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Der moderne Mörder

In ihrem philosophischen Essay "Idole und ihre Mörder" begibt sich Connie Palmen auf eine tiefgehende Spurensuche nach den Triebfedern von Fanatikern und Mördern. Der modernen Mordes ist für die Autorin Symptom einer gesellschaftlichen Identitätskrise. Der moderne Mörder ist in die Illusion geflüchtet - in der Realitätsverzerrung der Medien verwechselt er Fiktion mit Wirklichkeit.

Von Michaela Schmitz | 21.04.2005
    Was hat Mord mit Liebe zu tun, frage ich Connie Palmen anlässlich Ihres neuen Buchs "Idole und ihre Mörder". Nach ihren letzten höchst intimen autobiografienahen Romanen über obsessive Liebesbeziehungen "I.M. Ischa Meijer" und "Ganz der Ihre" hat die bekannte niederländische Autorin jetzt einen philosophischen Essay über den modernen Mord geschrieben. Wo ist da die Verbindung? Denn es gibt wohl keinen größeren Gegensatz als den zwischen Liebe und Mord.

    "Ich denke, dass der Mörder, dass es mit Liebe zu tun hat, ja. Einer sehr merk-würdigen Art von Liebe. Eigentlich ist es Selbstliebe. Das ganz in Besitz nehmen voneinander dadurch, ihn zu töten, das ist das, was ein Liebender tut, der eigentlich seinem eigenen Liebesvermögen nicht traut. Oder der vielleicht gar nicht imstande ist zu lieben. Der tötet einen."

    Also ist die Philosophie des modernen Mordes eine Weiterführung der philosophischen Ansätze der Romane Connie Palmens. Beispiel sind die essayistischen Passagen über die "theatralische Persönlichkeit" oder die "Ökonomie der Schuld". Nur mit einer Verlagerung der Perspektive von "Ganz der Ihre" des Geliebten zu "Ganz die Meine" des panisch Liebenden, fanatischen Fans und potenziellen Mörders. "Idole und ihre Mörder" hat also literarische Wurzeln. Aber der Anlass war ein ganz reales aktuelles Ereignis: der Mord an Pim Fortuyn.

    "Ja, eigentlich war Pim Fortuyn der direkte Anlass, um mich mit wenigstens zu vertiefen in Mord. Ich bin schon sehr lange mit Mord beschäftigt. Ich lese schon sehr lange Bücher über Serienmörder. Die Sache interessiert mich. Mit dem Mord an Pim Fortuyn hab ich auch das Bedürfnis gefühlt, mehr zu wissen, und ja, es ist, als ob man sich entgegenstellen muss gegen etwas, was einen so schockiert. Dass da ein Politiker ermordet wird bei uns in den Niederlanden und dass es ein Tieraktivist war und ich hab so ein Bedürfnis gehabt, das alles zu verstehen. Und das war eigentlich der direkte Anlass für "Idole und Ihre Mörder"."Manchmal ist ein Buch aktueller, als einem lieb ist." Der Essay erscheint in Holland genau einen Tag nach dem Mord an dem befreundeten Filmemacher Theo van Gogh. Damit bekommt das Buch eine für Connie Palmen selbst schockierende Brisanz. Die brutale Tat stützt ihre Vermutung: Bei diesen Morden handelt es sich nicht um ein Einzelphänomen, sondern um ein Symptom. Ein gesellschaftliches Symptom. Denn es sind spezifisch moderne Morde, in denen sich die Pathologie unserer heutigen Erlebenskultur spiegelt, so ihre These.

    "Ja, weil, ich nenne es moderne Morde, weil es Morde sind an berühmten Personen. Und weil ich denke, dass ein Mörder, dass jeder Fanatiker eigentlich den anderen, den er ermordet nicht mehr als Mensch sieht, aber als Symbol, ein Image nur, nicht als Mensch. Und ich denke, dass unsere Medienkultur, ich möchte nicht sagen, daran schuld ist, denn ich liebe die Medienkultur, aber das wenigstens ein Nährboden bietet für dieses Verhältnis, dass man hat zu anderen. Der öffentliche Bereich ist so viel größer geworden. Die ganze Welt ist in unserem Wohnzimmer. Und die ist auch zugänglich geworden für Menschen ohne Talent. Also Menschen werden sehr viel schneller berühmt, auch ohne ein Talent. Und das wirkt alles zu-sammen, dass man mit sehr vielen Leuten in einer modernen Kultur so eine einseitige Beziehung hat, die für einen Mörder fast notwendig ist, um zu morden, nämlich den anderen nicht mehr als Mensch zu sehen, sondern als Symbol für etwas. Für Ruhm oder Symbol für das Schlechte. Ein Feind ist kein Mensch mehr. Ein Feind ist ein Feind, ist etwas, was du töten musst."

    Connie Palmen verortet das Phänomen des modernen Mordes in dem geistigen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie analysiert ihr eigenes Erlebnis mit einem Fan und die Attentate auf John Lennon, John F. Kennedy, Gianni Versace oder Pim Fortuyn. Ihre Diagnose: In der herrschenden Medienkultur werden die Menschen in zunehmendem Maße einseitige Beziehungen zu Personen haben. Denn sie kennen sie nur durch die Medien. Diese einseitige, nicht durch die Realität eines Dialogs oder persönlichen Verhältnisses korrigierte Beziehung ist der Nährboden für Fans, Stalker, Fanatiker. Hinter all dem steht die Tragik des wachsenden Unvermögens, zwischen öffentlichem Schein und Sein unterscheiden zu können. Der Mörder verhält sich zu Symbolen, als handele es sich um Realität. Er macht seine eigene Fiktion zur Wirklichkeit, er bezieht seine Legitimation aus der Welt der Einbildung. Connie Palmen zieht in ihrer Argumentation also eine direkte Linie vom Fan über Fantasie zum Fanatiker. Die heikle Rolle der Fiktion wird für sie beim Mord an John Lennon besonders transparent.

    "Ja, eigentlich weil er da stand. Er hat, als er John Lennon erschossen hatte, stand er da, und er hat sich eigentlich fast festgehalten an einem Buch von J.D. Sallinger, Catcher in the Rye, und er hat sich ganz identifiziert mit diesem Holden Caulfield, der alles unecht findet in der Welt. Und das hab ich so merkwürdig gefunden. Er hat eigentlich John Lennon verurteilt, weil er fand, dass John Lennon "phoney" würde, unecht. Aber natürlich die am meisten unechte Person war Marc David Chapman selbst."

    Die Fiktion, und damit auch das Buch, können also schuldig werden. Das stellt nicht zuletzt auch die Rolle der Autorin selbst radikal in Frage. Und Connie Palmen scheut sich nicht, die Parallele zwischen Schriftsteller und Mörder zu ziehen. Um dann aber doch festzustellen: "Wort und Mord. In Buchstaben kein so großer Unter-schied, doch in Wirklichkeit liegen dazwischen Welten."Die größte Parallele sind der Schriftsteller und der Mörder, weil sie eigentlich beide aus der gleichen Welle trinken. Fantasie, Einbildung, Vorstellung. Nur der große Unterschied ist, ein Schriftsteller macht Fiktion aus seiner Fantasiewelt, seinen Vor-stellungen. Und ein Mörder macht Wirklichkeit daraus. "

    Und dennoch: Das Wort ist nicht unschuldig. Wörter sind gefährlich. Das gilt seit Goethes "Die Leiden des jungen Werthers", einem Buch, das etliche junge Männer in den Selbstmord getrieben hat. Fiktion wird in Zeiten der zunehmenden Verwi-schung zwischen Realität und Schein immer problematischer. Und für Connie Palmen ist diese Krise der Fiktion nicht nur rethorisch.

    "Weil es schon damals, eigentlich seit dem Mord an Pim Fortuyn, finde ich hab ich Schwierigkeiten mit Fiktion. Ich hoffe, dass es nicht zu lange dauert, aber ich hab’s und dann wurde Theo van Gogh auch noch ermordet. Und die Schwierigkeiten bleiben. Es ist, als ob die Zeit nicht fragt nach Fiktion. Oder wenigstens habe ich als Schriftsteller jetzt Mühe, mir eine Figur auszudenken, einen Charakter, eine fiktionale Welt, worin vielleicht Mord ein wunderbares Thema ist, für Fiktion ist das immer eine große Inspiration gewesen, aber mir steht der Kopf nicht nach Fiktion."

    Auch literarische Fiktion, so fühlt Connie Palmen, kann eine gefährliche Projektionsfläche für schwache Identitäten bieten. Besonders in einer Zeit, in der die Medien schwunghaften Handel mit geliehenen Identitäten treiben. Nichts ist heute mehr gefragt als das Produkt "Identität". Denn in der heutigen Gesellschaft steht uns zwar die Wahl einer beliebigen persönlichen Identität offen. Aber diese Freiheit ist schwer erkauft: durch Wirklichkeitsverlust, Schuld und alleinige Verantwortung für das ei-gene Glück. Die Schattenseite einer Kultur der Freiheit.

    "Die beginnt in einer Kultur, worin das Schicksal immer weniger Macht hat. Und es eine Kultur wird, wo freie Wahl sehr groß geschrieben wird."

    "Diese Freiheit, zu werden, wer du denkst, dass du bist, diese Freiheit ist eine schwere Freiheit. Dass man sich seine Identität fast wählen kann, dass man ganz selbst verantwortlich ist, ob man glücklich wird. Das sind eigentlich die Botschaften von einer modernen Kultur. Du kannst werden, wer du sein möchtest, und wenn du nicht glücklich wirst, dann ist es deine eigene Schuld. Das ist eine Kultur von freier Wahl."

    "Seit Gottes Tod sind wir uns selbst überlassen." Das, so Connie Palmen in ihrem Essay "Idole und ihre Mörder" ist der geistige Ausgangspunkt für das Phänomen des modernen Mordes. Sie begreift ihn als Kennzeichen einer tief greifenden Identitätskrise. Fanatismus ist selbst gewählte Unfreiheit und damit eine Entscheidung für die Verantwortungslosigkeit. Aber diese Entscheidung ist eine Flucht in die Illusion. Die Einbildung kann uns nicht von den Entscheidungen und Verantwortlichkeiten in unserer täglichen Realität entbinden. Der Mörder entflieht der Wirklichkeit, um sich nicht mit der Freiheit auseinandersetzen zu müssen.

    "Aber ich sage eigentlich nur "Amor fati", umarme das, was die moderne Kultur bietet. Sehe Freiheit als etwas, was sehr schön ist und nicht etwas, das man meiden, dem man entfliehen muss, was ein Mörder eigentlich tut. Der möchte nicht frei sein."

    Connie Palmen ruft die Leser auf, dieser Freiheit standzuhalten. Im Bewusstsein, dass es eine sehr schwere Freiheit ist. Und im Wissen um die Gesetze einer Medienkultur, in der Schein und Wirklichkeit immer mehr ineinander übergehen.

    "Ja, vielleicht. Der Appell ist eigentlich nur, dass man sehen muss, dass das Merkmal von einer modernen Kultur ist, dass eine moderne Kultur hybride ist, dass die Realität vermischt ist mit fiktionalen Elementen, dass die Tagesschau die Realität zeigt, aber mit fiktionalen Mitteln. Man kann auch sagen, man kann das lieben. Man kann das umarmen. Es ist auch eine schöne Kultur. Aber keine leichte Kultur, wenn man sich eine sehr feste Identität sucht, oder wenn man ein Bedürfnis hat, dass alles schwarz und weiß ist und sehr begrenzt. Und eigentlich, sage ich, gebe das auf, suche keine starre Identität, gehe mit in diese hybride Welt, wo Fiktion eine viel größere Rolle spielt."

    Connie Palmens philosophischer Essay über "Idole und ihre Mörder" ist eine tiefge-hende Spurensuche nach den Triebfedern von Fanatikern, Stalkern und Mördern. Dabei dringt Palmen bis in verborgene Bewusstseinsprozesse vor und rührt zugleich an komplexe menschliche Grundfragen. Die Erscheinung des modernen Mordes ist für die Autorin Symptom einer gesellschaftlichen Identitätskrise. Schwache Persönlichkeiten entfliehen ihr in die Einbildung. Auch der Mörder. Gefördert durch eine grenzenlos gewordene Medienwelt, erliegt er einem tödlichen Irrtum: Er verwechselt echt und unecht, Fiktion mit Wirklichkeit. Connie Palmen beschreibt in "Idole und ihre Mörder" eine unumkehrbare Entwicklung. Und formuliert an den Leser und sich selbst als Schriftstellerin den schonungslosen Appell, sich dieser zu stellen.