bartels, eines verstehe ich noch nicht. Es gab ja mehrere Berichte, Untersuchungsberichte zu den Vorgängen dort, von afghanischen Behörden, von McChrystal, auch von der afghanischen Regierung. Das ist alles niemals im Verteidigungsausschuss im September diskutiert worden?

    Bartels: Nein. Die Obleute sind unterrichtet worden. Der Verteidigungsausschuss hat in diesem Wahlkampfmonat bis zur Bundestagswahl dann ja nicht mehr getagt.

    Klein: Und Sie sagen jetzt, für Sie ist der Erkenntnisstand jetzt so neu, dass Sie jetzt den Rücktritt des damaligen Ministers Jung fordern, aber damals ihn nicht gefordert haben?

    Bartels: Nein. Ich weiß nicht, ob er zurücktreten muss. Wir wollen morgen eine Verteidigungsausschuss-Sitzung mit diesen neuen Informationen haben. Ich nehme an, das wird zustande kommen. Ob der Minister Jung dann noch haltbar ist – heute hat er ja ein anderes Ressort -, muss man dann sehen. Aber diese Frage stellt sich in der Tat: Muss er zurücktreten? Zum damaligen Zeitpunkt gab es keinen Anlass, ihn zum Rücktritt aufzufordern. Im Übrigen waren wir dabei, eine Wahl vorzubereiten, wo man ja auch hoffen konnte, dass es vielleicht danach eine andere Regierung geben würde.

    Klein: Der Verteidigungsausschuss kann sich ja in einen Untersuchungsausschuss umwandeln. Ist das gesichert, oder wovon hängt das jetzt noch ab?

    Bartels: Das muss dann erst mal beantragt werden. Ob wir das tun, hängt auch davon ab, wie die Verteidigungsausschuss-Sitzung dann morgen verläuft. Aber die Möglichkeit gibt es. Der Verteidigungsausschuss in seiner Gänze kann sich zum Untersuchungsausschuss erklären und dann an so einem Thema arbeiten, wo wir in der letzten Wahlperiode zum Beispiel den Komplex Kurnaz untersuchen mussten.

    Klein: Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich denn konkret von einem Untersuchungsausschuss?

    Bartels: Ich glaube, man muss schon Widersprüche zwischen verschiedenen Akteuren und der jeweiligen Informationslage aufklären. Was mich zum Beispiel in den letzten Wochen auch gewundert hat, ist, dass nachdem der neue Minister Guttenberg sein Amt angetreten hat es unterschiedliche Bewertungen des NATO-Berichtes gab. Der Generalinspekteur, der dann heute entlassen wurde, hatte den Bericht der Öffentlichkeit gegenüber dahin gehend kommentiert, dass er sagt, man konnte so handeln, wie Oberst Klein, der Kommandeur in Kundus, gehandelt hat.

    Guttenberg hat später gesagt, nein, unbeschadet möglicher Verfahrensfehler hätte man so handeln müssen, wie Oberst Klein gehandelt hat. Das ist ja nicht nur ein semantischer Unterschied, sondern das wäre ein wirklich gravierender Unterschied, wenn Minister Guttenberg (wie auch immer beraten) zu dem Ergebnis kommt, in jedem Fall hätte diese Bombardierung der Tanklastwagen stattfinden müssen.

    Klein: Herr Bartels, rechnen Sie damit, dass die Abstimmung über die Verlängerung des Bundeswehrmandates in irgendeiner Weise von den jetzigen Entwicklungen beeinflusst werden wird?

    Bartels: Die Diskussion wird beeinflusst, aber das Ergebnis der Abstimmung ist klar: Die SPD-Bundestagsfraktion wird in der Kontinuität unseres bisherigen Engagements dabei bleiben, dass die Bundeswehr sich an ISAF in Afghanistan beteiligt. Das ist noch nötig. Wir werden dazu einen eigenen Entschließungsantrag einbringen, wo wir auch Ziele formulieren, was in welcher Zeit erreicht werden soll. Ich glaube, da sind wir mit der gegenwärtigen Regierung auch nicht so weit auseinander. Niemand will ewig in Afghanistan bleiben, aber jetzt ist das Bundeswehr-Engagement nötig.

    Klein: Der SPD-Verteidigungspolitiker Hans-Peter Bartels im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.