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Der Musikwinkel Markneukirchen

Bei einem Spaziergang durch Marktneukirchen im Vogtland tönen einem Gitarren, Geigen oder Trompeten entgegen. Denn in dem 700-Einwohner-Örtchen gibt es fast 100 Instrumentenbauer.

Von Jan Tengeler | 31.01.2010
    Fast gemächlich erstreckt sich Markneukirchen mit seinen gut erhaltenen Häusern, der protestantischen Nicolaikirche und seinen knapp 7000 Einwohnern zwischen den malerischen Hügeln des Vogtlandes. Der Ort wirkt aufgeräumt und sauber, die vielen frei stehenden Häuser zeugen vom relativ großen Wohlstand der Menschen, die hier leben.

    Das eigentlich Besondere von Markneukirchen aber sieht man nicht sofort, sondern man hört es. Keine fünf Schritte geht man durch die Straßen, da tönen einem schon musikalische Klänge entgegen. Und dann entdeckt man auch die Schilder an den Häusern: Geigenbaumeister Ekkard Seidl, Gitarrenbaumeister Joachim Scheider, Blechblasinstrumentenbauer Thomas Müller, Instrumentenzubehör und Musikalienhandel. Markneukirchen ist das Zentrum des deutschen Instrumentenbaus. Einer ihrer bekannteren Handwerker ist Joachim Schneider, seines Zeichens Gitarrenbauer und Präsident der Innung der Instrumentenbauer und als solcher Zuständig für den Nachwuchs von rund 100 Betrieben in und um Markneukirchen.

    "1677 wurde schon die erste Geigenbauinnung gegründet, die kamen aus dem Tschechischen raus. Die sind aus Glaubensgründen raus und haben sich hier angesiedelt, weil es hier auch die Hölzer und Wälder gab. Das waren gute Fichten und auch Ahorn für die Geigen. Das war wichtig und das war ja nicht weit, das konnte man laufen. Da haben sie sich hier niedergelassen und Werkstätten aufgemacht."

    Die Risse, die Reformation und Gegenreformation in Mitteleuropa hinterlassen hatten, waren auch Ende des 17. Jahrhunderts noch deutlich zu spüren. Und im streng katholischen Böhmen ließ es sich als Protestant nicht gut leben, selbst wenn man als Handwerker ein gutes Auskommen hatte. Das im Norden angrenzende protestantische Sachsen allerdings bot nicht nur Ruhe in Glaubensfragen, sondern auch vielfältige Möglichkeiten des Handels.

    Zwölf Geigenbauer, die ursprünglich aus dem böhmischen Graslitz stammten, gehörten zu den Gründern der ersten Innung. Der von der kurfürstlich-sächsischen Kanzlei bestätigte Artikelbrief von 1677 gilt heute als Geburtsurkunde des Musikinstrumentenbaus in Markneukirchen. Denn, so erzählt Joachim Schneider, es ist nicht lange nur beim Geigenbau geblieben.

    "Das ist einmalig auf der Welt. Das gibt es nirgends. Das hat sich so entwickelt, dass hier alle Orchesterinstrumente hergestellt werden: zu Geigenbauer kamen Saitenmacher, die waren stark, die haben noch andere Sachen gemacht, chirurgische Fäden, das ist ein Arbeitsgang. Die Instrumentenmacher waren quirlig: Was können sie verkaufen, nachbauen? - So kamen auch die anderen Instrumente dazu, die Zupf und Blechinstrumente. Handwerksmeister haben etwas gesehen und haben es mitgebracht und nachgebaut."

    Von dieser Innovationsfreude und Umtriebigkeit der vogtländischen Instrumentenbauer profitiert Markneukirchen bis heute. An der Wende zum 20. Jahrhundert hatten die Instrumente aus den Ortschaften im Musikwinkel einen Weltmarktanteil von rund 80 Prozent. Von 1893 bis 1916 gab es in Markneukirchen sogar ein US-Generalkonsulat. Die Stadt galt damals als reichste Stadt Deutschlands. Aber es kamen auch wieder andere Zeiten: Geigenbauer Joachim Schneider musste sich als Jugendlicher nach dem Krieg massiv dafür einsetzen, dass er dem traditionsreichen Betrieb von seinem Großvater übernehmen konnte. Der Vater und seine Brüder waren im Krieg gefallen und der Großvater war skeptisch. Er sah im sozialistischen System wenig Chancen für den kleinen Betrieb.

    "Das war damals der Trend: Produktionsgenossenschaft - das war dasselbe System in der Landwirtschaft. Die dachten, das ist die bessere Form, bessere Nutzung der Maschinen, Arbeitsteilung, Spezialisierung, das wird dann noch perfekter und was am Schluss zusammen kommt, das wird dann das beste Instrument. Aber das ist nicht so. Man muss das Instrument von Anfang bis Ende selber bauen können. Und das kleine Handwerk besteht immer noch und war immer beständig. Die Qualität von den großen Firmen war nicht so gut. Eines Tages kam die Einsicht, dass die handwerklich gefertigten Meisterinstrumente Devisen bringen - und dann haben sie das wieder etwas unterstützt."

    Zu DDR-Zeiten wurde also ein hoher Anteil von Musikinstrumenten in Großserienproduktionen gefertigt. Der Anteil der Betriebe reduzierte sich von damals fast 700 auf gut 100. Überlebt haben vor allem die Betriebe, die sich auch nach dem Krieg ihre Selbstständigkeit bewahren konnten, und die prägen das Bild von Markneukirchen auch in den letzten 20 Jahren, nach der Wende bis heute.

    Markneukirchen hat sich also von den Widrigkeiten der jüngeren Zeitläufe erholt, zumindest was den Stellwert im Musikinstrumentenbau betrifft. Die Hoffnung der Stadt, dass mit der Öffnung zum Westen auch der Tourismus Einzug halten könnte, hat sich allerdings nicht wirklich erfüllt. Zwar bietet das umliegende Vogtland jede Menge Möglichkeiten zur aktiven Freizeitgestaltung mit Wandern, Radfahren und Schwimmen, aber für viele ist das einfach nicht zu vergleichen mit den Attraktionen des Erzgebirges. Hier beginnt, wenige Kilometer östlich von Markneukirchen, ein Erholungsgebiet mit noch mehr Möglichkeiten, insbesondere für Wintersportler. Und so konzentrieren sich die Angebote in der Stadt selbst vor allem auf Musiker.

    Die Museen und die Musikhalle zeugen von dem regen musikalischen Leben, das sich bis heute dort hält, zum Beispiel dann, wenn einmal im Jahr im Mai der internationale Instrumentalwettbewerb stattfindet. Oder Tag ein Tag aus, wenn Musiker aus der ganzen Welt auf der Suche nach dem für sie passenden Instrument sind.