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Der neue Geist der Entspannung

Heute vor 40 Jahren wurden beide deutschen Staaten in die Organisation der Vereinten Nationen aufgenommen. Die Ostpolitik der Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt und der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag von 1972 hatten den Weg dorthin geebnet - nach jahrzehntelanger gegenseitiger Blockade.

Von Andreas Zumach | 18.09.2013
    "Exellenzen, meine Damen und Herren. Mit großer Freude gebe ich hiermit die Anweisung, die Flaggen der beiden UNO-Mitgliedsstaaten, der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland aufzuziehen."

    Als UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim am 18. September 1973 in einer Zeremonie vor der New Yorker Zentrale der Vereinten Nationen die DDR und die BRD als Neumitglieder Nr 133 und 134 begrüßte, war diese Reihenfolge kein Zufall. Auch die Ankunft der beiden Außenminister aus Ostberlin und Bonn erfolgte in dieser Abfolge. Der Reporter des Rundfunks der DDR:

    "Otto Winzer und die Mitglieder der DDR-Regierungsdelegation nehmen an diesem feierlichen Zeremoniell vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen teil. Doktor Kurt Waldheim begrüßt unseren Außenminister und die Mitglieder der DDR-Delegation. Auch die Delegation der BRD mit Außenminister Scheel trifft ein."

    Die protokollarische Reihenfolge war zwischen den Regierungen in Bonn und Ost-Berlin bis zuletzt umstritten gewesen. Nach der in New York eigentlich üblichen Verkehrssprache Englisch läge die westdeutsche Federal Republic of Germany vor der ostdeutschen German Democratic Republic. Doch auf Drängen der DDR entschied die Protokollabteilung der Vereinten Nationen, das Alphabet der zweiten UNO-Amtssprache Französisch anzuwenden. Und nach diesem Alphabet stand die ostdeutsche Republique Democratique d´Allemagne vor der westdeutschen Republique Federale d´Allemagne.

    Dieser Streit war das Nachhutgefecht jahrelanger erbitterter politischer Konkurrenz zwischen Bonn und Ostberlin. 1955 hatte die westdeutsche Regierung unter CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer ihre "Hallstein-Doktrin" verkündet. Gemäß dieser, nach dem damaligen Staatssekretär im Außenministerium, Walter Hallstein, benannten Doktrin sah die Regierung Adenauer in der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR durch einen dritten Staat einen "unfreundlichen Akt" gegenüber der Bundesrepublik und drohte mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen. Grundlage war der Alleinvertretungsanspruch der Bonner Regierung, wonach die Bundesrepublik die einzige legitime Vertretung des deutschen Volkes sei. Ziel der Hallstein-Doktrin war es, die DDR außenpolitisch zu isolieren. Im Gegenzug verfügte die DDR-Regierung unter Walter Ulbricht 1967, dass kein Mitglied des Ostblocks sein Verhältnis zur Bundesrepublik normalisieren dürfe, bevor die DDR dies getan habe. Unter diesen Umständen war die Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO nicht möglich.

    Doch 1969 gab die sozialdemokratische Bundesregierung unter Willy Brandt die Hallstein-Doktrin auf. 1972 schloss sie den Grundlagenvertrag mit der DDR. Darin erkannten beide deutsche Staaten gegenseitig ihre territoriale Integrität und Souveränität an. Somit war der Weg frei für die UNO-Mitgliedschaft. Eine neue historische Epoche hatte begonnen, wie Kurt Waldheim in seiner Begrüßungsrede betonte:

    "Der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland ist von besonderer Bedeutung für die Vereinten Nationen. Es ist ein Symbol für den neuen Geist der Entspannung, der der Menschheit so viel Hoffnung bereitet."

    Doch ganz so glatt wie geplant lief die Sitzung der Vollversammlung zur Aufnahme der beiden deutschen Staaten dann doch nicht ab. Nach der einstimmigen Aufnahmeempfehlung durch den UNO-Sicherheitsrat war die erforderliche Zweidrittelmehrheit in der Vollversammlung zwar gesichert und dort eigentlich keine Debatte mehr vorgesehen. Dennoch erhob der Botschafter Israels Einspruch gegen die Aufnahme der DDR, weil diese ihre historischen Verpflichtungen aus dem Holocaust nicht erfüllt habe. Und der Vertreter Guineas lehnte den Beitritt der Bundesrepublik ab, der er die Unterstützung der französischen Kolonialpolitik in Afrika vorwarf. Doch schließlich wurden beide Staaten per Akklamation aufgenommen.

    Bereits acht Tage später, am 26.September 1973 sprach Bundeskanzler Willy Brandt als erster deutscher Regierungschef vor der UNO:

    "Die Genugtuung darüber, dass wir hier freundlich aufgenommen werden, ist gemindert durch die Teilung Europas, die sich auf deutschem Boden besonders hart ausprägt."

    Seit der Wiedervereinigung von DDR und BRD im Jahr 1990 gibt es bei der UNO nur noch das Mitglied "Germany" - oder "Allemagne".


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